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Eadulf dachte einen Moment nach. »Wie viele Frauen leben zurzeit hier?«

Die Frage beantworte wieder Schwester Radegund. »Fünfzig leben im domus feminarum.«

»Und wie viele waren es vorher?«

»Vielleicht an die siebzig.«

»Ein betrüblicher Schwund«, bemerkte er.

»Mitunter muss man die Spreu vom Weizen trennen«, erklärte Äbtissin Audofleda salbungsvoll.

»Das ist wohl wahr«, stimmte ihr Eadulf zu und mühte sich, versöhnlich zu klingen. »Diejenigen, die geblieben sind, zeigen doch wohl die rechte Hingabe, wie es die Regula verlangt?«

»Ich bin überzeugt, dass dem so ist.«

»Das klingt gut. Du musst stolz sein auf das gute Werk, das du hier getan hast. Sagtest du nicht, Bischof Leodegar hätte dich gerade aus diesem Grunde an dieses Haus berufen?«

»Das stimmt.«

»Aus Divio stammst du, glaube ich, hast du gesagt.« »Dergleichen habe ich nicht gesagt.«

»Dann muss ich es von jemand anderem gehört haben. Doch von Divio bist du hierhergekommen, nicht wahr?«, fuhr Eadulf beharrlich fort. »Du musst schon dort erfolgreich gewirkt haben, wenn der Bischof dich hierherholte.« »Über mein Werk hier hat Bischof Leodegar nicht klagen können«, äußerte sich die abbatissa abweisend.

»Gewiss, gewiss«, sagte Eadulf leichthin und wechselte das Thema. »Unterhält das Haus hier gute Beziehungen zu Gräfin Beretrude?«

Die Äbtissin blickte rasch zu Schwester Radegund und dann wieder zu ihm. »Gräfin Beretrude? Sie ist die Mutter von Graf Guntram, unserem Gaugrafen, und eine Wohltäterin unseres Hauses.«

»Man hat mir berichtet, ihr Burgunden haltet sie für eine großherzige Gönnerin.«

Äbtissin Audofleda reagierte verstimmt. »Ich gehöre zu den Franken. Aber wahr ist, wir haben Grund, ihr dankbar zu sein.«

»Ich bitte um Verzeihung ... eine Fränkin aus Divio? Ich meine, das ist doch eine burgundische Stadt.«

»Ich habe damit nicht gesagt, dass ich dort geboren wurde oder aufgewachsen bin, doch ich hatte die Leitung eines...«

»Eines anderen domus feminarum. Nun verstehe ich. Aber mit Gräfin Beretrude bist du doch in gutem Einvernehmen, oder? Billigt sie die Veränderungen, die in der Abtei vor sich gegangen sind?«

»Natürlich«, beeilte sich die Äbtissin zu bestätigen.

»Du triffst dich wohl häufig mit ihr, um verschiedene Dinge zu besprechen?«

»Häufig gerade nicht. Bei gewissen Vorgängen vertritt mich mitunter meine Verwalterin.«

»Bei gewissen Vorgängen?« Eadulf blickte Schwester Radegund an, doch die Verwalterin schaute zu Boden.

»Meine Verwalterin und ich erörtern die Dinge mit dem Bischof, und falls sich etwas sehr Wesentliches ergibt, das Gräfin Beretrude oder Graf Guntram sofort zur Kenntnis gebracht werden muss, dann unternimmt das meine Verwalterin in meinem Auftrag.«

»Außer Schwester Radegund hätte also niemand aus deiner Gemeinschaft Anlass, sich zu Gräfin Beretrudes Villa zu begeben?«

»Es muss sich schon um einen außergewöhnlichen Anlass handeln, wenn sich jemand vom domus feminarum in die Stadt begibt«, entgegnete die Äbtissin unwirsch.

»Zum Beispiel?«

Fast fauchend machte die abbatissa ihrer Ungeduld Luft. »Also wirklich, Bruder Eadulf! Ich begreife nicht, was diese Fragen bezwecken sollen.«

»Dennoch wäre ich dir für eine Antwort sehr verbunden«, entgegnete Eadulf hartnäckig. »Mir geht etwas im Kopf herum, worüber ich Klarheit gewinnen möchte.«

Die Frau setzte zur Gegenwehr an, zuckte dann aber die Achseln. »Also zum Beispiel, einige Delegierte zum Konzil, das der Bischof einberufen hat, haben Ehefrauen oder sonstige Frauenzimmer in Unkenntnis der Regula mitgebracht und ohne sich im Klaren zu sein, welche Sitten hier herrschen. Sie wurden in einem Gasthof im Ort untergebracht, denn man hätte sie in keinen Teil der Abtei aufnehmen können - lediglich der Frau aus Hibernia hat der Bischof Dispens erteilt.« Es war spürbar, wie sehr sie das wurmte.

»Und wie ergab sich daraus der außergewöhnliche Anlass, bei dem Angehörige dieser Gemeinschaft sich außerhalb der Abtei bewegen durften?«

»Der Bischof bat darum, einigen ausgewählten Mitgliedern meiner Gemeinschaft zu gestatten, diesen auswärtigen Frauen behilflich zu sein und sie während ihres Aufenthalts in der Stadt zu begleiten. So war ein Besuch des römischen Amphitheaters vorgesehen, bei dem ein paar unserer Schwestern zur Begleitung der Besucher benötigt wurden.«

»Gehörte Schwester Valretrade zu ihnen?«, fragte Eadulf, dem sich dieser Gedanke plötzlich aufdrängte.

»Hätten wir geahnt, dass man ihr nicht vertrauen konnte, dann .«, mischte sich Schwester Radegund ein, verstummte aber sogleich, als sie den vernichtenden Blick der Äbtissin auffing.

»Hätten wir geahnt, dass sie dieses . dieses Verhältnis angefangen hatte«, fuhr die abbatissa fort, »hätten wir ihr nicht die Aufgabe übertragen, die Frauen der Fremdländischen zu begleiten.«

»Wann habt ihr herausgefunden, dass sie ein Verhältnis hatte? War das, bevor sie verschwand?«

Äbtissin Audofleda stampfte mit dem Fuß auf. »Das ist nun wirklich die Höhe! Wir haben dir alle erdenkliche Geduld entgegengebracht. Die Befragung ist beendet.« »Warum gestattest du nicht deiner Verwalterin, mir zu antworten?«

»Weil es mir nicht beliebt«, erwiderte die Beherrscherin des Frauenhauses. »Entferne dich.« Das Kinn war vorgeschoben, ihre Lippen nur ein dünner Strich.

Eadulf hatte noch viele Fragen stellen wollen, musste aber einsehen, dass es zwecklos war. Mit unbeweglicher Miene schaute er sie an. »Es liegt bei dir, Äbtissin. Natürlich werden wir in unserem Bericht an den Ehrwürdigen Gelasius in Rom nicht verschweigen, wie wenig du bereit bist, uns in unseren Nachforschungen zu unterstützen.«

Er schritt zur Tür und sah noch, wie Schwester Radegund die Äbtissin ängstlich ansah, doch die warf nur hochmütig den Kopf in den Nacken.

»Den Weg nach draußen findest du allein«, rief ihm seine Gegnerin unhöflich nach.

Draußen blieb Eadulf stehen. Er war enttäuscht, hatte er doch nur wenig mehr erfahren, als er bereits vermutet hatte: Schwester Valretrade hatte die Abschiedszeilen nicht geschrieben, und sie hatte die Abtei nicht aus eigenem Antrieb verlassen.

Er ging den Korridor entlang zur Treppe, die zum Haupteingang führte. Da flüsterte ihm jemand zu, er möge einen Moment warten. Eadulf wandte sich um. Im Schatten einer tiefen Nische stand ein junges Mädchen in Schwesterntracht. Wie eine Verschwörerin winkte sie ihn zu sich. »Bruder, ich muss mit dir reden.«

KAPITEL 15

Das Mädchen streckte eine Hand aus und zog ihn in die Nische. Es wirkte geradezu verängstigt. »Ich sah dich ins Gemach der abbatissa gehen. Bist du nicht der Sachse, der die Frau aus Hibernia begleitet? Und stellt sie nicht die Nachforschungen an wegen der Todesfälle in der Abtei?«

»Ja, und wer bist du?«

»Ich heiße Inginde.«

»Ah, natürlich.« Eadulf schaute sich rasch um. »Jetzt miteinander zu reden, ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt. Jeden Moment dürfte Schwester Radegund auftauchen, um sich zu vergewissern, dass ich das Haus verlasse.«

»Ich wollte nur hören, ob du inzwischen etwas über Val-retrade erfahren hast?«

»Wir suchen noch nach ihr, aber eins kann ich dir versichern: Aus eigenem Entschluss hat sie die Abtei nicht verlassen. Die Abschiedszeilen, die sie zurückließ, stammen nicht von ihrer Hand.«

»Woher willst du das wissen?«

»Jeder Schreiber wird dir erklären, dass alle Kopisten ihren eigenen Stil haben, die Buchstaben zu formen. Ich konnte mich überzeugen, dass die Schriftzeichen in ihrem Brief nicht ihrer Schreibweise entsprechen.« Er hielt ein, weil ihm ein anderer Gedanke durch den Kopf schoss. »Gibt es in diesem Gebäude einen Raum, wo man sie vor den Augen der Schwesternschaft verborgen halten könnte?«