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»Unsere Unabhängigkeit haben wir erst vor wenigen Generationen verloren.«

»Du bist demnach selbst Burgunde?«, vergewisserte sich Fidelma.

Bruder Chilperic streckte sich selbstbewusst. »Ich bin stolz darauf, dass ich von Gundahar abstamme, dem Begründer unserer Nation«, bekannte er feierlich.

»Jetzt werdet ihr aber von den Franken regiert.«

»Das Heer der Franken hat Gudomar, unseren letzten König, und unsere Kämpfer besiegt. Aber unseren Namen und unsere Identität haben wir uns erhalten. Wir sind Burgunden.«

Fidelma überlegte. »Willst du damit sagen, dass ihr - die Burgunden - lieber eigenständig, unabhängig von den fränkischen Herrschern leben würdet?«

»Vita non est vivere, sedvalere vita est!«, erklärte Bruder Chilperic mit fester Stimme. Das Leben besteht nicht nur darin zu leben, sondern auch stark und tatkräftig zu sein. »Und du hast das Gefühl, die Burgunden können unter der Herrschaft der Franken nicht gut leben und tatkräftig sein?«

»Nicht ich allein empfinde das so, sondern die Mehrheit meines Volkes. Unser Problem ist, dass Burgund schon so lange unter dem Joch der fränkischen Könige sein Dasein fristet, dass wir fast vergessen haben, dass wir Burgunden sind. Das Volk braucht etwas Symbolträchtiges, das es wieder aufrichtet.«

»Glaubst du, so etwas wird geschehen?«, fragte Eadulf. Bruder Chilperic machte eine wenig zuversichtliche Geste. »Wer weiß das schon? Es geht da ein Gerücht um .« Er blickte verstohlen in die Runde. »Ihr müsst das für euch behalten, Bischof Leodegar ist Franke und steht der königlichen Familie der Franken sehr nahe.«

»Wir möchten nur die Dinge verstehen lernen«, versicherte ihm Fidelma. »Leodegar wird nichts von dem, was du uns erzählst, erfahren. Was ist das also für ein Gerücht?« »Vielleicht habt ihr schon von dem heiligen Benignus gehört, der den Glauben hierherbrachte und als Märtyrer starb«, flüsterte er. »Vor ein paar Monaten vernahm ich zum ersten Mal ein Gerücht, das unter den Bauern von Mund zu Mund ging: Der wahre König der Burgunden würde eines Tages wieder auferstehen mit dem Symbol des Benignus und das Volk darin bekräftigen, seine Freiheit wiederzuerlangen.«

»Und das Gerücht hält sich hartnäckig?« Fidelma war bemüht, nicht erkennen zu lassen, dass sie die Sache brennend interessierte.

»Es ist nur eins von vielen. Bauern träumen immer ein wenig.« Er lachte bitter auf. »Aber wir müssen die Wirklichkeit im Auge haben.«

»Und die sieht wie aus?«

»Wir sind nur ein kleines Volk. Die Franken sind viele -Austrasien und Neustrien umzingeln und überfluten uns wie ein Meer. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als unser Los hinzunehmen.«

»Hast du uns nicht erzählt, dass du schon hier in der Abtei gelebt hast, bevor Bischof Leodegar kam?«

»Ich bin in dieser Stadt geboren und mit fünfzehn Jahren in das Kloster eingetreten. Hier habe ich meine .« Er verstummte, und leichte Röte stieg in seine Wangen. »Zur Verschwiegenheit besteht kein Grund«, half Fidelma verständnisvoll nach. »Es ist kein Verbrechen, geheiratet zu haben. Nur in den Augen von Bischof Leodegar und nach der von ihm eingeführten neuen Regel ist das so. Du wolltest gewiss sagen, du hättest hier im Kloster deine Frau kennengelernt?«

Er nickte langsam.

»Und ihr wart als Mann und Frau miteinander zufrieden und dientet dem Glauben in der Gemeinschaft hier, bis Bischof Leodegar erschien?«

»Wir waren zufrieden, weil wir nichts von unserem Fehlverhalten ahnten.«

»Und wer hat euch von dem Fehlverhalten gesprochen?« Ihre Frage erstaunte den jungen Mann. »Bischof Leodegar natürlich, der hat uns die Ordensregel auseinandergesetzt.« »Die Regula ist das eine, aber wer hat euch gesagt, dass es der einzige Weg ist, den Glauben zu leben?« Bruder Chilperic zögerte von neuem. »Du musst wissen, der Bischof rief uns zusammen, unterwies uns in dem einzig wahren Weg und vollzog unsere Trennung; wir mussten uns von unseren Frauen scheiden lassen, damit sie im domus feminarum Aufnahme fanden.«

»Und Gott sagte: >Wer hat euch gesagt, ihr wäret nackt?<«, murmelte Eadulf vor sich hin.

»Was?«, fragte Bruder Chilperic und runzelte die Stirn. »Mir kam nur eine Zeile aus der Heiligen Schrift in den Sinn«, bekannte Eadulf, »nichts weiter von Belang.«

»Als man euch so belehrt hatte, haben du und deine Frau beschlossen, euch scheiden zu lassen«, nahm Fidelma den Faden wieder auf.

»Was blieb uns denn weiter übrig.«

»Und deine Frau ging ins domus feminarum?«

»Ja.«

»Und ist noch immer dort?«

»O ja.«

»Und du hast sie seither nicht mehr gesehen, obwohl sie ganz in deiner Nähe ist?«

»O doch, ich sehe sie hin und wieder, weil unsere Aufgaben es erforderlich machen, gelegentlich etwas abzusprechen.«

»Ich dachte, zwischen den beiden Gemeinschaften ist jeder Verkehr untersagt?«, fragte Fidelma erstaunt nach. »Ich bin hier Verwalter.«

»Und deine Frau?«

»Ist die Verwalterin des domus feminarum.«

»Schwester Radegund ist deine Frau?« Fidelma gelang es nicht, ihre Überraschung zu verbergen.

Er senkte den Kopf. »Sie heißt Radegund, ja, aber ich muss darauf verweisen, dass sie nicht mehr meine Frau ist und dass ich mich auf Weisung des Bischofs von ihr losgesagt habe.«

Fidelma atmete laut und deutlich aus.

»Eins möchte ich wissen, Bruder Chilperic, du sagtest, Bischof Leodegar ist Franke. Bist du ihm nicht gram?« Verwundert über die Frage, erklärte er bestimmt: »Er ist Franke und, wie ich erwähnt habe, eng mit der königlichen Familie verbunden. Ehe ihm das Bischofsamt in Au-tun übertragen wurde, hat er lange Zeit am Hof verbracht. Er ist ein mächtiger Mann.«

»Und du dienst ihm gern?«

»Ich bin sein Verwalter.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage. Als Burgunde und bei deiner Einstellung zu den Franken muss es dich doch wurmen, dass er mit dem Amt betraut wurde und er die Lebensweise in der Abtei so drastisch verändert hat.« Bruder Chilperic stand betroffen da.

»Ich stehe im Dienst dieser Abtei, Schwester. Hier gilt die Benediktinische Regula, und ich habe geschworen, sie zu befolgen. Du musst mich jetzt entschuldigen.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging davon.

Kopfschüttelnd wandte sich Eadulf an Fidelma. »Worauf willst du hinaus? Willst du Unruhe stiften und Feindseligkeit schüren?«

»Manchmal muss man nur einen Anstoß geben und bewirkt kleine Wunder.«

»Ach komm, du glaubst doch nicht etwa, dass die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, etwas mit der Feindschaft zwischen Burgunden und Franken zu tun haben?«

Sie sah ihn an und meinte dann nach einem Stoßseufzer: »Der Probleme gibt es viele, das siehst du vollkommen richtig. Wenn du mich fragst, dann gärt es in der ganzen Gemeinschaft hier unter dem zur Schau getragenen Gehorsam. Weshalb man in Rom ausgerechnet dieses Kloster als Tagungsstätte für ein Konzil gewählt hat, in dem es um die Zukunft der Glaubenslehre geht, ist mir ein Rätsel. Langsam denke ich, der Tod des armen Dabhoc ist nur ein harmloses Vorkommnis an der Oberfläche; das eigentliche Problem liegt tiefer.« »Aber worin besteht es?«

»Keine Ahnung. Ich habe nur so ein Gefühl - mehr nicht.« »Schau, da kommt der Kämmerer von Bischof Ordgar. Er hat uns bemerkt und steuert auf uns zu.«

Eine hochgewachsene Gestalt überquerte das anticum. Es war in der Tat der junge Bruder Benevolentia, der zielgerichtet auf sie zukam.

»Bischof Ordgar hat mir aufgetragen, falls ich euch sehe, zu fragen, wie lange sich eure Nachforschungen noch hinziehen«, sagte er statt einer Begrüßung.

»Ich könnte wetten, er hat das anders formuliert«, bemerkte Eadulf amüsiert.