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»Ich danke dir, mein Lord«, murmelte Gilgamesch, bemüht, nicht zu stark ironisch zu klingen.

Der Arzt erschien beinahe sogleich, als hätte er schon im Antechambre gewartet. Wieder eines von den kleinen Spielchen, die sich der Priester Johannes gönnte? Vielleicht. Der Arzt war ein grobschlächtiger, breitschultriger Wuschelkopf von nicht mehr sehr jungen Jahren, und seine Art war knapp und scharf und geschäftsmäßig, aber dennoch warm, besorgt und vertraueneinflößend. Er zog Gilgamesch neben sich auf einen niederen Diwan, der von der graugrünlichen Haut eines schuppigen Höllendrachens bedeckt war, er spähte in die Wunde, brummte etwas Unverständliches in einer unbekannten Sprache vor sich hin und drückte mit seinen dicken Fingern auf das zerfetzte Fleisch, bis frisches Blut herausfloß. Gilgamesch holte scharf Luft, zuckte aber nicht zusammen.

»Ach, mein lieber Freund, leider muß ich Ihnen noch einmal weh tun, aber es ist zu Ihrem eigenen Besten. Verstehen Sie das?«

Die Finger des Arztes gruben tiefer. Er zog nun die Wunde auseinander, tupfte sie aus und reinigte sie mit einer hellen Flüssigkeit, die wie ein glühendes Eisen sengte. Der Schmerz war derart scharf, daß er schon beinahe wieder lustvoll war; es war ein reinigender Schmerz, eine Säuberung der Seele.

Der Priester Johannes fragte: »Wie schlimm ist es denn, Dr. Schweitzer?«

»Gott sei Dank, es ist zwar tief, aber ein sauberer Durchschuß. Das heilt ohne Folgeschäden.«

Er sondierte und reinigte die Wunde weiter und redete dabei leise auf Gilgamesch ein: »Bitte noch einen Augenblick, mein Freund.« Zum Priesterkönig sagte er: »Der Mann ist aus Stahl. Überhaupt keine Nerven, enormen Widerstand gegen Schmerz. Hier haben wir einen der Großen Helden, nicht wahr? Du bist Roland, ja? Oder vielleicht Achilles?«

»Gilgamesch ist sein Name«, sagte Yeh-lu Ta-shih.

Die Augen des Arztes begannen zu leuchten. »Gilgamesch! Gilgamesch aus Sumer? Wunderbar! Wunderbar! Der wahre Mann schlechthin. Der Sucher nach dem Ewigen Leben. Oh, wir müssen uns unterhalten, mein Freund, du und ich, wenn es dir wieder besser geht.« Dann zog er aus seinem Arztkoffer eine schrecklich wirkende Injektionsspritze. Gilgamesch sah zu wie aus weiter Ferne, als gehörte der geschwollene schmerzpochende Arm einem anderen. »Jaja, wir müssen uns ganz bestimmt unterhalten, über das Leben, über den Tod, über Philosophie, mein Freund, über die Philosophie! Wir haben so viele Dinge zu besprechen!« Er stach Gilgamesch die Nadel unter die Haut. »Also. Genug. Bleib still und ruh dich aus. Jetzt setzt der Heilungsprozeß ein.«

Robert Howard hatte nie etwas Vergleichbares gesehen. Es hätte direkt den Seiten einer seiner Conan-Geschichten entsprungen sein können. Dieser große Ochse hatte einen glatten Pfeildurchschuß im Armmuskel abbekommen, hatte das Geschoß einfach herausgerissen und unbeirrt weitergekämpft. Und hinterher hatte er sich betragen, als sei die entzündete Wunde nur ein Kratzer, während sie Stunde um Stunde zur Residenzstadt des Priesterkönigs Johannes gefahren waren, und dann hatte er die langwierigen Befragungen durch die Hofbeamten über sich ergehen lassen und hatte diese ganze endlose Empfangszeremonie standhaft und auf den Beinen durchgehalten — Allmächtiger, was für eine Demonstration von Ausdauer und Durchhaltevermögen! Gewiß, am Ende war Gilgamesch ein wenig wackelig geworden, und es hatte so ausgesehen, als könnte er ohnmächtig werden. Aber jeder gewöhnliche Sterbliche wäre dabei längst zusammengebrochen. Aber Helden waren eben wirklich anders. Sie gehörten einer völlig anderen Rasse an. Sieh ihn dir doch nur an, wie gelassen er dasitzt, während dieser alte elsässische Doktor ihm die Wunde ausputzt und ihn so beiläufig grob zusammenflickt, und er gibt keinen Laut von sich! Kein Stöhnen!

Howard verspürte plötzlich das Verlangen, zu Gilgamesch hinüberzugehen, um ihn zu trösten, ihm den Kopf an seine Brust zu ziehen, während der Doktor Schweitzer ihn verarztete, ihm den Schweiß von der Stirn zu wischen…

Ja doch, ihm offen, auf linkisch-männliche Weise Trost und Beistand zu leisten…

Nein. Nein. Nein.

Da war es wieder, das Entsetzen, das Unaussprechliche. Häßlich. Kriechend. Dieser der Hölle entschlüpfte, aus der Kloake seiner Seele kommende Drang…

Howard kämpfte dagegen an. Er löschte ihn aus, verdrängte ihn außer Sichtweite. Leugnete vor sich selbst, daß ihm je so etwas in den Sinn gekommen sei.

Zu Lovecraft sagte er: »Na, das ist aber ein Arzt! Ich nehme an, der hat seinen Doktor sicher in den Schlachthäusern von Chicago gemacht!«

»Weißt du denn nicht, wer das ist, Bob?«

»Irgend so’n alter Holländer, nehme ich an, den ein Sandsturm hier hereingeweht hat und der sich seither nicht die Mühe gemacht hat, abzuhauen.«

»Sagt dir der Name Dr. Schweitzer überhaupt nichts?«

Howard sah Lovecraft dumpf an. »Ich vermute, ich hab’ in Texas da nicht viel von dem gehört.«

»Ach, Bob, Bob, wieso mußt du immer so tun, als wärst, du so ein stupider Cowboy? Willst du wirklich behaupten, du hättest noch nie etwas von Albert Schweitzer gehört? Dem großen Philosophen, Theologen, Musiker? Es hat nie einen besseren Bach-Interpreten gegeben, und sag mir jetzt bloß nicht, daß du auch nicht weißt, wer Bach ist…«

»Philosoph? Musiker? Sprichst du von dem alten Landarzt da drüben?«

»Der in Afrika, in Lambarene, die Leprakolonie gründete, ja. Der sein Leben der Hilfe und Fürsorge für Kranke widmete, unter höchst primitiven Umständen, im hintersten Urwald von…«

»Warte mal, H. P. das kann nicht wahr sein.«

»Daß ein einzelner Mensch so viel erreichen kann? Ich versichere dir, Bob, in unserer Zeit war er ziemlich bekannt — vielleicht nicht gerade in Texas, nehme ich an, aber trotzdem…«

»Nein. Nicht, daß er das alles gemacht haben soll. Sondern daß er hier sein soll, in der Nachwelt! Wenn dieser komische alte Knabe all das ist, was du sagst, dann ist er doch, verdammt noch mal, ein Heiliger. Außer daß er vielleicht seine Frau verprügelt hat, wenn keiner in der Nähe war, oder sowas in der Richtung. Und was hat ein Heiliger in der Nachwelt zu suchen, H. P.?«

»Was haben wir hier zu suchen?« fragte Lovecraft.

Howard wurde rot und wandte sich ab. »Also — ich nehme an, es hat in unserem Leben Dinge gegeben — Dinge, die jemand vielleicht für sündhaft halten könnte, im engsten Sinn…«

»Was hat denn Sünde mit irgendwas hier zu tun?«

»Ja, aber ist dies hier nicht die Hölle?«

»Ist sie es?«

»Ich bin sicher, daß es nicht der Himmel ist, H. P. Auch wenn es Texas ziemlich ähnlich sieht hier.«

Lovecraft schüttelte den Kopf. »Himmel — Hölle — wer weiß das schon? Es gibt Leute, die glauben, daß der Ort, den wir uns geschaffen haben, die Hölle ist, das gebe ich zu. Aber ich gehöre nicht zu diesen Leuten. Das einzige, was wir wissen, ist, daß es sich um die Nachwelt handelt, um ein Leben nach dem Leben. Siehst du hier irgendwo einen Teufel mit Schuppenflügeln und einem langen Schwanz? Leben wir in ständiger Pein?«

»Also…«

»Nein«, sagte Lovecraft. »Es gibt keinen Grund, das hier für die Hölle zu halten, auch wenn das ein paar Leute tun. Es gibt keinen Grund, anders darüber zu denken, als daß es eben die Nachwelt ist, Bob«, sagte Lovecraft sanft. »Alles hier ist zufällig und vollkommen unvorherbestimmbar. Und Sünde hat möglicherweise überhaupt nichts damit zu tun. Auch Gandhi ist hier, ist dir das klar? Und Konfuzius. Waren die Sünder? Oder Moses? Abraham? Die Leute, die das hier die Hölle nennen, haben versucht, ihre eigenen erbärmlich flachen Glaubensvorstellungen, ihre kläglichen Grundschulideen über Strafen für schlechtes Betragen, auf diesen unglaublich bizarren Ort zu übertragen, an dem wir uns nun befinden. Aber mit welcher Berechtigung tun sie das? Wir fangen ja noch nicht einmal an zu verstehen, was die Nachwelt wirklich ist. Wir wissen nur, daß sie voll ist von heroischen Schurken und verbrecherischen Helden — und natürlich Leuten wie du und ich — und anscheinend ist auch Albert Schweitzer hier. Ein großes Geheimnis. Aber eines Tages vielleicht…«