Über der Falltür rumorte es; es klang, als würde Magnat-rude schwere Gegenstände hin und her rücken, um den Zugang zu verdecken.
Nach wenigen Augenblicken schon hörten sie wieder die grobe Stimme und Magnatrudes Antworten.
»Meine Schwester? Die habe ich mindestens ein Jahr nicht mehr gesehen. Die ist doch Nonne oben in der Abtei. Warum sucht ihr sie nicht da?«
Die grobe Stimme erwiderte etwas.
Fidelma konnte dem Gespräch schwer folgen, obwohl es in Latein geführt wurde. Alles klang dumpf in ihrem Versteck.
Von oben hörten sie Schritte, offensichtlich durchsuchten die Krieger Haus und Hof. Dann kamen die Stimmen ganz nahe und waren deutlich zu verstehen. Fidelma biss die Zähne zusammen und war darauf gefasst, dass die Falltür entdeckt wurde. Plötzlich erkannte sie die Stimme eines der Sprecher und zuckte zusammen. Es war Verbas von Peqini. Sie war froh, dass er sich mit Beretrudes Leuten in Latein verständigte, so konnte sie verstehen, was er sagte. Verbas war höchst unzufrieden.
»Das bedeutet, es gibt noch mehr Verzögerung«, beklagte er sich. »Hätte mir Gräfin Beretrude doch nur gesagt, dass eine der Gefangenen diese Fidelma von Cashel ist! Ich kenne die verschlagene Füchsin. Die hätte ich mir ganz besonders vorgenommen.«
Jemand hüstelte verlegen und sagte mit heiserer Stimme: »Woher sollte die Gräfin wissen, dass ihr die Fremdländische kennt, Herr?«
»Wie dem auch sei. Es geht nicht anders, ich muss abreisen. Soll Beretrude zusehen, dass diese Unruhestifterin umgebracht oder wieder gefasst wird. Ich hätte das lieber selber gemacht, aber mein Schiff liegt auf dem Fluss vor Anker und wartet darauf abzulegen. Bis hinunter zum Südmeer zu segeln, dauert viele Tage. Ich kann hier nicht ewig warten.«
»Eine Ladung Sklaven bringt doch schönes Geld, Herr, da lohnt es sich schon zu warten, bis diese Weiber wieder gefasst sind.«
»Deine Herrin kann sich nicht beschweren, die hat ein gutes Geschäft gemacht«, brummelte Verbas von Peqini. »Nein, einen längeren Aufschub kann ich mir nicht leisten.«
Seine Stimme verhallte, und man konnte vermuten, dass sich die Krieger auf den Ausgang zubewegten. Den Eingeschlossenen kam es wie eine Ewigkeit vor, bis sie Mag-natrudes Ruf vernahmen. »Die sind alle weg. Ist alles in Ordnung mit euch?«
»Uns ist kalt, und stockfinster ist es hier auch«, rief Valretrade zurück.
»Tut mir leid, aber eine Weile müsst ihr noch ausharren, man kann nie wissen, ob die noch einmal auftauchen. Ich lasse euch hochkommen, sobald ich es für sicher halte.« Eine solche Vorsichtsmaßnahme konnte Fidelma nur gutheißen.
»Lass uns raus, sobald es geht«, rief Valretrade. Sie fror erbärmlich und konnte dem Versteck nichts Trostreiches abgewinnen.
Es verging noch eine gute Stunde, dann kam Magnatrude wieder, es rumpelte und polterte über ihnen. Sie räumte fort, was fortzuräumen war, zog die Klappe auf und half den beiden aus dem engen Gelass heraus.
»Das war Rettung in der Not«, lobte Fidelma sie dankbar und reckte und streckte ihre steif gewordenen Glieder. »Zum Glück hat dieses Haus ein Obergeschoss, und von dort sah ich schon von weitem, wie die Kerle in unsere Gasse einbogen«, erzählte ihnen Magnatrude und griente schadenfroh.
Valretrade zitterte immer noch, mehr wegen der feuchten Kälte in dem Vorratskeller als aus Angst, die ihr in den Knochen steckte.
»Sind sie wirklich weg?«, flüsterte sie.
»Natürlich. Aber erst haben sie hier alles auf den Kopf gestellt.« Magnatrude wurde blass.
»Was ist mit dir?«, fragte Fidelma besorgt.
»Die Handschellen!« Mit vor Schreck geweiteten Augen blickte sie sich in der Werkstatt um. »Was, wenn .? Argeric hat die hier irgendwo gelassen.«
Fidelma wies mit dem Finger auf eine Stelle an der Wand und lachte. »Wie heißt es doch so schön? Das beste Versteck ist, wenn man etwas offen liegen lässt.«
In eine Wand seiner Werkstatt hatte der Schmied Nägel und Haken eingeschlagen, an denen Ketten und allerlei Werkzeuge hingen. Dort hatte Ageric auch die Schellen und die Kette hingehängt, von denen er Fidelma und Valretrade befreit hatte. Das Zeug baumelte da für jedermann sichtbar, so dass es den Männern des Suchtrupps nicht sonderlich aufgefallen war, weil sie es für Zubehör der Schmiede hielten.
»Sorge dich nicht, Magnatrude. Lass erst mal Eadulf hier sein, dann fallen wir euch nicht länger zur Last und ihr müsst nicht mehr vor Beretrude auf der Hut sein.« Magnatrude schüttelte den Kopf. »Nicht vor Beretrude habe ich Angst. Um Valretrade fürchte ich. Sie ist die Einzige aus meiner Familie, die mir geblieben ist. Ich würde alles tun, um sie zu beschützen.«
»Es heißt, Beretrude hätte das zweite Gesicht«, warf Val-retrade immer noch verängstigt ein. »Wie wäre sie sonst darauf gekommen, ihre Krieger gerade hierher zu schicken?« »Das zweite Gesicht?«, fragte Fidelma tadelnd. »Du solltest dich schämen, als Glaubensschwester solchem Gerede anzuhängen. Beretrude hat gewusst oder man hat es ihr hinterbracht, dass Magnatrude deine leibliche Schwester ist. Das bedarf wirklich keiner übersinnlichen Kräfte. Wahr ist allerdings, dass sie über alles hinreichend Bescheid weiß.«
»Ich habe nur mit meinen engsten Freunden, mit Sigeric und Inginde, darüber geredet.«
»Mit Schwester Radegund nicht?«
»Radegund ist die Oberkämmerin, und der habe ich es gesagt«, gestand die junge Nonne kleinlaut. »Sie ist Beretrudes Nichte. Hätte ich mir ja denken können.«
Magnatrude führte sie zurück in den Wohnraum und gab jeder eine Schale heißer Brühe.
»Gräfin Beretrude soll überall ihre Späher und Zuträger haben. Sie verfügt über große Macht. Ist mächtiger als ihre Söhne.«
»Ihre Söhne? Ach, du schließt auch den jüngeren Sohn mit ein, den sie schon im Kindesalter weggegeben hat. Guntram hat mir davon erzählt«, sagte Fidelma.
»Guntram ist der älteste Sohn und eigentlich der oberste Herr der Provinz. In Wirklichkeit ist es aber Beretrude, die im Lande herrscht«, erläuterte Magnatrude.
»Und was ist aus dem anderen Sohn geworden?« »Was aus ihm geworden ist, weiß niemand so recht. Er wurde in ein Kloster gesteckt, als er noch ein Kind war.« »Kannst du mehr darüber berichten, wie das damals war?«, drängte Fidelma.
»Gundobad hieß er, glaube ich. Die Leute sagen, er war sieben Jahre alt, als man ihn in ein Kloster abschob. Seine Mutter wollte ihn los sein. Ihre ganze Zuneigung soll nur Guntram gegolten haben, denn er war der Erbe der Grafschaft Burgund. Am Ende hat sie ihn so verwöhnt, dass er faul und träge wurde.«
Magnatrude hätte ihnen gern noch mehr von der Fleischsuppe aufgedrängt, doch das Schlafbedürfnis der beiden Frauen war übermächtig.
»Hoffentlich kommen Ageric und Eadulf bald«, klagte Fidelma und beneidete Valretrade, die wieder eingeschlafen war. Sie selbst konnte trotz ihrer Müdigkeit kein Auge zutun. Ständig kreisten ihre Gedanken um Eadulf. Irgendwann musste auch sie eingeschlummert sein, denn Eadulfs Stimme, der besorgt nach ihr fragte, riss sie hoch.
»Euch ist wirklich niemand von der Abtei gefolgt?«, erkundigte sie sich nach der ersten überschwänglichen Begrüßung.
»Wir haben Vorsicht walten lassen. Niemand hat gesehen, dass ich mit Ageric gesprochen habe, außer Abt Segdae, den ich ins Vertrauen zog. Zudem hatten wir Glück. Wir wollten gerade aufbrechen, um nach dir zu suchen, da kam Ageric und fragte nach Bruder Eadulf.«
»Segdae weiß also, wo wir sind?«
»Als du gestern bei Einbruch der Nacht nicht zurück warst, bin ich zu Segdae gegangen und habe ihm erzählt, was du vorhattest. Wir haben Abt Leodegar aufgesucht und verlangt, er solle mit uns gemeinsam zu Beretrude gehen und nachfragen, ob du in der Villa bist. Er hat sich aber geweigert und Bruder Chilperic losgeschickt, dem am Tor bereits mitgeteilt wurde, niemand habe dich dort gesehen.«