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»Ich sage, du redest großen Quatsch, Caesar.«

»Ah, ja? Es wimmelt hier nur so von Königen und Kaisern und Sultanen und Pharaonen und Schahs und Präsidenten und Diktatoren, und jeder von denen möchte wieder die Nummer Eins sein. Ich vermute, du bist da auch keine Ausnahme.«

»Darin irrst du dich gewaltig. Es ist jedermann wohlbekannt, daß mich nicht danach gelüstet, ein zweites Mal über Menschen zu herrschen.«

»Das bezweifle ich eben. Ich hege den Verdacht, daß du dich für den Nobelsten von uns allen hältst: Du, der kühne Krieger, der große Jäger, der Ziegelmacher, der Erbauer weiter Tempel und erhabener Wallmauern, der strahlende Musterknabe des antiken Heldentums.« Caesar lachte. »Ehe es Rom gab, da warst du und dein erbärmliches kleines von der Sonne versengtes Mesopotamien, das Land zwischen den Flüssen, tatsächlich eine große Show, und das kannst du uns einfach nicht vergessen lassen, wie? Du hältst uns alle für degenerierte verkommene miese Schufte und dich für den einzigen echten tugendhaften Mann. Dabei bist du genauso stolz und überheblich und ehrsüchtig wie nur einer von uns. Trifft das nicht zu? Diese Sache, daß du deine Königsmacht abgelegt hast, wofür du so gepriesen wurdest, das ist doch nur Pose. Du bist ein Schwindler, Gilgamesch, ein gewaltiger muskelbepackter Schwindler!«

»Wenigstens bin ich aber keine glatte heimtückische Schlange wie du, Caesar, der sich seine Freunde kauft und zum jeweils günstigsten Preis wieder verkauft.«

Caesar schien der Anwurf nicht zu beunruhigen. »Und du verbringst also zwei Drittel deiner Zeit damit, stumpfsinnige schwerfällige Ungeheuer im Outback zu killen, und du sorgst dafür, alle wissen zu lassen, daß du zu gottesfürchtig bist, als daß du dabei etwas mit modernen Waffen zu tun haben möchtest. Aber mich täuschst du nicht. Es ist nicht männliche Tugend, was dich davon abhält, deine Abschüsse mit einer anständigen doppelläufigen 470er Springfield zu erledigen. Es ist geistiger Hochmut, vielleicht auch schlichte geistige Trägheit. Der Bogen ist zufällig die Waffe, mit der du aufgewachsen bist, vor wer weiß wie vielen tausend Jahren. Und du liebst ihn, weil er dir vertraut ist. Aber welche Sprache redest du denn jetzt, heh? Dein schwerfälliges plumpes Kauderwelsch vom Euphrat? Nein, anscheinend doch Englisch, oder? Hast du damals auch diese Sprache gesprochen, Gilgamesch? Bist du als Junge in Jeeps herumgefahren oder in Hubschraubern herumgeflogen? Offenbar sind ein paar der modernen Annehmlichkeiten für dich doch akzeptabel.«

Gilgamesch zuckte die Achseln. »Ich spreche englisch mit dir, weil das hier die hauptsächliche gängige Sprache ist. Aber in meinem Herzen, Caesar, rede ich immer noch in der alten Zunge. In meinem Herzen bin ich noch immer der Gilgamesch aus Uruk, und ich gedenke zu jagen, wie ich es will.«

»Dein Uruk ist vor langer Zeit zu Staub zerfallen. Das hier ist das Leben nach dem Leben, mein Freund, der kleine Scherz, den sich die Götter mit uns allen erlaubt haben. Wir sind schon recht lange hier. Und wir werden für alle künftige Zeit hier sein, wenn ich mich nicht irre. Neue Leute bringen andauernd neue Vorstellungen hierher, und man kann sie unmöglich einfach ignorieren. Nicht einmal du kannst das. Neuerungen setzen sich fest und verändern dich, wie sehr du auch vorzugeben versuchst, daß es unmöglich ist.«

»Ich will jagen, wie ich es will«, sagte Gilgamesch. »Es ist unsportlich, wenn man es mit Gewehren tut. Es hat keine Würde, keine Eleganz.«

Caesar schüttelte den Kopf. »Ich habe ja sowieso nie verstanden, was an der Jagd sportlich sein soll. Ein paar Hirsche töten, ja, oder ein, zwei Wildschweine, wenn du in irgendeinem gräßlichen Wald in Gallien das Lager aufgeschlagen hast und deine Männer Fleisch haben wollen. Aber Jagen aus Lust, als Sport? Gräßliche Tiere abschlachten, die noch nicht einmal eßbar sind? Bei Apollo, mir kommt das völlig unsinnig vor!«

»Genau, was ich behaupte.«

»Aber wenn du jagen mußt, dann ist es doch ziemlich blöd, ein anständiges Jagdgewehr abzulehnen als…«

»Du wirst mich niemals dazu bringen.«

»Nein.« Caesar seufzte. »Wahrscheinlich nicht. Ich sollte eigentlich gescheiter sein und nicht mit einem Reaktionär zu argumentieren versuchen.«

»Reaktionär! In meinen Tagen galt ich als Radikaler«, sagte Gilgamesch. »Als ich noch König war in Uruk…«

»Eben«, sagte Caesar und grinste. »König in Uruk! Hat es je einen König gegeben, der nicht reaktionär gewesen wäre? Du stülpst dir eine Krone auf den Kopf, und sofort fängt dein Hirn an zu verfaulen. Dreimal hat Antonius mir die Krone angeboten, Gilgamesch, dreimal, und…«

»…du hast sie dreimal zurückgewiesen, sicher. Das ist mir alles bekannt. ›War dies Herrschsucht?‹ Du dachtest einfach, du kannst die Macht bekommen, ohne das Symbol der Macht. Wen wolltest du damit hinters Licht führen, Caesar? Brutus jedenfalls nicht, wie ich höre. Brutus sagte, du steckst voller Ehrsucht. Und Brutus…«

Dies traf tiefer als alles andere zuvor Gesagte. Caesar ballte drohend die Faust. »Verdammt, sprich es nicht aus!«

»…war ein ehrenwerter Mann«, schloß Gilgamesch dennoch. Er genoß Caesars deutliches Unbehagen.

Der Römer stöhnte: »Wenn ich diese Zeile noch einmal zu hören kriege…«

»Einige sagen, hier ist ein Ort der Peinigung«, sagte Gilgamesch gelassen. »Und wenn dies wahrhaftig so ist, dann besteht deine Pein darin, daß du von der Dichtung eines anderen Mannes aufgesogen und zum Verschwinden gebracht bist. Laß mich also mit meinem Bogen und meinen Pfeilen allein, Caesar, und wende du dich deinem Jeep zu und deinen kleinen Intrigen. Ich bin ein Narr und ein Reaktionär, möglich. Aber du hast keine Ahnung von der Jagd. Und du hast auch keine Ahnung, wer ich bin.«

All das war vor einem Jahr geschehen, oder auch vor zwei Jahren, oder möglicherweise fünf — sogar die Leute, die sich Uhren und Armbanduhren leisteten, besaßen keine Möglichkeit der genauen Zeitbestimmung in der Nachwelt, über der das rötliche niemals schlafende Sonnenauge willkürlich kreisend über den Himmel zog — und nun war Gilgamesch weit fort von Caesar und all seinen Gehilfen, weit weg von Nova Roma, der lästig turbulenten Hauptstadt der Nachwelt, weit fort von den lächerlichen Querelen solcher Leute wie Caesar und Bismarck und Cromwell und diesem kleinen Dreckskerl Lenin, die sich an diesem Ort um die Macht stritten. Er war mitten unter diesen Leuten gelandet, weil — er konnte sich kaum noch erinnern, weshalb — weil er einem von denen begegnet war, oder Enkidu war einem begegnet, und fast ohne zu merken, was passierte, waren sie da hineingezogen und in die Intrigen und Gegenintrigen verwickelt worden, in ihre Träume von einem Reich, der erhofften Revolution, dem Umsturz und Umbruch und der Umgestaltung. Bis es ihn schließlich gelangweilt hatte, wie töricht diese Leute waren, und er sich von ihnen entfernt hatte, für immer. Wie lange her war das? Ein Jahr? Ein Jahrhundert? Er wußte es nicht.