»Nach welchem Gesetz sind unsere Ehen unchristlich? Was gibt euch das Recht, uns gefangen zu halten?«, klagte eine andere.
»Das ist jetzt das Gesetz«, meinte er und schlug auf sein Schwert. »Schickt euch drein und rüstet euch für die Reise. Ihr werdet in gute Hände kommen.«
Hinter ihm tauchte eine andere Gestalt auf. Ein schlanker, gutgekleideter Mann, glatt rasiert und von dunkler Hautfarbe. Eindringlich betrachte er die Schar, die ihm anheimgefallen war. Fidelma genügte ein flüchtiger Blick, um sich rasch die Kapuze übers Haar zu ziehen. Sie konnte nur hoffen, der Mann würde im Dunkel des Kellergewölbes nicht merken, wer sie war. Sie selbst hatte ihn sofort als Verbas von Peqini erkannt, den Sklavenhalter, mit dem sie in Tara aneinandergeraten war. Inbrünstig flehte sie, dass er sie nicht wahrgenommen hatte.
»Bis auf weiteres ist der Kaufherr hier euer neuer Meister«, bedeutete ihnen der Krieger. »Seid folgsam, und man wird euch gut behandeln. Wenn ihr aufsässig seid, setzt es Strafen.« Eine der älteren Frauen war einen Schritt auf ihn zugegangen. »Schäm dich! Und Schande über deine Herrin Beretrude!
Wir kennen dich, Krieger, wir wissen, wem du dienst. Wir sind frei geborene Frauen dieser Stadt und unterstehen keinem Dienstherrn. Wir sind freiwillig dem Ruf des Glaubens gefolgt und haben gemeinsam mit unseren Männern gelobt, gute Werke im Sinne Christi zu verrichten. Was gibt euch das Recht, uns so schändlich zu behandeln . ?«
Ihre Worte endeten in einem Aufschrei. Der Söldner war die wenigen Stufen hinuntergesprungen und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht, dass sie zu Boden stürzte. Drohendes Murren kam aus der Menge, und schon zog er sein Schwert.
»Zurück, ihr Huren!«, schnauzte er. »Ihr habt die Wahl, ob ihr lebend oder tot hier herauskommen wollt. Nur das sage ich noch: Ihr habt euch mit Geistlichen und Mönchen in unzüchtige Verhältnisse eingelassen. In vielen Ländern haben Konzilien befunden, dass ihr damit gegen den Glauben verstoßt. Deshalb sind alle Frauen der Geistlichkeit zusammenzutreiben und als Sklaven zu verkaufen zum höheren Wohle des Christentums. Das ist euer Los. Schickt euch darein.«
Verbas von Peqini drehte sich um und ging, während der Kriegsknecht rückwärts und noch immer mit entblößtem Schwert die Stufen emporstieg. Dann schlug die Tür zu und wurde verriegelt.
Die Frauen und die Kinder brachen in Tränen aus, jammerten und schluchzten.
»Warum wolltest du dich vor dem Händler verbergen?«, fragte Valretrade.
»Verbas von Peqini? Dem bin ich vor ein paar Monaten in meiner Heimat begegnet. Ich war ihm in einem Streitfall überlegen, habe einen seiner Sklaven befreien können und ihn selbst danach ohne Entschädigung aus unserem Königreich getrieben. Der wäre entzückt, mich hier zu entdecken, denn das Letzte, das er mir nachrief, war ein Racheschwur. Wenn der mich erkennt, wäre es ihm ein Vergnügen, seinen Schwur zu erfüllen.«
»Dann wird er bestimmt morgen Rache üben können. Sobald wir das düstere Kellerloch verlassen, kannst du dich nicht mehr verstecken, mit deinem roten Haar schon gar nicht.«
Fidelma presste die Lippen zusammen. »Dann darf ich eben morgen nicht mehr hier sein.«
»Von hier fliehen?« Valretrade lachte unfroh auf. »Meinst du, ich habe nicht die ganze Woche nach einem Fluchtweg gesucht?«
»Was, wenn sie euch morgens zum Waschen führen? Gibt es da Möglichkeiten auszubrechen?«
Niedergeschlagen schüttelte Valretrade den Kopf. »In der Ecke da drüben steht ein Eimer, den müssen wir benutzen. Ein paar Eimer Wasser stellen sie uns auch zum Waschen hin. Nicht ein einziges Mal habe ich in der Woche nach draußen gedurft. Allen ist es so gegangen, seit sie hier wie Verbrecher eingesperrt sind.«
Fidelma war entsetzt. »Das ist doch unmenschlich.«
»Für Sklaven nicht.«
Fidelma unternahm den Versuch aufzustehen und stützte sich dabei auf Valretrades Arm. »Hilf mir, hier im Gewölbe ein paar Schritte zu machen, damit ich mein Gleichgewicht wiederfinde.«
Langsam gingen sie auf und ab, und Fidelma musste sich überzeugen, dass es Zeitvergeudung war, nach Fluchtwegen zu suchen. Immerhin half ihr die Bewegung, sich wieder normal zu fühlen. Der Kopfschmerz ließ nach, Schwindel und Benommenheit verschwanden.
»Vielleicht bietet sich unterwegs eine Gelegenheit«, schlug ihre neue Gefährtin vor.
»Im Hellen kommt Verbas sofort dahinter, wer ich bin«, erwiderte Fidelma. »Von Beretrudes Villa aus wird er uns vermutlich durch die Stadt treiben, noch ehe es Tag wird. Deshalb sollen wir uns für den Aufbruch vor Morgengrauen bereithalten. Das heißt, sie wollen nicht, dass jemand in der Stadt merkt, was sie vorhaben. Das könnte uns nützlich sein.«
Valretrade blickte sie verwundert an. »Wie meinst du das?«
Fidelma schaute in die Runde, einige Frauen horchten schon auf. »Lass uns leise reden, Valretrade. Wir müssen uns erst selber klarwerden, was sich tun lässt, ehe wir andere mit hineinziehen.«
»Schon gut«, flüsterte das Mädchen.
»Überlegen wir mal. Was könnte ihre Absicht sein? Wollen sie uns zum Fluss schaffen und von dort auf ein Schiff? Wenn dem so ist, hätten sie zwei Möglichkeiten. Entweder sie pferchen uns in einen Planwagen, oder sie zwingen uns, durch die Straßen der Stadt zu laufen. Von einem Gefährt zu entkommen, dürfte schwierig sein, aber wenn wir zu Fuß unterwegs sind, hätten wir zumindest eine Chance.«
Valretrade hatte ihre Zweifel. »Wahrscheinlich ketten sie uns aneinander - vermutlich mit Handschellen. Ich habe so etwas auf Sklavenmärkten gesehen.«
»Wenn sie wollen, dass wir rasch laufen, werden sie uns nicht an den Füßen fesseln. In den engen Straßen der Stadt und in der Dunkelheit vor dem Morgengrauen . Das könnte die einzige Möglichkeit sein. Kennst du dich in diesem Viertel aus?«
»Sehr gut sogar. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Aber selbst wenn es uns gelingt zu entkommen . Was dann? Wo können wir hin? Bestimmt nicht zurück zur Abtei; wie sollen wir wissen, wer dort Freund und wer Feind ist?« »In der Abtei habe ich Freunde, die uns beistehen werden. Dort ist auch Bruder Sigeric. Aber soweit sind wir noch nicht; erst müssen wir fliehen, und dann können wir überlegen, wohin danach.«
»Eine Hilfe gibt es vielleicht. Ich habe eine Schwester, die hier in der Nähe wohnt. Ich bin sicher, die gewährt uns Unterschlupf, wenn wir es erst mal bis zu ihr schaffen.
Von dort könnten wir deine Freunde benachrichtigen. Ihr Mann ist einer der Hufschmiede im Ort.«
Fidelma nickte. »Viel hängt auch davon ab, welche Route wir nehmen. Verbas von Peqini kommt aus dem Osten. Der Krieger hat gesagt, wir werden in den Süden geschafft, also zum Mittelmeer hin.«
»Dann dürfte die Reise einige Tage dauern. Die meisten Kaufleute fahren mit dem Schiff. Ich glaube, man wird uns zum Fluss schaffen.«
»Fließen denn Flüsse durch diese Gegend?«, fragte Fidelma. »Ich dachte, sie entspringen im Gebirge, mehr in der Mitte des Landes.«
»Wir müssten auf dem Liger stromaufwärts fahren. Meistens ziehen Maultiere die Boote in Richtung Süden bis zur Stadt Rod-Onna, das ist ein gallischer Name. Bis dort ist der Liger schiffbar. Danach kommen enge Schluchten, durch die sich der Fluss vom Zentralmassiv her windet. Große Schiffe kommen da nicht mehr durch.«
»Und ist man dann schon nahe am Meer im Süden?« »Nein. Aber von dort gelangt man auf Nebenflüssen und Verbindungskanälen vom Liger zur Stadt Lugdunum«, erklärte Valretrade.
»Und von Lugdunum?«
»Die Stadt liegt am großen Strom Rhodanus, auf dem Schiffe stromabwärts in wenigen Tagen das offene Meer erreichen können.«
»Rhodanus?« Fidelma musste lächeln. »Das ist ein gutes Omen, denn das bedeutet Große Danu. Danu war die Mutter aller heidnischen Götter unseres Landes.«
Valretrade schwieg. Sie wollte Fidelma beim weiteren Nachdenken nicht stören.
»Sind wir erst einmal auf dem Meer im Süden, dann sind wir verloren«, stellte Fidelma schließlich fest. »Der schwächste Punkt des Reisewegs liegt da, wo der Trupp die Stadt verlässt, um zum Liger zu gelangen.«