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Draußen stieß er auf Bruder Sigeric, der gerade hineingehen wollte. Doch Eadulf zog die Tür entschlossen zu und erklärte dem verdutzt dreinschauenden Schreiber: »Da drin arbeitet Bruder Chilperic.«

»Dann gehen wir lieber woanders hin, wo wir ungestört miteinander reden können«, schlug Bruder Sigeric sofort vor.

Sie begaben sich auf den Innenhof der Abtei und blieben beim Brunnen mit dem Wasserspiel stehen. »Du hast noch einmal mit der Äbtissin gesprochen. Hat sie dir den Brief gezeigt, den Valretrade hinterlassen hat?«

»Die Buchstaben trugen nicht die Merkmale, wie du sie uns beschrieben hast.« Eadulf nahm das Täfelchen aus Birkenrinde aus seinemmarsupium und reichte es Bruder Sigeric. »Sämtliche Abschiedszeilen der verheirateten Frauen, die die Gemeinschaft verlassen haben, stammen von ein und derselben Hand.«

»Hab ich es doch gewusst! Valretrade hat das nicht geschrieben«, sagte der junge Mann nach einem flüchtigen Blick auf die Birkenrinde. »Das kann ich beschwören.« Besorgt fragte er: »Was können sie mit ihr angestellt haben? Du bist sicher, dass sie nicht die Gefangene Audofledas ist?«

»Im domus feminarum ist sie nicht. Auch die anderen verschwundenen Frauen und Kinder sind nicht dort.«

»Und deiner Meinung nach ist es nicht von ungefähr, dass so viele verschwunden sind?«

»Jedenfalls glaube ich das. Sag mal, kennst du Bruder Andica?«

»Den Steinmetz? Wieso fragst du nach ihm?«

»Gibt es für ihn einen Grund, sich im domus feminarum aufzuhalten?«

»Als Steinmetzmeister obliegt es ihm, in allen Gebäuden der Abtei aufgetretene Schäden festzustellen und sie auszubessern.«

Mit einer so einfachen Erklärung hatte Eadulf nicht gerechnet. »Ist ja klar, daran habe ich nicht gedacht.«

»Bevor die Trennung von Nonnen und Mönchen vom Bischof durchgesetzt wurde, gab es eine lange Galerie, die die beiden Gebäudeteile miteinander verband. Andica hatte den Auftrag, diesen Gang zu versperren; um das zu tun, musste er auf beiden Seiten der Mauer arbeiten, die er errichtete. Das dürfte der Grund sein, warum er sich dort frei bewegen kann.«

»Meinst du, er arbeitet öfter in der Galerie?«

»Da bin ich mir ziemlich sicher.«

»Heißt das, man kann sich auch heute noch zwischen den beiden Häusern der Abtei bewegen? Dann gibt es außer dem Weg durch die unterirdischen Gewölbe, den du uns gezeigt hast, noch eine andere Möglichkeit, ins domus feminarum zu gelangen?«

Bruder Sigeric schüttelte heftig den Kopf. »Man spricht nur noch von der verbotenen Galerie. Es ist uns untersagt, sie zu betreten. Die Zugänge sollen alle versperrt sein.« »Wo ist diese Galerie, wie sieht sie aus?«

»Sie ist lang und überdacht und gehört zu dem ursprünglichen römischen Gebäude, auf dessen Grund die Abtei steht. Du musst dir das Ganze als einen hohen Bogengang vorstellen, an dessen Seiten jeweils eine Obergalerie verläuft. Oben stehen auch einige antike Statuen. Am äußersten Ende ist ein Rundbogen mit einer Tür, die ins domus feminarum führt, aber die müsste Bruder Andica längst zugemauert haben. Niemandem ist gestattet, dort hinaufzusteigen; es wäre auch sinnlos, da die Galerie keinen Zweck mehr erfüllt.« Eadulf schwieg und überlegte. Bruder Sigeric setzte seiner Grübelei ein Ende. »Was werdet ihr unternehmen, um Valretrade aufzuspüren?« »Sobald Fidelma wiederhergestellt ist .«, sagte er, nach Worten suchend, legte dann aber eine Hand auf Sigerics Arm und mühte sich, Zuversicht in seine Stimme zu legen. »Gräm dich nicht, wir werden sie schon finden. Überlass das uns, und rede mit keinem weiter darüber. Wir halten dich auf dem Laufenden.«

Noch am nächsten Morgen beschäftigte Eadulf der Gedanke an die Galerie. Fidelma war aufgestanden und fühlte sich bereits recht wohl. Das Bein schmerzte nach wie vor ein wenig, aber die Schwellung war zurückgegangen, und sie konnte ohne Hilfe gehen. Auch war ihr Appetit zurückgekehrt, und sie langte beim Frühstück tüchtig zu.

Bald danach schaute Bruder Gebicca vorbei, untersuchte die Wunde und war zufrieden, dass sie gut verheilte. »Das Gift hat sich aufgelöst, und offenbar ist nichts davon zurückgeblieben. Morgen dürfte nichts mehr zu spüren sein.«

Kaum hatte Bruder Gebicca sie verlassen, da wollte Fidelma von Eadulf noch einmal hören, wie die Begegnung mit Äbtissin Audofleda verlaufen war und was sich daraus ergab. Er hatte ihr schon am Abend zuvor ausführlich davon berichtet, doch sie hatte sich noch matt gefühlt und es nicht recht aufnehmen können. Nun hörte sie schweigend zu, hakte nur gelegentlich ein und stellte Fragen. Er erzählte ihr auch von seiner Begegnung mit Bruder Andica, dem Gespräch mit Schwester Inginde, bestätigte, dass Schwester Radegund mit Beretrude verwandt war und verschwieg nicht die Warnung, die Bruder Chilperic übermittelt hatte, Bischof Leodegar sei drauf und dran, ihre Nachforschungen zu unterbinden.

»Dazu darf es nicht kommen«, ereiferte sich Fidelma, »jetzt, wo wir wissen, es geht um mehr als den Streit zwischen Cadfan und Ordgar. Verbas von Peqini schleicht um Beretrudes Villa herum. Warum? Schwester Radegund ist eine Verwandte Beretrudes. Alle verheirateten Frauen und ihre Kinder haben die Schwesternschaft verlassen. Du warst Zeuge, wie einige von ihnen in der Villa von Beretrude verschwanden. Da stimmt eine ganze Menge nicht.« Sie dachte kurz nach und fuhr dann fort: »Ich möchte zu gern wissen, was es mit dieser Galerie auf sich hat, die Bruder Sigeric erwähnt hat. Als Bruder Chilperic uns in der Abtei herumführte, hat er sie uns nicht gezeigt.« »Da sie ja zugesperrt ist und niemand diesen Gang zwischen der Abtei und dem Frauenhaus benutzen kann, hat er es wahrscheinlich nicht für wichtig gehalten. Die verbotene Galerie< heißt sie jetzt, wie Bruder Sigeric mir erzählt hat.«

»Egal, wir müssen uns ein Bild davon machen und können uns nicht auf bloßes Hörensagen verlassen. Weißt du, wo sich diese geheimnisumwitterte Galerie befindet?«

»So ungefähr; Bruder Sigeric hat es mir beschrieben.«

»Dann muss es heute unsere allererste Aufgabe sein, sie uns anzuschauen.«

Fidelma schätzte an Eadulf sein räumliches Vorstellungsvermögen, das untrüglich war. Er brauchte nur ein Gebäude zu sehen und wusste gleich, wie die Räumlichkeiten darin sich zueinander verhielten, ohne sich die Sache von innen zu betrachten. Allein vom Erscheinungsbild der düsteren Außenmauern hatte er richtig geschlussfolgert, wie die einzelnen Gebäudeteile miteinander verbunden waren. So konnte er Fidelma rasch durch das große, jetzt aber leere Refektorium führen, vorbei an den Küchen und Vorratskammern. Niemand schien sich in diesem Teil der Abtei aufzuhalten. Er schaute prüfend in verschiedene Seitengänge, und sie gelangten in eine Halle, die voller Steinmehl war und in der einige Blöcke aus Kalkstein, ja sogar aus Marmor herumstanden. Auch lagen Maurerwerkzeuge hier und da verstreut, doch keine Menschenseele ließ sich blicken.

»Die Galerie muss am Ende der Halle beginnen, hinter den Türen dort«, erklärte Eadulf zuversichtlich.

Die Türen waren nicht verschlossen, und sobald Eadulf sie öffnete, tat sich vor ihnen ein langer Gang auf. Er war breit, wirkte aber schmal, denn auf jeder Seite trugen zehn Pfeiler eine gewölbte Decke, die gut fünfzig Fuß hoch war. Die Pfeiler waren wie große römische Säulen kanneliert und verjüngten sich nach oben. Gemauerte Bögen verbanden die Pfeiler miteinander. Dreißig Fuß über dem Boden dieses Bogenganges verlief rechts und links hinter den Pfeilern jeweils eine Galerie, deren Grundfläche sich in einer Ebene mit der Basis der Gewölbebögen befand.

Im Zentrum jedes so geformten Bogens stand eine Statue, fünf insgesamt auf jeder Seite. Sie stellten augenscheinlich Krieger in den Rüstungen des antiken Rom dar. Der Fußboden des Ganges war mit Mosaiksteinchen ausgelegt, die verschlungene Muster bildeten, wie sie in Rom häufig vorkamen. Seinen Abschluss bildete ein großer Bogen, in den vormals Türen eingefügt waren, den jetzt aber Steinblöcke verstellten, die man offensichtlich erst vor kurzem dort aufgeschichtet hatte.