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Fidelma schwieg, überdachte, was sie eben gehört hatte. Sie spürte, dass sie von Schwester Inginde nicht mehr erfahren würde. Das war enttäuschend. Offensichtlich bestand keine Verbindung zwischen dem Tod des Abts und Valretrades Verschwinden.

»Danke, Schwester Inginde«, sagte sie und erhob sich.

»Ich muss dir wohl nicht sagen, dass unsere Begegnung auf jeden Fall unter uns bleiben muss.«

»Wirst du weiter versuchen, Valretrade zu finden?«, fragte die Klosterschwester leise.

»Ja, ich will mich bemühen«, antwortete Fidelma bitter. »Ich habe Sigeric versprochen, alles zu tun, was mir nur möglich ist.«

»Ich hoffe, dass du Erfolg hast. Doch vergiss nicht, Äbtissin Audofleda ist mächtig. Du solltest dich vor ihr in Acht nehmen.«

»Das werde ich tun«, versicherte Fidelma und ging zur Tür. »Wenn du mich brauchst, gib mir ein Zeichen. Mir fällt keine bessere Methode ein als die, die Valretrade benutzt hat - die Kerze im Fenster.«

»Ich werde daran denken. Aber nur, wenn es ganz dringend ist.«

»Vielen Dank, Schwester Inginde. Du hast mir sehr geholfen.«

Fidelma verließ die Zelle und ging zur Wendeltreppe.

Im domus feminarum war alles still. Nichts regte sich. Ohne jeden Zwischenfall erreichte sie den Zugang zu den Gewölben. Sobald sie die Treppe herunterkam, eilten ihr Eadulf und Bruder Sigeric besorgt entgegen.

»Hast du sie angetroffen? Hast du mit Schwester Inginde gesprochen?«, wollte Bruder Sigeric sofort wissen.

»Sie bestätigt, dass Valretrade vorige Woche verschwunden ist. Sie sei in der Nacht, als sie losgegangen war, um sich mit dir zu treffen, nicht mehr zurückgekommen.« »Nicht zurückgekehrt?« Bruder Sigeric war betroffen.

»Sie hatte doch an unserem Treffpunkt die Figur so gestellt, dass ich wusste, sie war dort gewesen und wieder in ihre Kammer gegangen.«

»Wir sollten uns ins scriptorium begeben, da können wir uns in Ruhe unterhalten«, riet Fidelma. »Zumindest ist es dort gemütlicher als hier.«

Widerstrebend nahm der junge Mönch die Laterne auf und führte sie aus den Katakomben der Abtei.

Im scriptorium setzten sie sich in eine Ecke, und Fidelma berichtete, wie das Gespräch mit Schwester Inginde verlaufen war. »Nach dem, was Schwester Inginde von Schwester Radegund erfuhr, soll Valretrade eine schriftliche Mitteilung an die Äbtissin hinterlassen haben, aus der hervorgeht, dass sie die Abtei verlassen will.«

Bruder Sigeric brauste auf: »Lauter Lügen!«, rief er. »Ich schwöre, sie wird im domus feminarum gefangengehalten. Als eine teuflische Bestrafung, die ihr dieses Weib Audofleda zugedacht hat.«

»Könnten wir nicht verlangen, diese Notiz zu sehen?«, schlug Eadulf vor. »Valretrade hat sie doch selber schreiben können, nicht wahr?«

»Natürlich kann sie schreiben«, brummte Bruder Sigeric. »Ach ja. Tut mit leid«, entschuldigte sich Eadulf. »Du hast uns erzählt, ihr beide habt hier Manuskripte abgeschrieben. Würde man ihre Handschrift erkennen?«

»Alle Kopisten haben ihre besonderen Schreibgewohnheiten«, erläuterte Sigeric. »Sie hat eine ausgeprägte Handschrift. Bei den Buchstaben >b< und >d< verzierte sie immer den Stamm mit einem kurzen Querstrich.«

»Sehr gut«, warf Fidelma ein, »das sollten wir nicht vergessen, muss uns nur gelingen, ihre Mitteilung zu Gesicht zu bekommen.«

»Egal, ob es nun so einen Brief gibt oder nicht. Nie hätte sie die Abtei verlassen, ohne sich mit mir zu beraten. Ich behaupte, sie ist nicht aus eigenem Antrieb fortgegangen.« »Meinst du, man hat sie entführt?«, rätselte Eadulf. »Genau das will ich damit sagen. Es gibt Gerüchte . über andere Frauen und ihre Kinder .«

»Gerüchte?«, forschte Fidelma. »Sprich!«

»Es heißt, Frauen und Kinder sind aus dem domus feminarum verschwunden.«

»Du meinst die Frauen und Kinder von einigen der Klosterbrüder hier?«

Bruder Sigeric bestätigte das nickend, und Fidelma schnaubte empört. »Warum hat mir das niemand vorher gesagt? Sei es, wie es sei! Seit wann gibt es solche Gerüchte?«

Bruder Sigeric fuhr sich mit den Fingern einer Hand durchs Haar, als ob er damit seinem Gedächtnis nachhelfen könnte. »Ich bin mir nicht sicher. Doch seit zwei oder drei Wochen reden einige Brüder davon. Valretrade hat auch einmal erwähnt, dass ein paar der verheirateten Frauen beschlossen hätten, die Abtei zu verlassen.« »Kannst du dich erinnern, wie sie das ausgedrückt hat?« Sigeric überlegte einen Moment. »Genau eigentlich nicht - tut mit leid.«

»Hat sie gewusst, weshalb diese Frauen wegwollten? Womit haben sie das begründet?«

»Sie waren fort, ehe noch jemand aus der Schwesternschaft wusste, dass sie gehen würden. Daher hat sie auch mit keiner darüber reden können.«

Fidelma kniff die Augen zusammen. »Heißt das, sie sind so wie Valretrade einfach aus dem domus femina-rum verschwunden?«

Der junge Schreiber sah sie durchdringend an und versuchte, den Sinn ihrer Frage zu begreifen. »Verschwunden?«, wiederholte er.

»Wie viele verheiratete Frauen mit Kindern sind oder waren in der Klostergemeinschaft?«

»Bruder Chilperic würde das wissen«, begann Sigeric. »Schätzungsweise wenigstens«, fuhr ihn Fidelma an. »Das wirst du uns doch zumindest sagen können.«

»Ich nehme an, etwa dreißig von den Brüdern, wenn nicht mehr, hatten feste Bindungen oder waren verheiratet. Es gab etwa ein Dutzend Kinder.«

»Und diese Brüder - sind sie alle fort?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, die Brüder sind noch hier in der Abtei. Das sind vor allem die, die sich Bischof Leodegar unterwarfen und sich von ihren Frauen scheiden ließen - wie Bruder Chilperic.«

»Wie viele ihrer Frauen und Kinder sind danach im domus feminarum verblieben?« Fidelma schlug mit der Faust auf den Tisch, dass beide Männer erschreckt zusammenfuhren. »Kenntnisse braucht man. Einzelheiten! Sine scientia ars nihil est! Ohne Wissen nützt alle Kunst nichts.«

»Das verstehe ich nicht«, murmelte Bruder Sigeric.

»Ohne Kenntnis der Umstände und Einzelheiten kann ich keine Untersuchung führen. Hätte ich diese Geschichten von den verschwundenen Frauen und Kindern gewusst, dann hätte ich ganz andere Fragen stellen können.«

»Aber das sind doch nur Gerüchte«, protestierte Bruder Sigeric. »Bis auf eine Sache .«

»Und die wäre?«

»Einer der Brüder hat mit einem Händler aus der Stadt zu tun gehabt, der etwas von unserem Überschuss an Ernteerträgen abgenommen hat. Der erzählte ihm, er hätte drei Nonnen mit einem fremdländischen Mann gesehen. Darüber hätte er sich gewundert, denn er kannte die Frauen aus demdomus feminarum, früher wären sie mit Mönchen aus der Abtei verheiratet gewesen . eben bis .« Er endete mit hilfloser Geste.

»Wann wurden diese Nonnen gesehen?«

»Gerade vor einer Woche.«

»Wo? In der Stadt?«

»Er hat gesehen, wie sie in die Villa der Gräfin Beretrude gingen.«

Fidelma blieb eine Weile stumm, dann erklärte sie: »Das hätte ich längst wissen müssen. Ich muss der Sache auf den Grund gehen. Wenn diese Geschichten vom Verschwinden der Nonnen wahr sind, dann gilt es noch vieles zu klären.«

KAPITEL 12

Am darauffolgenden Tag - Morgenandacht und Frühstück lagen hinter ihnen - stand Bruder Chilperic vor dem Refektorium und passte Fidelma und Eadulf ab. Er war merklich nervös.

»Bischof Leodegar wünscht euch so bald wie möglich in seinen Gemächern zu sehen.« Auch sein Tonfall war aufgeregt.