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»Wer ist da, Ageric? Was war los?« Aus dem Nebenraum tauchte eine Frau auf und blieb überrascht stehen, als sie die Gäste sah.

»Valretrade!« Beglückt schlang sie die Arme um das Mädchen. Als Valretrade sie gleichfalls umarmen wollte, bemerkte die Frau die Handschellen an ihr und wich erschrocken zurück. Der Mann hatte die Laterne auf den Tisch gestellt.

»Bei allem, was heilig ist!«, murmelte er. »Bist du aus der Abtei geflohen?«

»Ich erzähle euch alles später. Das hier ist Fidelma aus Hibernia«, sagte Valretrade. »Wir müssen Lateinisch reden, unser Burgundisch versteht sie nicht.« Und Fidelma erklärte sie: »Das sind meine Schwester Magnatrude und ihr Mann Ageric.«

»Tut mir leid, dass ich eure Sprache nicht beherrsche«, entschuldigte sich Fidelma.

Ageric gab sich Mühe, ihren Worten zu folgen. »Meine Frau und ich kommen mit Latein einigermaßen zurecht«, sagte er dann. »Es ist immer noch eine lingua franca zwischen den Leuten hier, früher war das ja eine Provinz des Römischen Reichs. Fast alle, die sich ein bisschen Bildung aneignen konnten, sprechen es mehr oder weniger gut.«

Fidelma atmete auf.

Mit besorgter Miene betrachtete Magnatrude ihre Gäste. Sie ähnelte Valretrade sehr stark, nur war sie fünf Jahre älter als ihre Schwester. Ihr dunkelhaariger Mann war ebenso alt wie sie, er war ein stämmiger Kerl mit muskelbepackten Armen und breiten Schultern. In seinem Wesen lag etwas Fröhliches, als hätte das Leben nur heitere Seiten für ihn.

»Was ist mit euch passiert? Weshalb seid ihr aus der Abtei weggelaufen? Warum haben sie euch Handschellen angelegt?«

Valretrade schüttelte den Kopf. »Jetzt alles zu erzählen, würde zu lange dauern, Schwester. Wahr ist jedenfalls, ich bin nicht aus der Abtei geflohen. Ich wurde . wir wurden ... gefangen genommen und sollten als Sklaven verkauft werden. Wir beide konnten entkommen.«

Erstaunt platzte Ageric heraus: »Verkauft als Sklaven? Sklavenhändler haben doch nicht etwa die Abtei überfallen?«

Valretrade konnte nur schmerzlich lächeln. »Davon später. Jetzt sind erst einmal zwei Dinge wichtig. Kannst du uns von diesen Handschellen befreien, Ageric? Und habt ihr was zu essen und zu trinken im Haus? Wir erzählen euch die ganze Geschichte, während du arbeitest und wir essen.«

Magnatrude machte sich sofort daran, etwas Essbares herbeizuschaffen, und ihr Mann prüfte mit sachkundigem Blick die Fesseleisen.

»Das ist ein Kinderspiel«, meinte er, befühlte Kette und Schellen und verschwand nach nebenan.

»Ageric ist nämlich Schmied«, erklärte Valretrade.

»Und einer der besten in der Stadt«, ergänzte ihre ältere Schwester, die mit Apfelwein, Brot und Ziegenkäse zurückkam.

Während sie die Becher leerten, erschien Ageric mit einem Schlüsselbund in der Hand. »Ich muss nicht einmal die Schlösser aufbrechen und schon gar nicht die Kette durchsägen. Einer von diesen Dingern dürfte passen.«

Er setzte sich und probierte einen Schlüssel nach dem anderen. Derweil schilderte Valretrade, was ihnen widerfahren war. Sie labten sich noch an Brot und Käse, da lagen schon Kette und Handschellen auf dem Boden. Aus der Morgendämmerung war inzwischen heller Tag geworden, und das Gezwitscher der Vögel hatte aufgehört.

»Wenn Bischof Leodegar und Gräfin Beretrude mit in dem Komplott stecken, die Frauen als Sklaven zu verkaufen, an wen soll man sich dann halten, um Gerechtigkeit zu erwirken?«, überlegte Magnatrude laut.

»Euch bleibt nichts weiter übrig, als sich den Tag über hier zu verbergen, bei Nacht die Stadt zu verlassen und euch irgendwohin zu begeben, wo Beretrudes Arm und der ihrer Sippschaft nicht hinreicht und wo auch Leodegar keine Gewalt hat«, riet ihnen Ageric.

»Die Stadt verlassen, in der ich aufgewachsen bin?« Val-retrade wies den Gedanken entschieden von sich. »Euch verlassen, meine nächsten Verwandten? Und was wird aus dem armen Sigeric? Nein, das ist kein Ausweg.« Magnatrude schaute Fidelma an, die bisher wortlos zugehört hatte. »Du kommst aus Hibernia und gehst gewiss dorthin zurück. Wie wäre es, wenn du unsere Schwester mitnimmst? Ich habe gehört, es lässt sich dort gut leben. Vielleicht kann Sigeric später nachkommen.«

»Ich fürchte, es ist meine Pflicht, noch eine Weile in Au-tun zu bleiben«, erwiderte Fidelma verhalten.

»Wieso deine Pflicht?«, wollte Ageric wissen.

Ihnen zu erklären, dass sie eine dalaigh war, eine Anwältin im Rechtswesen ihres Volkes, und was das mit sich brachte, war reichlich schwierig.

»In der Abtei ist jemand, zu dem ich unbedingt Verbindung aufnehmen muss«, begann sie.

»Sigeric?«, fragte Valretrade eifrig.

»Nein, nicht Sigeric, jedenfalls nicht gleich. Ich muss Bruder Eadulf, meinen Gatten, benachrichtigen, aber es wäre sinnlos, selber zur Abtei zu gehen und ihn zu suchen.

Dort schleichen zu viele Feinde herum. Man würde mich gefangennehmen, noch ehe ich ihn zu Gesicht bekäme.« Fragend blickte sie zu Ageric. »Kennt man dich in der Abtei, Ageric?«

Der Schmied zuckte mit den Achseln. »Eigentlich nicht. Früher habe ich für den alten Abt gearbeitet, bevor Leo-degar ans Ruder kam. Bin schon etliche Jahre nicht mehr dort gewesen. Meine Kundschaft habe ich nur in der Stadt.«

»Man würde dich nicht als Valretrades Schwager erkennen?«

»Ich bezweifle, dass dort überhaupt jemand etwas von unseren familiären Beziehungen weiß.«

»Es würde uns sehr helfen, Ageric, wenn du zur Abtei gehst, Bruder Eadulf ausfindig machst und ihm eine Nachricht überbringst. Aber es sollte möglichst kein anderer etwas davon mitbekommen.«

»Wenn man mich fragt, sag ich einfach, ich wollte mich erkundigen, ob sie in der Abtei Arbeit für einen Hufschmied haben«, schlug er vor.

»Gut so. Wenn du Eadulf allein sprechen kannst, sage ihm, er soll mit dir gehen, du würdest ihn zu mir bringen. Natürlich müsst ihr achtgeben, dass euch niemand folgt. Wenn du mit ihm nur in Gegenwart anderer reden kannst, sag ihm, du hättest gehört, Alchü würde ihn sehr vermissen und du müsstest ihn unter vier Augen sprechen. Merk dir den Namen ... Alchü. Er weiß dann, dass ich dich geschickt habe.«

Ageric wiederholte den Namen.

Valretrade gähnte, und auch Fidelma war nach den über-standenen Strapazen völlig erschöpft.

»Gestern Nacht haben wir kaum geschlafen. Es wäre schön, wenn wir uns eine Weile hinlegen könnten.« Fürsorglich nahm Magnatrude ihre Schwester am Arm. »Legt euch erst einmal in unser Bett. Später wollen wir beratschlagen, wie es mit euch weitergehen soll.«

»Weiß jemand in der Abtei, dass Valretrade deine Schwester ist?« Fidelma machte sich Sorgen, Beretrude könnte sie im Haus der Schwester aufspüren.

»Es ist lange her, dass ich meine kleine Schwester das letzte Mal gesehen habe, und so gab es auch keinen Grund, mit jemandem über sie zu reden.«

Wieder musste Valretrade gähnen, sie war zum Umfallen müde. Beide Frauen schliefen fest, kaum dass der Schmied sich auf den Weg zur Abtei gemacht hatte.

Lange konnte Fidelma nicht geschlafen haben, als sie jemand grob an der Schulter rüttelte. Erschreckt fuhr sie hoch, das Herz schlug ihr sofort bis zum Hals. Valretrade kletterte schon aus dem Bett, während Magnatrude sich noch um Fidelma mühte.

»Gräfin Beretrudes Krieger kommen die Gasse herunter«, zischelte sie. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Rasch, folgt mir.«

Sie ging voran und führte sie in ein Gelass neben der Werkstatt. In einer Ecke bückte sie sich und zog eine Falltür auf. Schön hörten sie das Getrampel der Krieger draußen vor dem Tor.

»Schnell runter da«, flüsterte Magnatrude, »ins Kellerloch. Ein besseres Versteck habe ich nicht.«

Von draußen schrie eine grobe Stimme und verlangte Einlass.

Fidelma rutschte ins Dunkel der Vorratskammer und kroch zur Seite, um Valretrade Platz zu machen. Über ihnen wurde die Falltür zugeklappt, und um sie herum war es stockfinster. Außerdem war es kalt. Schwarz und kalt. Fidelma fröstelte nach dem raschen Wechsel vom warmen Bett in die eisige Finsternis.