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»Hast du wirklich vor, da hinaufzusteigen, Schwester?« »Ja, ich bin fest entschlossen«, erwiderte sie unerschütterlich.

»Das ist ziemlich gefährlich. Schließlich ist eine Statue gerade abgestürzt. Das Mauerwerk dürfte brüchig sein.« »Du bringst mich davon nicht ab.«

»Dann sollte ich lieber mitkommen, falls dir da etwas zustößt. Lass mich vorgehen.«

Fidelma zuckte die Achseln und ließ den jungen Mann vor.

Leichtfüßig erklomm er die Wendeltreppe. Bald befanden sie sich in einem Korridor, dessen Fußboden Holzplanken bildeten. In die Außenmauer waren Fensteröffnungen eingelassen, durch die Tageslicht drang, die andere Seite bildeten die Arkaden mit den Nischen, in denen die großen Statuen standen, jede etwa sechs Fuß hoch. Eine dieser Höhlungen war leer, und Fidelma ging geradewegs darauf zu. Die Galerie zog sich bis zu einem anderen Treppenhaus hin, in dem sie verschwand.

»Wo führt die Galerie eigentlich hin?«, fragte sie ihren Begleiter.

»An ihrem Ende hinter der Holztür beginnt das domus feminarum, Äbtissin Audofledas Bereich der Abtei. Aber die Tür ist immer verschlossen.«

Fidelma blickte in die Richtung und stellte fest: »Zugemauert wie die Haupttür unten ist sie offenbar nicht.«

»Sie ist einfach zugeschlossen. Nur der Bischof hat einen Schlüssel. Hier kommt sonst niemand hoch.«

Ihr Augenmerk galt wieder der Nische unter dem Pfeilerbogen. Mit raschem Blick erkannte sie, von selbst hätte das Standbild auf keinen Fall umstürzen können. Prüfend schaute sie auf den Sockel, der völlig stabil war, an den Kanten allerdings gab es Absplitterungen und frische Kratzspuren. Mit brutaler Gewalt hatte man eine Brechstange unter die schwere Steinfigur getrieben, um sie auszuhebeln und genau in dem Augenblick zum Absturz zu bringen, als sie dort unten entlanggingen. Sie bückte sich und betrachtete eingehend die verräterischen Spuren. Es überlief sie kalt, denn ihr Verdacht bestätigte sich: Jemand hatte versucht, sie umzubringen. Ob es nun reine Intuition war oder ihr Reaktionsvermögen, das sich mit den Jahren ihrer Erfahrung als dalaigh geschärft hatte, sie spürte, wie sich ihr von hinten etwas näherte, und warf sich im gleichen Moment zur Seite. Instinktiv hatte sie richtig gehandelt. Sie bemerkte den Klosterbruder neben sich, sah, wie er eine Sekunde mit ausgestreckten Händen schwankte, denn er hatte sie aus dem Arkadenbogen nach unten auf den Gang stoßen wollen. Erschreckt riss er die Augen auf und fuchtelte verzweifelt mit den Armen im vergeblichen Bemühen, sein Gleichgewicht zu halten. Mit einem Angstschrei fiel er vornüber und stürzte auf die Trümmer der Statue.

KAPITEL 16

Kopfschüttelnd betrachtete Bruder Gebicca Eadulfs Bein. »Mir scheint, ihr wollt mein Können auf die Probe stellen, wie ich Wunden am Bein zu behandeln verstehe.« Er wurde von Bruder Benevolentia abgelenkt, der ungeduldig herumstand. »Ja, was gibt es?«

»Werde ich hier noch gebraucht?«, fragte der. »Ich habe etliches für Bischof Ordgar zu erledigen.«

Statt des Arztes antwortete Eadulf und entließ ihn, denn er kam nun ohne seine Hilfe zurecht. Bruder Gebicca wusch ihm das Blut vom verletzten Bein und untersuchte die Wunde eingehender.

»Eine kleinere Schnittwunde und mehrere Abschürfan-gen«, stellte er fest. »Das müsste rasch abheilen, aber ohne blaue Flecken geht das nicht ab. Wie ist es denn passiert?« »Ich war in dem alten Durchgang mit den Statuen, und eine von den Dingern ist umgekippt.«

»Du warst in der verbotenen Galerie?«, fragte Bruder Gebicca überrascht.

»Ja, ich glaube, wir meinen dasselbe.«

»Bischof Leodegar hat den Brüdern untersagt, sich dorthin zu begeben. Was hast du da gewollt?« Er merkte, dass Eadulf mit einer Antwort zögerte, und fuhr fort: »Ist schon gut, du brauchst es mir nicht zu sagen. Halt lieber still, damit ich die Wunde reinigen und verbinden kann.«

Das Herz schlug Fidelma bis zum Hals. Sie kroch auf allen vieren zum Rand der Galerie und lugte zu dem Mosaikfußboden nach unten. Allein von der Position des Kopfes des Hinuntergestürzten her war es müßig, sich die Frage zu stellen, ob der junge Mann tot war oder nicht. Stimmen drangen zu ihr nach oben, und zwei Mönche, von denen sie den einen zu ihrer Verwunderung als Bruder Benevolentia erkannte, beugten sich über den Toten. Fidelma zog sich rasch zurück, damit man sie nicht sah, und atmete nach dem Schock des soeben Erlebten erst einmal tief durch.

Gleich darauf war sie wieder auf den Beinen und eilte die Galerie entlang. Den Gedanken an den jungen Mann war sie bemüht zu verdrängen. Ihr Verdacht hatte sich bestätigt: Zumindest einer der Mönche war an dem Versuch, sie und Eadulf zu töten, beteiligt. Gleichzeitig wurde ihr klar, dass es Mittäter geben musste, und die Vorstellung ließ sie kurz stehen bleiben, als sie oben am Treppenabsatz angelangt war. Stiege sie jetzt hinunter, würde man sie sofort entdecken. Möglicherweise war dort unten noch jemand, der es auf sie abgesehen hatte. Auch ging ihr durch den Kopf, dass außer ihrer Aussage keinerlei Beweise existierten, dass der junge Mönch versucht hatte, sie in den Tod zu stürzen.

Sie schaute sich um. Gab es einen Weg, die Gruppe erregter Brüder da unten zu meiden, zu denen sich inzwischen noch weitere gesellt hatten? Der mit Dielen ausgelegte Gang führte jenseits des Treppenabsatzes weiter. Sie folgte ihm und gelangte kurz darauf an ein zweites Treppenhaus. Wenn sie hier hinunterginge, müsste sie außer Sichtweite der Mönche im alten Gang sein. Vorsichtig nahm sie die Stufen und stieß, unten angelangt, auf Räumlichkeiten der Klosterküchen. Rasch strebte sie einer gegenüberliegenden Tür zu, befand sich im Haupthof vor der Abtei und eilte schnurstracks zum Haus des Apothekers.

Eadulf wurde gerade der Verband angelegt, als sie den Behandlungsraum betrat. Er war erleichtert, sie zu sehen. Sie mied seinen fragenden Blick und erkundigte sich beim Arzt: »Sieht es böse aus?«

»Um Haaresbreite wäre der Muskel durchtrennt gewesen, einen Fingerbreit weiter, und Bruder Eadulf hätte keinen Mucks mehr gesagt«, erwiderte er fröhlich und legte einen Wickel aus Moosen an, der die Blutgerinnung unterstützen sollte. Darüber folgte ein Verband aus weißen Leinenstreifen. Nach vollbrachtem Werk richtete er sich auf und meinte zu Eadulf: »Ruhe würde der Heilung dienlich sein. Aber ich kann es wohl auch lassen, dir das zu sagen.«

»Wenn ich unbedingt laufen muss, nehme ich eben einen Stock«, erklärte Eadulf.

»Ich rate dir dringend davon ab«, bekam er zur Antwort. »Du willst dir gewiss nicht zusätzliche Beschwerden einhandeln oder die Wunde wieder zum Bluten bringen wollen. Gönn dir ein paar Tage Ruhe, dann heilt sie besser. Und was dich betrifft« - mit diesen Worten wandte er sich an Fidelma -, »so hättest du auch länger liegen sollen.« Dann entschuldigte er sich für einen Augenblick, er wolle eine Salbe für Eadulf holen.

Eadulf sah Fidelmas Gesicht an, dass sie etwas wusste, worüber sie aber erst sprechen wollte, wenn ihnen wirklich niemand zuhören konnte. Er hätte gern ein paar Worte mit ihr unter vier Augen gewechselt, doch das war ihm nicht vergönnt, denn Bruder Chilperic kam hereingestürzt. Sein besorgter Blick galt Eadulf.

»Ich habe gehört, eine herabstürzende Statue hätte dich verletzt.«

»Es ist nichts weiter, nur ein paar Kratzer.«

»Außerdem soll es einen furchtbaren Unfall gegeben haben im ... Da, wo der Steinmetz arbeitet. Ich wollte gerade dorthin, als ich von einem der Brüder erfuhr, Bruder Benevolentia hätte dich hierhergebracht.«

»Das ist richtig. Eine Statue ist herabgestürzt, und ein Marmorbrocken hat mich erwischt, das ist alles.« Er hatte den Satz kaum beendet, da tauchte ein anderer Mönch aus der Bruderschaft auf, der offensichtlich Bruder Chilperic suchte. »Der Steinmetz ist tot«, platzte er heraus. »Du musst sofort kommen.«