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ERSTER TEIL

OBEN UND UNTEN

1

Der Sklave, der an jenem für die Jahreszeit außergewöhnlich warmen Frühlingsmorgen zu mir kam, war ein junger Mann von kaum mehr als zwanzig Jahren.

Für gewöhnlich lassen meine Klienten durch die gemeinsten Haussklaven nach mir schicken - schmutzige Malocher, Krüppel, schwachsinnige Knaben, die nach dem Dung der Ställe stinken und von den Strohresten in ihrem Haar niesen müssen. Es ist gewissermaßen eine Frage der Etikette; wenn man sich um die Dienste von Gordianus dem Sucher bemüht, wahrt man eine gewisse Distanz und Zurückhaltung. Als ob ich leprös oder Priester irgendeines unreinen orientalischen Kults wäre. Daran bin ich gewöhnt. Es macht mir nichts aus - solange mein Honorar pünktlich und vollständig gezahlt wird.

Der Sklave, der an diesem speziellen Morgen vor meiner Tür stand, war jedoch sehr sauber und makellos gewandet. Er hatte eine stille Art und ein Benehmen, das zwar respektvoll, aber keineswegs unterwürfig war - die Höflichkeit eben, die man von einem jungen Mann gegenüber einem zehn

Jahre älteren erwarten konnte. Sein Latein war tadellos (besser als meins), und die Stimme, mit der er es vortrug, klang melodiös wie eine Flöte. Kein Stallknecht also, sondern ganz offenkundig der gebildete Diener eines Herrn, der ihm zugetan war. Der Sklave hieß Tiro.

»Ich komme aus dem Haushalt des hochgeschätzten Marcus Tullius Cicero«, fügte er hinzu und hielt, den Kopf leicht geneigt, kurz inne, um zu sehen, ob ich den Namen kannte. Das war jedoch nicht der Fall. »Mit dem Auftrag, um deine Dienste nachzusuchen«, sagte er noch, »auf Empfehlung von -«

Ich nahm seinen Arm, legte meinen Zeigefinger auf seine Lippen und führte ihn ins Haus. Der brutale Winter war einem drückend heißen Frühling gewichen; trotz der frühen Stunde war es bei weitem zu warm, um ungeschützt auf der Türschwelle stehen zu bleiben. Außerdem war es viel zu früh, dem Geplapper dieses jungen Sklaven zu lauschen, egal wie melodiös seine Stimme sein mochte. Meine Schläfen pochten wie grollender Donner, und hinter meinen Augen zuckten spinnwebartige Blitze auf und verschwanden gleich wieder.

»Kennst du zufällig ein Rezept gegen Kater?« fragte ich.

Der junge Tiro musterte mich verstohlen von der Seite, verwirrt über den abrupten Themenwechsel und argwöhnisch ob meiner plötzlichen Vertrautheit. »Nein, Herr.«

Ich nickte. »Vielleicht hattest du noch nie einen Kater?«

Er errötete leicht. »Nein, Herr.«

»Dein Herr erlaubt dir keinen Wein?«

»Doch, natürlich. Aber wie er immer sagt, Mäßigung in allen Dingen -«

Ich nickte, und der Schmerz ließ mich zusammenzucken. Die geringste Kopfbewegung bereitete mir furchtbare Qualen. »Mäßigung in allen Dingen, ausgenommen der Tageszeit, zu der er mir seine Sklaven vorbeischickt, nehme ich an.«

»Oh, Verzeihung, Herr. Soll ich später wiederkommen?«

»Das wäre eine Verschwendung deiner und meiner Zeit. Von der deines Herrn ganz zu schweigen. Nein, bleib nur, aber sprich nicht vom Geschäft, bis ich es dir sage. Solange kannst du mir beim Frühstück Gesellschaft leisten, im Garten, da ist die Luft angenehmer.«

Ich ergriff erneut seinen Arm, führte ihn durch das Atrium, einen verdunkelten Flur hinunter ins Peristylium im Zentrum des Hauses. Ich sah, wie er erstaunt die Brauen hochzog, war mir allerdings nicht sicher, ob ihn die Größe oder der Zustand des Gartens überraschte. Ich war natürlich daran gewöhnt, aber auf einen Fremden muß er wie der reinste Urwald gewirkt haben - wildwuchernde Weidenbäume, deren herabhängende Ranken das hoch aus dem staubigen Boden sprießende Unkraut berührten; in der Mitte der vor Jahren ausgetrocknete Brunnen mit der kleinen marmornen Pan-Statue, auf der die Zeit ihre Narben hinterlassen hatte; der schmale, vom Wildwuchs ägyptischen Schilfs überwucherte Teich, der träg und trüb durch den Garten mäanderte. Die Anlage war schon verwildert, lange bevor ich das Haus von meinem Vater geerbt hatte, und ich hatte nichts zu ihrer Instandsetzung unternommen. Mir gefiel der Garten, wie er war - ein Ort unkontrollierten Grüns verborgen inmitten des ordentlichen Roms, ein stilles Plädoyer für das Chaos angesichts gemauerter Ziegel und gehorsamen Buschwerks. Außerdem hätte ich mir die Arbeitskräfte und Materialien, den Garten in einen gepflegten Zustand zu versetzen, nie leisten können.

»Ich nehme an, es ist schon etwas ganz anderes als das Haus deines Herrn.« Ich setzte mich auf einen der Stühle, behutsam, um meinen Kopf nicht zu erschüttern, und machte Tiro ein Zeichen, auf dem anderen Platz zu nehmen. Ich klatschte in die Hände und bereute es wegen des Lärms augenblicklich. Ich biß die Zähne aufeinander und rief: »Bethesda! Wo steckt das Mädchen bloß wieder? Sie wird uns jeden Moment das Frühstück servieren. Deswegen mußte ich ja selbst an die Tür kommen - sie war in der Speisekammer beschäftigt. Bethesda!«

Tiro räusperte sich. »Es ist, ehrlich gesagt, viel größer als das meines Herrn.«

Ich stierte ihn leeren Blicks an, mein Magen rumpelte jetzt mit meinen Schläfen um die Wette. »Wie bitte?«

»Das Haus, Herr. Es ist größer als das meines Herrn.«

»Überrascht dich das?«

Er schlug seinen Blick nieder aus Angst, mich beleidigt zu haben.

»Weißt du, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, junger Mann?«

»Nicht genau, Herr.«

»Aber du weißt, daß es etwas nicht ganz Ehrenhaftes ist -zumindest soweit es in Rom heutzutage überhaupt noch Ehrbarkeit gibt. Aber nicht illegal -zumindest soweit der Begriff der Legalität in einer Stadt, die von einem Diktator regiert wird, noch eine Bedeutung hat. Meine geräumige Wohnstatt überrascht dich also, ungeachtet ihres verfallenen Zustands. Das ist völlig in Ordnung. Sie überrascht mich manchmal selbst. Da bist du ja, Bethesda. Stell das Tablett hier ab, zwischen mir und meinem unerwarteten, aber absolut willkommenen jungen Gast.«

Bethesda gehorchte, allerdings nicht ohne einen verstohlenen Seitenblick und ein leises, verächtliches Schnauben. Bethesda war selbst eine Sklavin und fand es anstößig, daß ich mich mit Sklaven gemein machte und sie, schlimmer noch, aus meiner Speisekammer beköstigte. Nachdem sie den Tisch gedeckt hatte, blieb sie vor uns stehen, als erwarte sie weitere Anweisungen. Das war allerdings nur eine Pose. Für mich, wenn schon nicht für Tiro, war es offensichtlich, daß sie hauptsächlich daran interessiert war, meinen Gast näher in Augenschein zu nehmen.

Bethesda starrte also Tiro an, der ihrem Blick offenbar auswich. Sie zog die Mundwinkel zurück. Ihre Oberlippe wurde schmal und wölbte sich zu einem feinen Bogen. Sie grinste.

Bei den meisten Frauen bedeutet ein Grinsen eine wenig anziehende Geste des Abscheus. Bei Bethesda konnte man sich da nie so sicher sein. Ein Grinsen tat ihrem dunklen und sinnlichen Charme keinen Abbruch. Im Gegenteil, es konnte ihn manchmal erhöhen, und in Bethesdas beschränkter, aber einfallsreicher Körpersprache konnte ein Grinsen von einer Drohung bis zu einer unverhohlenen Einladung fast alles bedeuten.

In diesem Fall war es meiner Vermutung nach eine Reaktion auf Tiros höflich gesenkten Blick, eine Reaktion auf seine schüchterne Bescheidenheit -das Grinsen, mit dem eine schlaue Füchsin ein wohlgenährtes Kaninchen mustert. Ich hätte gedacht, daß all ihr Hunger in der vergangenen Nacht gestillt worden sei. Meiner war es jedenfalls.

»Braucht mein Herr sonst noch irgend etwas?« Sie stand da, die Hand in die Hüfte gestützt, die Brüste vorgestreckt, die Schultern zurückgezogen. Ihre Lider, von der Nacht noch immer schwer geschminkt, hingen müde herab. Sie sprach mit dem glutvollen, leicht lispelnden Akzent des Orients. Noch mehr Posen. Bethesda hatte sich entschieden. Der junge Tiro war, Sklave oder nicht, jemand, den zu beeindrucken sich lohnte.

»Das wäre alles, Bethesda. Du kannst gehen.«

Sie neigte den Kopf, wandte sich um und bahnte sich zwischen den herabhängenden Weidenzweigen einen kurvenreichen Weg durch den Garten ins Haus. Sobald sie uns den Rücken zugewandt hatte, schwand Tiros Schüchternheit. Ich folgte seinem Blick, von dessen Ursprung in seinen weitgeöffneten Augen bis zu seinem Brennpunkt irgendwo direkt oberhalb von Bethesdas sanft wiegendem Gesäß. Ich beneidete ihn um seine Bescheidenheit und Schüchternheit, seinen Hunger, sein gutes Aussehen und seine Jugend.