»Meines Wissens ja. Das Verhältnis zwischen Beretrude und Guntram hingegen lässt zu wünschen übrig.« »Inwiefern? Wegen des Lebensstils ihres Sohnes?«
»Die Gräfin ist ehrgeizig, Guntram aber ist alles egal. Ich habe ja schon gesagt, er verbringt die meiste Zeit mit Jagen, oder mit .« Bruder Budnouen blickte verlegen zu Fidelma, » . oder mit gewissen Unterhaltsamkeiten. Guter Wein und leichte Frauen. Ich gebe nur weiter, was allgemein bekannt ist«, fühlte er sich bemüßigt zu ergänzen, als bedürfte es einer Entschuldigung.
»Oft genug beruht allgemein Bekanntes auf bloßem Gerede«, wandte Eadulf vorsichtig ein.
»Da ist etwas Wahres dran, Bruder Eadulf«, gab der Gallier zu. »Doch wovon ich eben sprach, ist die reine Wahrheit.«
Sie hatten den Waldrand erreicht. Baumloses Weideland erstreckte sich weit in die Ferne und verschwamm in einer Hügelkette.
»Guntrams Burg befindet sich am Anfang des Tals, das jenseits des Bergabhangs dort liegt«, erklärte Bruder Bud-nouen und zeigte mit der Hand in die entsprechende Richtung.
Gemächlich fuhren sie weiter, ein jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Kurz darauf wurden sie von einem jungen Krieger hoch zu Ross angerufen. Er tauchte aus der Deckung eines Hügels auf und kam auf sie zugeritten. Offensichtlich kannte Bruder Budnouen den Mann, sie wechselten ein paar Worte, der Krieger ließ sie passieren und machte wieder kehrt.
»Einer von Guntrams Wächtern, die den Zugang zu seiner Burg schützen«, erklärte Bruder Budnouen.
Immer weiter ging es durch Weideland, bis sie an das Tal kamen, das eingebettet zwischen Hügeln lag.
Graf Guntrams Burg war ein eigenartiges Gebilde aus Stein und Holz. Hohe Mauern umgaben die einzelnen Gebäude. Auf die Mauern waren kleine Türmchen gesetzt, in denen vermutlich Wachposten standen. Auf Fidelma wirkte die Burg befremdend. Solche Bauten kannte sie aus ihrem Heimatland nicht. Die Anlage hatte Ecken und Kanten, keine fließenden Kurven oder Rundungen. Das Bild, das sich ihnen hinter dem Schutzwall bot, überraschte sie noch mehr. Da stand ein immens großer Palas, der Villa von Gräfin Beretrude nicht unähnlich. Er musste aus der Römerzeit stammen und hatte, wie die Befestigungsanlagen auch, die Jahrhunderte gut überdauert.
Graf Guntram war offensichtlich jemand, der auf Sicherheit bedacht war. An den mächtigen Holztoren standen junge Krieger, und weitere schritten wachsam die Mauern ab. Bruder Budnouen schien ihnen kein Unbekannter zu sein, er wurde freimütig und mit Willkommensrufen empfangen. Im inneren Burghof hielt er sein Gespann an; ein Mann - wie sie glaubten der Gesindevorsteher von Guntrams Hausstand - kam auf ihn zu.
»Sei gegrüßt, Bruder Budnouen«, sagte er, während der vom Wagen kletterte. »Was bringst du diesmal Schönes aus Nebirnum?«
Die beiden Männer unterhielten sich dermaßen schnell in der Sprache der Burgunden, dass Eadulf ihnen nicht folgen konnte, nur dass mehrfach sein und Fidelmas Namen fielen, bekam er mit. Neugierig musterte sie der Gesindevorsteher. Auch sie waren abgestiegen und standen nun etwas unschlüssig hinter Bruder Budnouen.
»Ihr wünscht also mit Graf Guntram zu sprechen?«, fragte er sie in etwas unbeholfenem Latein.
»Ja«, erwiderte Fidelma. »Würdest du ihm bitte sagen, dass es uns um die Abtei in Autun und die Vorfälle dort geht?«
»Soviel ist mir schon klar«, entgegnete der Mann mit einem leichten Kopfnicken zu Bruder Budnouen hin. »Kommt mit.«
»Wenn ich alles abgeladen habe, warte ich hier auf euch, und wir fahren gemeinsam nach Autun zurück«, rief ihnen Bruder Budnouen noch nach, als sie dem Gesindevorsteher ins Hauptgebäude folgten.
Der Hüter des Hauses, der keine Miene verzog, bat sie, im Vorraum zu warten, während er sie Graf Guntram meldete. Nach den abweisenden, grauen Steinmauern der Abtei erregte der Raum hier ihre Verwunderung. Die Wände trugen rosa Putz, auf den waren Fresken gemalt: Satyren, ein Panflöte spielender Mann, junge Männer, die mit Mädchen herumtollten. Die Farben waren etwas verblasst, die Kunstfertigkeit der Bilder war jedoch beeindruckend. Vor einem Holzfeuer standen Stühle; sie hatten sich kaum gesetzt, als der Gesindevorsteher zurückkam.
»Graf Guntram heißt euch willkommen und bittet um Entschuldigung, dass er euch nicht sofort empfangen kann. Wünscht ihr ein paar kleine Erfrischungen?«
»Ich habe eine Bitte.« Etwas verlegen erhob sich Eadulf. »Wir haben eine lange Fahrt hinter uns. Könntest du mir zeigen, wo das necessariumist?«
Augenscheinlich wusste der Mann mit dem Begriff nichts anzufangen und schaute leicht verwirrt drein. Eadulf unterstrich sein Anliegen mit Gesten und griff schließlich auf seine eigene Sprache zurück. Das Wort abort verfehlte nicht seine Wirkung.
Der Mann gab ein verständnisvolles »Ah« von sich.
»Links hinter den Ställen.« Er brachte Fidelma einen Becher Apfelwein und Dörrobst und überließ sie sich selbst. Eadulf blieb eine Weile fort, und als er zurückkehrte, kam er nicht mehr dazu, sich zu setzen, denn der Gesindevorsteher erschien erneut und bat sie in den danebenliegenden Raum.
Trotz des angenehm warmen Spätsommertages brannte auch hier ein Holzfeuer, an dem ein hagerer junger Mann stand. Die scharfen Gesichtszüge wurden durch die blauen Augen und das lockige schwarze Haar gemildert. Im Grunde genommen war er hübsch, fand Fidelma. Kinn und Mund verrieten eine gewisse Unsicherheit. Die Lippen waren so rot, als hätte er roten Beerensaft zum Schminken benutzt, wie es Frauen aus besserem Hause in Fidelmas Heimatland taten. Die Ähnlichkeit, mit Gräfin Beretrude war unverkennbar, genau so, wie es Fidelma auch bei Schwester Radegund aufgefallen war. Sie überlegte kurz: An wen erinnerte sie das Gesicht noch? Beretrude, Radegund, jetzt Guntram - an wen noch?
Guntram stand mit leicht gespreizten Beinen da, die Hände auf dem Rücken und nahm sie ins Visier. Dann sah er zu seinem Gesindevorsteher, der sie namentlich vorstellte. »Man hat mir mitgeteilt, ihr ermittelt auf Bitten des Bischofs im Mordfall von Abt Dabhoc«, begann er in fließendem Latein. Weniger freundlich fügte er hinzu: »Autun liegt in meinem Herrschaftsbereich. Bischof Leodegar hat es versäumt, diesbezüglich mein Einverständnis einzuholen.«
Fidelmas Augen wurden eine Spur größer, aber sie wahrte die Fassung.
»Nichts liegt uns ferner, als uns aufzudrängen, wenn wir unerwünscht sind, Graf Guntram. Als wir in Autun ankamen, erbat man sich unsere Hilfe, und da es sich um einen Vorfall in der Abtei handelte, war Bischof Leodegar sicher der Auffassung, dass es ihm zustünde, uns mit der Untersuchung des Falles zu beauftragen. Zweifelst du seine Berechtigung dazu an?«
Der junge Mann schwieg einen Augenblick.
»Ich bin Guntram, Prinz der Burgunden und der Gaugraf hier«, psalmoderte er, als hätte er es schon x-mal wiederholt. »Ich bin Nachfahr von Gundahar in direkter Abstammung. Er war der erste große Führer der Burgunden und schlug den römischen General Aetius. Unsere Linie ist zurückzuverfolgen bis in uralte Zeiten, damals konnten die Ahnen von Chlodio dem Franken noch nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben. Ich verkörpere das oberste Gesetz.«
Ernst neigte Fidelma ihr Haupt. »Einen großen Prinzen erkennt man an seinen Handlungen, nicht an der Aufzählung seiner Vorfahren«, brachte sie ihre Auffassung auf den Punkt.
Eadulf überlief es kalt. Fidelmas Direktheit konnte sich als unklug erweisen bei diesen Franken und Burgunden, die offensichtlich sehr viel Wert auf Rang und Herkunft legten. Und tatsächlich schien Guntram verstimmt, so deutete Eadulf zunächst dessen Gesichtsausdruck. Doch zu seinem Erstaunen musste er feststellen, dass Guntram zu lachen begann, sich vor Lachen geradezu ausschüttete. »Gut gesprochen, Fidelma von Cashel. Zu Recht habe ich von der Schlagfertigkeit deines Volkes gehört. Nehmt bitte Platz. Was wollt ihr essen und trinken?« Er klatschte in die Hände.
Wie aus dem Nichts sprangen Bedienstete herbei und rückten Stühle ans Feuer. Andere brachten Tabletts mit süßen Näschereien und Getränken.