»Dem hat die Äbtissin zugesetzt«, murmelte Eadulf.
Der Bischof empfing sie verstimmt.
»Äbtissin Audofleda hat sich bei mir beschwert.«
Fidelma ließ sich von seiner missmutigen Art nicht einschüchtern, machte eher ein besorgtes Gesicht und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Ich wollte ohnehin mit dir über diese Frau sprechen, ehe wir unseren Bericht nach Rom senden.«
»Beleidigt hättet ihr sie und vergessen, dass ...«, legte er los, hielt aber im gleichen Moment erschrocken inne. »Bericht nach Rom? Das bedarf einer Erklärung.«
»An sich wollte ich unverzüglich mit dir über sie reden, aber dann lief ich einem alten Freund von mir in die Arme, dem Emissär des Bischofs von Rom.«
»Dem Nuntius Peregrinus?« Bischof Leodegars Ton wurde etwas verbindlicher. »Du kennst ihn? Davon hat er mir nichts gesagt.«
»Selbstverständlich kenne ich ihn. Wie gesagt, ich wollte dir mein Befremden über das Gebaren der abbatissa nicht vorenthalten, aber nachdem ich ihm wiederbegegnete, fand ich es richtiger, ihn davon in Kenntnis zu setzen und meine Beschwerde an Rom zu richten.«
Bischof Leodegar war bestürzt. »Beschwerde? Wieso Beschwerde? Beschwert hat sich Äbtissin Audofleda, und zwar über euch.«
Gleichgültig zuckte Fidelma mit den Schultern. »Das wundert mich nicht. Für sie ist Angriff die beste Verteidigung. Aber was mich betrifft, kann ich nicht einfach so tun, als wäre nichts geschehen. Es gibt Dinge, über die ich nicht hinwegsehen kann.«
»Nicht darüber hinwegsehen? Was soll das heißen?« »Wenn ich mich recht erinnere, hast du davon gesprochen, dass diese Abtei - genau genommen beide Gemeinschaften, die der Ordensbrüder und Ordensschwestern - die Regel des Benedikt angenommen haben.«
Er nickte langsam.
»Dann solltest du von Äbtissin Audofleda verlangen, dass sie sich daran hält. Schließlich heißt es dort, eine abbatissa dürfe nicht vergessen, dass sie im Namen Christi handelt, stets eingedenk des höchsten Richterspruchs, der sie erwartet, wenn sie ihre Arbeit nicht wie ein armer und demütiger Landmann, der sich auf dem Acker plagt, verrichtet. Von Anfang an behandelte sie uns mit einer unbeschreiblichen Herablassung. Und als ich ihr sagte, wir würden in deinem Auftrag sprechen, denn du hättest uns die Befugnis erteilt, dem unnatürlichen Tod von Abt Dabhoc nachzugehen, lehnte sie jegliche Hilfestellung ab. Ich frage mich, wer leitet eigentlich die Gemeinschaft? Du oder Äbtissin Audofleda?«
Bischof Leodegar wurde rot. »Äbtissin Audofleda leitet das domus feminarum, aber unter meiner Zuständigkeit«, erwiderte er, in seinem Eifer gedämpft. »Sie hat mir die Sache anders dargestellt.«
»Das war zu erwarten. Ich lege Wert darauf, dass man ihr ihre Rolle und den Sinn der Regula in aller Deutlichkeit klarmacht, denn sie hat dich als ihren Vorgesetzten übergangen.«
Darauf bedacht, dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, versuchte Bischof Leodegar, wieder auf seine eigentliche Beschwerde zurückzukommen. »Äbtissin Au-dofleda hat gesagt .«
»Wie sie es dir dargestellt hat, interessiert mich wenig«, fiel ihm Fidelma ins Wort. »Es ist ärgerlich genug, dass sie als Leiterin der Schwesternschaft Stellung und Pflichten derart missachtet, dass sie sich der Befugnis, die du uns erteilt hast, einfach widersetzt. Ist es eine kluge Entscheidung, eine Frau mit ihrem Hintergrund, ohne jede Ausbildung oder frühere Erfahrung im Klosterleben, mit der Leitung des domus feminarum zu betrauen?« Eigentlich äußerte sich Fidelma nie in einer solchen Art und Weise über die Vergangenheit einer Frau, aber wenn sie es tat, dann hatte es seinen Grund. Sie hatte Bischof Leodegar aufgerüttelt, und er war nun bemüht, mit der für ihn unerquicklichen Situation fertig zu werden.
»Äbtissin Audofleda sagt .«, fing er wieder an.
»Und ich sage, dass mich ihre Vorwürfe nicht weiter treffen. Was mich erzürnt, ist ihre Handlungsweise, und für mich steht fest, dass sie einen schwerwiegenden Fehler begeht. Wenn Nuntius Peregrinus nach Rom zurückkehrt, werde ich ihn bitten, meinem guten Freund, dem nomenclatorSeiner Heiligkeit, über die Situation hier Bericht zu erstatten.«
Bischof Leodegar blieb der Mund offen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Dem nomenclator?«, krächzte er.
»Ja, dem Ehrwürdigen Gelasius. Als ich in Rom war, habe ich Ermittlungen für ihn geführt. Ich dachte, das wäre dir bekannt. Ich werde Nuntius Peregrinus bitten, einen Brief an den Ehrwürdigen Gelasius mitzunehmen, der ihn über die Verhältnisse informiert, die ich hier vorgefunden habe und die meiner Meinung nach überprüft werden sollten.« Bischof Leodegar war betroffen.
»Der Ehrwürdige Gelasius«, murmelte er. Ganz offensichtlich wusste er um den Ruf des nomenclator im LateranPalast.
»Ich nehme an, du kennst ihn?«, forschte Fidelma.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe von ihm Anweisungen bekommen, wie das Konzil abzuhalten ist ... Sendschreiben, die er im Auftrag des Heiligen Vaters geschickt hat.« »Als nomenclator ist er derjenige, der alle Beschwerden und Bittschriften erhält und den Bischof von Rom berät, wie er mit ihnen verfahren sollte. Meiner Meinung nach sollte der Ehrwürdige Gelasius wissen, wie das Oberhaupt einer der Gemeinschaften seine Arbeit tut, besonders wenn es um die Abtei geht, die gegenwärtig das Zentrum einer entscheidenden Debatte über die Zukunft der westlichen Kirchen ist. Wüsste man um die Tatsache, könnte es durchaus sein, dass man die Weisungskraft des Konzils in Frage stellt.«
Verzweifelt rang Leodegar die Hände. Ganz gegen seine Gewohnheit schlug er einen versöhnlichen Ton an.
»Da muss ein Missverständnis vorliegen, Schwester. Könntest du die Haltung der Äbtissin nicht falsch verstanden haben?«
Fidelma gab sich überrascht. »Im Gegenteil. Deutlicher konnte Äbtissin Audofleda ihre Auffassung gar nicht zum Ausdruck bringen.«
»Vielleicht war sie einem Irrtum erlegen. Ich hatte nicht persönlich mit ihr gesprochen, und mein Verwalter, Bruder Chilperic, hat ihr die Sachlage möglicherweise nicht deutlich genug erklärt.«
Fidelma blieb hart.
»Für meine Begriffe wusste sie sehr wohl Bescheid und brachte das auch mehr als deutlich zum Ausdruck. Außerdem hattest du am Tage unserer Ankunft den Sinn und Zweck unseres Aufenthaltes beim Abendgebet erläutert.« Wie die meisten selbstherrlichen Menschen hatte auch der Bischof gewaltigen Respekt vor Leuten, die ihm an Macht und Einfluss überlegen waren.
»Ich könnte doch Äbtissin Audofleda den Sachverhalt noch einmal darlegen«, schlug er einlenkend vor. »Ich würde es diesmal auch persönlich tun. Könnten wir das mit dem Brief an den Ehrwürdigen Gelasius nicht sein lassen? Angesichts dessen, was sich Rom von dem Konzil hier erhofft, könnte der Zeitpunkt für ein solches Schreiben gar nicht unpassender sein. Ich schlage vor, wir warten mit der Entscheidung darüber, bis der Nuntius sich auf den Weg nach Rom macht. Was hältst du davon?«
Eadulf, der das Gespräch mit stillem Vergnügen verfolgt hatte, sah jetzt den Moment für gekommen, seine Rolle in dem Spiel zu übernehmen. »Vielleicht hat Bischof Leode-gar recht«, sagte er mit Nachdruck. »Vielleicht hat sich die Äbtissin tatsächlich aus Unwissenheit falsch verhalten, dann wäre es nicht richtig, die ganze Gemeinschaft deswegen zu maßregeln. Ich denke, wir könnten es dem Bischof anheimstellen, sie wegen ihrer Verhaltensweise zur Rechenschaft zu ziehen.«
Bischof Leodegars Gesichtszüge hellten sich auf. »Ich bin zuversichtlich, sie zu einer bereitwilligen Mitarbeit zu gewinnen, und werde sie in eurem Sinne tadeln.«
»Das heißt, sie wird Bruder Eadulf und mir den Zugang zum domus feminarum gestatten, um auch dort unsere Nachforschungen zu betreiben?«, vergewisserte sich Fidelma.