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»Keine Reise ist umsonst, Guntram«, entgegnete Fidelma ernst.

»Ihr kennt nun meine Schwächen«, gestand er reumütig ein.

»Dass du sie als Schwächen erkannt hast, ist eine Stärke«, gab sie weise zu bedenken.

Nach einem kurzen Moment der Überraschung sagte er: »Du wärst die richtige Beichtmutter für mich, aber eine dankbare Aufgabe wäre das nicht. Ich glaube nicht, dass ich meine Gewohnheiten noch ändern kann. Meine Mutter sagt immer, ich würde es nie zu etwas bringen.«

»Und du glaubst ihr?«

»Sie ist eine starke Frau. In ihren Augen bin ich ein Versager. Mein Vater starb, als ich acht Jahre alt war. Ich bin der älteste Sohn, aber selbst wenn ich es versuchte, ich könnte nie ein würdiger Nachfolger meines Vaters sein. Schon als ich volljährig wurde, stand für meine Muter fest, dass ich es aufgegeben hätte, mich an meinem Vater zu messen.«

»Wir sollten uns immer nur an unseren eigenen Werten und Vorstellungen messen, nicht an denen anderer«, riet ihm Fidelma. »Ein jeder ist eine eigene Persönlichkeit.« »Das sagt meine Cousine Radegund auch immer. Die Pest ließ sie als Waise zurück. Um nicht zu meiner Muter ziehen zu müssen, heiratete sie lieber. Dann ging sie ins Kloster. Da ist sie auch heute noch, frei von allen familiären Verpflichtungen. Ich beneide sie.«

»Sie heiratete Bruder Chilperic, nicht wahr?«

Guntram verzog den Mund. »Sehr gegen den Willen meiner Mutter. Aber das war, bevor Leodegar kam und die Dinge gründlich veränderte.«

»Ist das Zerwürfnis mit deiner Mutter der Grund, dass du dich hier mit deinen Kumpanen in der abgeschiedenen Burg vergräbst und lebst, wie es dir gefällt?«

»In Autun in der Nähe meiner Mutter und ihrer Gefolgsleute wohnen zu müssen, wäre das Letzte. Hier bin ich frei, kann jagen, trinken und ...« Er hatte das Feingefühl, seine weiteren Gelüste nicht zu benennen.

»Ich verstehe«, sagte Fidelma. »Nur ist das nicht eine Flucht vor deiner Mutter, sondern vor deiner Verantwortung. Der toisech oder Stammesfürst zu sein, wie wir das Amt bei uns nennen würden, hat etwas mit Verantwortung und Rang und Namen zu tun.«

»Verantwortung? Was ist, wenn ich keine Verantwortung haben möchte?«

»Dann übergib doch dein Amt einem anderen«, schlug sie vor und dachte an die Gepflogenheiten in ihrem eigenen Land.

Kopfschüttelnd erwiderte er: »Ich bin der älteste Sohn. Wem sollte ich mein Amt übertragen können? Ich habe einen jüngeren Bruder, der irgendwo als ein frömmelnder Mönch lebt und kein Interesse an weltlichen Dingen hat. Meine Mutter hat ihn früher mit dem Spitznamen >Benig-nus< gerufen. Das steht nicht nur für >aus wohlgeborenen Kreisen<, sondern auch für >gut< und >sanft<. Und er war wirklich lammfromm. Ich habe ihn zwanzig Jahre lang nicht mehr gesehen.« »Verzeih. Ich habe nicht an das Erstgeburtsrecht bei euch gedacht. Wenn du mich fragst, so halte ich das für einen schlechten Brauch.«

Bei ihr zu Hause hatte der Erstgeborene nicht automatisch das Erbrecht. Dort kam der derbhfine, der Sippenrat, zusammen, um den Stammesfürsten oder Kleinkönig, ja sogar den Hochkönig zu wählen. Söhne mussten nicht unbedingt den Vätern folgen. Brüder, Vettern und selbst Töchter oder Schwestern konnten das Amt übernehmen.

Sie zögerte, ehe sie eine weitere, völlig andere Frage stellte. »Tätigt deine Mutter manchmal auch Handelsabschlüsse mit Kaufleuten?«

Die Vorstellung belustigte ihn.

»Das würde mich wundern. Als Adlige hält sie das bestimmt für unter ihrer Würde.«

»Und abgesehen von Radegund, ihrer Nichte, verbindet sie wenig mit dem domus feminarum?«

»Ehrlich gesagt, ich glaube, sie hasst die Äbtissin und sähe es lieber, wenn Radegund das Amt innehätte.«

Wieder draußen angelangt, sagte Eadulf: »Viel gebracht hat uns das ja nicht. Wir stehen immer noch vor der gleichen Frage: Wen von den beiden - Cadfan oder Ordgar -halten wir an dem Mord von Dabhoc für schuldig? Dass der Mord mit dem Verschwinden der Frauen zusammenfällt, kann ein Zufall sein.« Er bemerkte, dass Fidelma ihm nicht zuhörte, sondern sich aufmerksam umsah. »Wonach hältst du Ausschau?«

»Ich wollte nur bestätigt wissen, was für eine Art Hausstand Guntram führt. Aber es stimmt, es stehen nur ein paar Krieger hier herum.«

»Hast du ihm nicht geglaubt, als er von nur einem Dutzend sprach?«

»In solchen Fällen hege ich stets meine Zweifel und überzeuge mich lieber selbst.«

»Ich war auch nicht müßig und wusste schon Bescheid, ehe wir mit Guntram sprachen«, gestand er ihr.

»Wie das?«, fragte sie überrascht zurück.

»Das mit der latrina hatte ich nur vorgetäuscht. Ich nutzte die Gelegenheit, mich in den Ställen umzutun. Er hat wirklich nur zwölf Pferde dort, und Krieger habe ich nicht mal so viele gesehen. Er hat uns ein ehrliches Bild von sich gegeben. Er ist kein großer Feldherr, sondern ein junger Mann, dem nichts wichtiger ist als seine Lustbarkeiten.«

Wagengeratter drang an ihre Ohren, und Bruder Budnouen mit seinem Maultiergespann kam auf sie zu.

»Seid ihr fertig?«, fragte er und hielt an.

»Wir können jederzeit aufbrechen«, antwortete Fidelma und kletterte hinten auf den Wagen, während Eadulf nach vorn neben den Gallier stieg.

»Das ist gut, dann sind wir noch bei Tageslicht zurück. Wir können uns sogar einen Halt an Clodomars Schmiede leisten und hören, was es Neues gibt.«

Fidelma fiel auf, dass Bruder Budnouen so gut wie nichts geladen hatte. Dem war ihr prüfender Blick nicht entgangen.

»Die Leute hier auf Guntrams Festung stellen kaum etwas her, womit sich Handel treiben lässt.« Er pochte auf einen Beutel neben sich. Es klang nach Metall. »Ich erhalte hier Münzen als Gegenwert für meine Waren.«

«Lohnt sich das?«

»Es reicht, Gott sei Dank, um meine Familie zu ernähren. Mehr kann man in diesen Zeiten nicht erwarten.« Er lenkte das Gefährt zum Tor. Ein Krieger öffnete und hob die Hand zum Abschiedsgruß. Sie verließen die Burg und fuhren durch die grüne Ebene in Richtung Wald.

»War euer Treffen mit Graf Guntram ebenfalls erfolgreich?«, unterbrach Bruder Budnouen nach einer Weile die Stille und riss mit seiner Frage Fidelma aus ihren Gedanken.

»Es war zumindest ein aufschlussreiches Gespräch.«

Er schien zu spüren, dass sie sich nicht weiter auslassen wollte, und schwieg. Schon bald umfing sie die Dunkelheit des Waldes. Er hielt das Gespann in gleichmäßigem Trab, und da die vier Maulesel festen Boden unter den Füßen hatten, war es für sie nicht weiter schwer.

Das Lärmen aufgeschreckter Vögel ließ sie aufhorchen. Die Tiere signalisierten Alarm, auch im Unterholz raschelte es. Ein Wildschwein mit seinen Jungen kam herausgestürzt und kreuzte den Weg vor ihnen. Die Stille des Waldes wich einer erregten Unruhe und erfasste selbst den erfahrenen Bruder Budnouen.

Ein Ruf ganz aus der Nähe galt ihnen. Aus dem Dickicht stolperte ein zerzauster junger Mann auf sie zu. Älter als zwanzig war er nicht, wenn überhaupt so alt. Er hielt ein Schwert in der Hand, schien aber nichts Böses im Schilde zu führen. Vielmehr wedelte er heftig mit der freien Hand, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Seine Kleidung war zerrissen und schmutzig, auch blutete er über dem einen Auge. Trotzdem gaben die Sachen, die er anhatte, zu erkennen, dass er besserer Herkunft war. Um den Hals trug er eine goldene Amtskette.

Bruder Budnouen schrie auf und versuchte, den Schwung seines Gespanns abzubremsen, doch der junge Mann rief ihm auf Fränkisch zu: »Nicht anhalten! Fahr weiter!« und sprang gewandt hinten auf. »Treib deine Maultiere an, hol aus ihnen raus, was du kannst!«

KAPITEL 18

Der junge Mann, der hinten auf den Wagen gesprungen war, rollte kopfüber zu ihnen hinein, blieb kurz auf dem Rücken liegen und rang nach Luft. Auf eine etwas düstere Art war er hübsch anzusehen - dunkle Augen, schwarzes Haar und ein bläulicher Schimmer auf den glattrasierten Wangen. Nur einen Moment streifte sein Blick Fidelma, bevor er sich aufrichtete und am Kutschbock Halt suchte, wo Bruder Budnouen und Eadulf saßen. Der Gallier mühte sich, seine Maultiere zu einer schnelleren Gangart zu bewegen.