»Pscht!« sagte Howard. »Der Priester Johannes spricht zu uns.«
»Meine Herren Gesandten…«
Hastig wandten sie sich ihm zu. »Eure Majestät?« sagte Howard.
»Diese Mission, die euch zu uns geführt hat: Euer König wünscht offensichtlich ein Bündnis mit uns? Zu welchem Zweck? Hat er wieder einmal Streit mit irgendeinem Papst?«
»Mit seiner Tochter, so leid es mir tut, das zu sagen«, erklärte Howard.
Der Priesterkönig wirkte angewidert. Er spielte an seinem smaragdenen Zepter herum. »Du meinst diese Mary?«
»Nein, Elizabeth, Eure Majestät«, sagte Lovecraft.
»Euer König ist ein höchst streitlüsterner Mann. Ich hätte gedacht, daß es in der Nachwelt eine hinlängliche Zahl von Päpsten gäbe, ihn einigermaßen beschäftigt zu halten, so daß er sich nicht mit seinen Töchtern anzulegen brauchte.«
»Sie sind aber die zänkischsten Weiber der Nachwelt«, sagte Lovecraft. »Aus seinem eigenen Fleisch und Blut immerhin, und beide Königinnen in ihrem jeweiligen eigenen unruhigen händelsüchtigen Reich. Elisabeth, mein Hoher Herr, entsendet ein Rudel ihrer Erforscher ins Outback. Und König Heinrich behagt dies gar nicht.«
»Ach, wirklich«, sagte Yeh-lu Ta-shih, auf einmal wieder interessiert. »Mir ebenfalls nicht! Sie hat im Outback nichts zu suchen. Das gehört nicht zu ihrem Territorium. Die übrige Nachwelt sollte doch dieser Elizabeth eigentlich genug sein. Was erhofft sie sich von hier?«
»Der Magier John Dee hat ihr gesagt, daß hier in dieser Gegend der Weg aus der Nachwelt zu finden sei«, sagte Lovecraft.
»Es gibt keinen Weg, der aus der Nachwelt hinausführt«, sagte Yeh-lu Ta-shih gelassen.
Lovecraft lächelte. »Dies entzieht sich meinem Urteilsvermögen, Majestät. Aber Queen Elizabeth jedenfalls schenkte dieser Vorstellung Glauben. Walter Raleigh leitet ihre Expedition, und der Geograph Hakluyt ist bei ihm und eine Mannschaft von fünfhundert Soldaten. Sie bewegen sich quer durch das Outback, direkt südlich von deinem Reich, und folgen einer Karte, die Dr. Dee ihnen zur Verfügung gestellt hat. Man sagt, er hätte sie von Cagliostro, der sie von einem der Medicis kaufte, dem Nero sie verpfändet hatte.«
Der Priesterkaiser schien nicht beeindruckt zu sein. »Sagen wir also diskussionshalber, es gäbe wirklich einen Ausgang aus der Nachwelt. Warum aber sollte es dann der Wunsch der Queen Elizabeth sein, von hier fortzugehen? Die Nachwelt ist nicht so übel. Gewiß, es gibt da kleinere Unannehmlichkeiten, aber man lernt doch rasch, damit zurechtzukommen. Hofft sie denn, sie könnte ins Land der Lebenden zurückgelangen und dort Anspruch auf ihren Thron erheben? Sie ist tot, lieber Freund. Wir alle hier sind Tote, auch wenn es den Anschein erweckt, als lebten wir. Aber wir können nirgendwo hin, an keinen anderen Ort. Und auch auf sie wartet in keiner anderen Sphäre ein Thron.«
Howard trat vor. »Elizabeth ist nicht wirklich daran interessiert, in eigener Person aus der Nachwelt zu gelangen, Eure Majestät. Was König Heinrich fürchtet, das ist, daß sie — sollte sie einen Ausweg finden —, daß sie diesen Ausweg für sich allein beanspruchen wird, dort eine Kolonie gründen und Passagezoll für den Weg verlangen würde. Und der König glaubt, daß unabhängig davon, wohin es die Leute führen mag, Millionen Menschen willens sein werden, dieses Risiko einzugehen, und dann würde Elizabeth am Ende alles Geld der Nachwelt einscheffeln. Und diese Idee verträgt er ganz und gar nicht, falls es dir genehm ist, das zu verstehen. Er hält sie bereits jetzt für übermäßig schlau und machtgierig, und der Gedanke, daß sie noch mächtiger werden könnte, verursacht ihm schwarze Gallenflüsse. Irgendwie hängt das auch mit der Mutter von Elizabeth zusammen — mit Anne Boleyn, der zweiten Frau Heinrichs —, die war wild und zügellos, und so ließ er ihr den Kopf abhauen, und nun glaubt er, daß hinter Elizabeths Machenschaften Anne steckt, die versucht, es ihm so heimzuzahlen…«
»Erspart mir diese langweiligen Einzelheiten«, sagte Yeh-lu Ta-shih leicht verärgert. »Was erwartet Heinrich von mir?«
»Daß du Truppen aussendest, um die Raleigh-Expedition zurückzuwerfen, bevor sie etwas für Elizabeth Nützliches herausfinden können.«
»Und in welcher Weise würde ich davon etwas gewinnen?«
»Falls der Ausgang aus der Nachwelt sich an deiner Grenze finden sollte, Majestät, würdest du dann wirklich wünschen wollen, daß ein Haufen elisabethanischer Engländer direkt vor deiner Tür eine Kolonie gründet?«
»Es gibt keinen Ausgang aus der Nachwelt«, sagte der Kaiserpriester selbstzufrieden noch einmal.
»Aber wenn sie dennoch hier eine Kolonie gründen?«
Der Monarch schwieg eine Weile. »Ich verstehe«, sagte er schließlich.
»Als Gegenleistung für deine Unterstützung«, sagte Howard, »sind wir ermächtigt, dir ein Handelsabkommen zu äußerst günstigen Konditionen anzubieten.«
»Aha.«
»Und eine militärische Schutzgarantie für den Fall einer Invasion einer feindlichen Macht in dein Reich.«
»Wenn die Streitkräfte König Henrys so gewaltig sind, wieso befaßt er sich nicht selbst mit dieser Raleigh-Expedition?«
»Es blieb nicht genug Zeit, ein Heer aufzustellen und über eine so große Entfernung in Bewegung zu setzen«, sagte Lovecraft. »Elizabeths Männer waren bereits aufgebrochen, bevor irgend etwas von dem Plan durchsickern konnte.«
»Aha.«
Lovecraft sprach weiter: »Natürlich hätte es auch andere Fürsten im Outback gegeben, an die sich König Henry hätte wenden können. Ibn Sauds Name fiel dabei und auch einer von den Assyrerkönigen — Assurnasirpal, glaube ich —, und jemand erwähnte Mao Tse-tung.
Nein, sagte König Henry, wir wollen den Priester Johannes um Hilfe ersuchen, denn er ist ein hochmögender Monarch von großem Glanz und seine Edikte sind oberstes Gesetz bis in die fernsten Winkel der Nachwelt. Und so ist es in der Tat der Priester Johannes, dessen Beistand wir suchen müssen!«
In Yeh-lu Ta-shihs Augen blitzte nun ein seltsames anderes Funkeln. »Ihr hattet an ein Bündnis mit dem Mao Tse-tung gedacht?«
»Es war nur einer der Vorschläge, Majestät.«
»Aha. Ich verstehe.« Der Priesterkönig erhob sich von seinem Thron. »Nun, wir werden diese Dinge sorgsam bedenken müssen, nicht wahr? Wir dürfen da keine überstürzten Entscheidungen treffen.« Er blickte durch den weiten Thronsaal zu dem Diwan hinüber, wo Dr. Schweitzer noch immer an der Wunde Gilgameschs herumhantierte. »Dein Patient, Doktor — wie lautet dein Befund?«
»Ein Mann wie aus Stahl, Majestät, ein Mann aus Stahl. Gott sei Dank, er heilt direkt unter meinen Augen.«
»Ist das so. Nun, dann kommt. Ihre alle werdet euch etwas ausruhen wollen, denke ich. Und dann sollt ihr die Gastfreundschaft des Priesters Johannes in ihrer Fülle genießen dürfen.«
5
Die Gastfreundschaft des Priesterkönigs, fand Gilgamesch bald heraus, war in der Tat keine unbedeutende Sache.
Man geleitete ihn zu einem Privatgemach, dessen Wände mit schwarzem Filz bedeckt waren — eine Art Zelt im Hause —, wo drei Sklavenmädchen, die ihm kaum bis zur Hüfte reichten, sich glucksend und kichernd um ihn drängten und ihm den Lendenschurz auszogen. Sanft drängten sie ihn dann in eine große marmorne Zisterne voll warmer Milch, wo sie ihn liebevoll badeten und seinen schmerzenden Leib auf höchst intime Art massierten. Und danach hüllten sie ihn in kostbare Gewänder aus gelber Seide.