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»So dachte auch ich einst«, sagte Gilgamesch. »Als ich noch König war in Uruk, in der anderen Welt, als mir endlich bewußt wurde, daß ich sterben mußte und daß es unmöglich ist, sich vor dieser Tatsache zu verstecken. Aber wozu denn das Ganze, fragte ich mich. Und ich sagte mir: Die Götter haben uns hierher gesetzt, damit wir unsere Aufgaben erfüllen, und darin liegt der ganze Sinn. Und so lebte ich danach, tat, wozu ich bestimmt war, so gut ich verstand, was die Götter von mir erwarteten, bis ich schließlich starb.« Gilgameschs Gesicht umdüsterte sich. »Aber hier… hier…«

»Auch hier haben wir unsere Aufgaben und Pflichten«, sagte Dr. Schweitzer.

»Du, vielleicht ja. Mir bleibt hier nichts anderes, als mir die Zeit zu vertreiben. Einst hatte ich einen Freund, der diese Bürde gemeinsam mit mir trug…«

»Enkidu.«

Gilgamesch ergriff mit plötzlicher Wildheit das kräftige Handgelenk des Arztes. »Du weißt von Enkidu?«

»Aus dem Epos, ja. Das Gedicht ist sehr berühmt.«

»Ach. Ach! Dieses Gedicht… Aber der Mann, der echte wirkliche Mann…«

»Von dem weiß ich nichts, nein.«

»Er ist von meiner Gestalt, sehr breit. Sein Bart ist dicht, sein Haupthaar zottig, seine Schultern sind sogar noch breiter als meine. Wir zogen überallhin gemeinsam. Doch dann zerstritten wir uns, und er verließ mich im Zorn und sagte: Komm mir nie wieder in die Quere. Und sagte: In mir ist keine Liebe mehr für dich, Gilgamesch. Und er sagte: Sollten wir einander wieder begegnen, will ich dich töten. Und seitdem habe ich nie wieder von ihm gehört.«

Dr. Schweitzer wandte sich ihm zu und sah ihn nachdenklich und forschend an. »Wie ist so etwas möglich? Alle Welt weiß doch von der Liebe Enkidus für Gilgamesch!«

Gilgamesch winkte einen weiteren Krug heran. Dieses Gespräch erweckte eine Pein in seiner Brust zum Leben, einen Schmerz, neben dem der Schmerz seiner Armverletzung nicht mehr war als ein leichtes Jucken. Und das Getränk half auch nicht, das wußte er, aber er würde dennoch trinken.

Nach einem tiefen Schluck sagte er düster: »Wir haben uns zerstritten. Es fielen hitzige Worte zwischen uns. Er hat gesagt, in ihm sei keine Liebe mehr für mich.«

»Das kann nicht wahr sein.«

Gilgamesch zuckte die Achseln, sagte aber nichts.

»Und du sehnst dich danach, ihn wiederzufinden?« fragte Dr. Schweitzer.

»Ja, nichts anderes.«

»Weißt du, wo er ist?«

»Die Nachwelt ist viel größer als die Welt, und diese ist schon so weit, daß ich Kopfschmerzen bekomme, wenn ich darüber nachdenke. Er könnte überall sein.«

»Du wirst ihn finden.«

»Wenn du wüßtest, wie sehr ich nach ihm gesucht habe…«

»Du wirst ihn wiederfinden. Ich weiß es.«

Gilgamesch schüttelte den Kopf. »Wenn die Nachwelt ein Ort der Strafe und Qualen ist, dann ist dies meine Strafe, daß ich ihn nie wiederfinden kann. Oder wenn ich es doch tue, wird er mir mit Verachtung begegnen. Oder die Hand wider mich erheben.«

»Nein, so ist das nicht«, erwiderte Dr. Schweitzer. »Ich denke, du fehlst ihm ebenso sehr wie er dir.«

»Warum hält er sich dann fern von mir?«

»Hier ist die Nachwelt«, sagte der Arzt sanft. »Ich vermute, wir sollen hier geprüft werden. Und so wirst vielleicht jetzt du geprüft, mein Freund; aber keine Prüfung dauert ewig. Nicht einmal in der Nachwelt. Nicht einmal hier. Selbst wenn du jetzt in der Nachwelt bist, vertraue auf die Güte des Herrn. Du wirst deinen Enkidu früh genug wiederfinden, um Himmels willen!« Dr. Schweitzer lächelte und sagte: »Der Kaiser wünscht dich zu sprechen. Geh zu ihm. Ich glaube, er hat dir etwas zu sagen, was du hören mußt.«

Der Priester Johannes sagte zu ihm: »Du bist doch ein Krieger, nehme ich an?«

»Das war ich«, antwortete Gilgamesch gleichgültig.

»Ein General? Ein Führer von Männern?«

»All dies habe ich weit hinter mir gelassen«, sagte Gilgamesch. »Hier ist das Leben danach. Ich gehe jetzt meiner Wege und übernehme keine Verantwortung mehr für andere. Es laufen hier genug Generäle herum!«

»Man hat mir gesagt, du warst ein alle überragender Heerführer. Man hat mir gesagt, du kämpftest wie der Gott des Krieges selbst. Wenn du auf dem Schlachtfeld erschienst, legten ganze Nationen die Waffen nieder und warfen sich vor dir in den Staub.«

Gilgamesch wartete und sagte nichts.

»Aber dir fehlt die Glorie des Schlachtfeldes, Gilgamesch, nicht wahr?«

»Fehlt sie mir?«

»Was würdest du sagen, wenn ich dir den Befehl über meine Streitkräfte anbieten würde?«

»Weshalb solltest du das tun? Was bedeute ich dir schon? Und was bedeutet mir dein Volk?«

»In der Nachwelt nehmen wir jede beliebige Nationalität an, die uns genehm ist. Mein Volk könnte das deine werden. Was würdest du dazu sagen, wenn ich dir das Oberkommando übertragen würde?«

»Ich würde sagen, du machst einen gewaltigen Fehler.«

»Aber es ist keine kleine Streitmacht. Zehntausend Mann. Entsprechende Luftunterstützung. Taktische Nuklearwaffen. Das stärkste Waffenpotential im Outback!«

»Du verstehst mich nicht«, sagte Gilgamesch. »Krieg interessiert mich nicht. Ich verstehe gar nichts von modernen Waffen, und ich will auch gar nichts darüber lernen. Und ich wünsche auch nicht zu irgendeines Mannes Nation zu gehören. Du hast den falschen Mann ausgesucht, Priester Johannes. Wenn du unbedingt einen General brauchst, warum schickst du nicht nach Wellington. Oder Malborough, Rommel. Tiglath-Pileser.«

»Oder nach Enkidu?«

Der Name kam ihm unerwartet und traf Gilgamesch wie ein Rammbock. Bei dem Namen schoß ihm die Röte ins Gesicht, und sein Leib begann krampfhaft zu zucken.

»Was weißt du von Enkidu?«

Der Priesterkönig hob eine seiner wundervoll manikürten Hände. »Gestatte mir doch das Vorrecht, die Fragen zu stellen, Großer König.«

»Du hast den Namen Enkidu ausgesprochen. Was weißt du von Enkidu?«

»Laß uns zunächst die anderen Punkte abhandeln, die von größerer Bedeu…«

»Enkidu!« fiel Gilgamesch ihm starrsinnig ins Wort. »Weshalb hast du seinen Namen genannt?«

»Ich weiß, er war dein Freund.«

»Er ist mein Freund.«

»Schön, also, er ist dein Freund. Und ein Mann von hohem Wert und großer Kraft. Der zu dieser Stunde als Gast am Hofe des größten Feindes meines Reiches weilt. Und der, wie ich erfahre, sich soeben anschickt, mich zu bekriegen.«

»Was?« Gilgamesch sah ihn wie erstarrt an. »Enkidu in den Diensten der Queen Elizabeth?«

»Ich erinnere mich nicht, dies gesagt zu haben.«

»Ja hat denn nicht diese Königin gerade eine Armee gegen dein Reich ausgeschickt?«

Yeh-lu Ta-shih lachte. »Raleigh und seine fünfhundert Narren? Diese Expedition ist absurd. Um die kümmere ich mich an einem Nachmittag nach dem Mittagsschläfchen. Nein, ich spreche von einem ganz anderen Feind. Sag mir eins: Weißt du von Mao Tse-tung?«

»Diese Fürsten unter den Später Toten — es gibt dermaßen viele davon, und ihre Namen bedeuten mir nichts.«

»Ein Chinese, ein Han. Kaiser der Marx-Dynastie, lange nach meiner Zeit. Ein geschickter, hartnäckiger und zäher Mann. Mehr als nur leicht verrückt. Er herrscht über ein Ding, das sich Himmlische Volksrepublik nennt. Direkt nördlich von hier. Und er redet seinen Untertanen ein, man könnte die Nachwelt zum Himmel machen, indem man sie kollektiviert.«

»Kollektiviert?« fragte Gilgamesch verständnislos.

»Indem man alle Bauern zu Königen macht und die Könige zu Bauern. Wie ich bereits sagte, er ist mehr als nur leicht verrückt. Doch er hat Myriaden loyaler Anhänger, die alles tun, was er befiehlt. Er gedenkt das ganze Outback zu erobern, und damit beginnen will er hier bei mir. Und danach soll die gesamte Nachwelt, Provinz nach Provinz, seinen verrückten Ideen unterworfen werden. Ich fürchte, diese Elizabeth ist im Bündnis mit ihm — daß diese absurde Unternehmung, angeblich einen Weg aus der Nachwelt finden zu wollen, weiter nichts ist als ein trickreicher Vorwand, daß ihr Raleigh meine Schwachstellen für sie ausspionieren soll, damit sie dann diese Informationen an Mao weitergeben kann.«