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Jedoch, er hatte Enkidu versprochen, Raleigh zu befragen. Also würde er dies tun.

Nach einiger Zeit sagte er zu dem Engländer: »Und das Tor zum Land der Lebenden, Sir Walter, nach dem du, wie man sagt, gesucht hast? Ist dies auch eine von diesen merkwürdigen Lügengeschichten, oder steckt da etwas Wahres dahinter?«

»Oh!« Raleigh lächelte breit. »Dazu kann ich dir etwas Brauchbares sagen: Nach allem, was ich über dieses angebliche Tor wirklich weiß, Majestät, handelt es sich da um etwas ebenso wenig Greifbares wie die Mythen und Fabeln der alten Griechen oder die Geschichten der Table Ronde.«

Auch Gilgamesch lächelte nun. Raleigh hatte der Unterhaltung bewundernswert geschickt eine andere Wendung gegeben. Indem er sagte, er kenne keinen Weg ins Land der Lebenden, habe keinen Beweis, daß es einen solchen gebe, sagte er nämlich nicht aus, daß er nicht nach einem solchen Weg gesucht hatte. Auch nicht, ob er kurz davor gestanden war, ihn zu finden, als ihm der Proviant ausging und seine Kraft ihn verließ. Es war unverkennbar, der Mann hatte lange Zeit in vertrauter Nähe zu Menschen verbracht, die über große Macht verfügten, und beherrschte die Kunst, Informationen — vorzuenthalten, ohne direkt zu lügen. Es kann gefährlich sein, einen König zu belügen. Aber ebenso gefährlich kann es sein, ihm die Wahrheit zu sagen.

Es war offensichtlich, daß Raleigh nicht die Absicht hatte, über den Zweck seiner Expedition zu sprechen, auch nicht über das Land der Lebenden oder irgendwelche Tore, die dahin führen mochten. Nun, also sei es so, dachte Gilgamesch. Die Sache begann ihn zu langweilen. Er hatte keine Lust, den Mann darüber ernstlich zu befragen, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Noch ein bißchen Bohren, ein Versuch, vielleicht, dann wollte er es sein lassen. Das alles hatte weit weniger Bedeutung für ihn selbst als für Enkidu, wenn er es recht bedachte, und Enkidu schien im Moment wirklich ganz andere heftige Interessen zu haben.

Eines war deutlich, dieser englische Mann zeigte Mut, jedenfalls für jemand, der noch vor so kurzer Zeit so scheußlich im Dreck gesteckt hatte. Ein bemerkenswerter Mann, mit Hirn und Höflichkeit, mit einer hohen klugen Stirn, intelligenten Augen, einem sorgsam gestutzten Spitzbart. Er trug feinste Kleidungsstücke, elegante seidene und samtene Gewänder, verziert mit etlichen prächtigen silbern schimmernden Pailletten. Doch zeigten sich am Stoff unübersehbare Flecken und Fehler an dem feinen Gewebe, wo die Mühsal im Outback Spuren hinterlassen hatte, und der Spitzenbesatz hing ihm beklagenswert um den hager gewordenen Körper, das Gesicht war ausgemergelt und sonnengeschwärzt, und in den tiefliegenden Augen hing eine Düsternis und Bitterkeit, die von großem ausgestandenen Ungemach Zeugnis ablegten — und von der heimlichen Befürchtung von Schlimmerem. Gilgamesch fühlte sich zu diesem Mann auf seltsame Weise hingezogen. Raleigh war kein gewöhnlicher Mensch.

»Weißt du, ich habe schon von dir gehört«, sagte Gilgamesch.

»Oh, hast du?«

»Unsere Wege hätten sich einmal fast gekreuzt. Einst war ich am Hof des Priesterkönigs Johannes, und damals ging das Gerücht, daß du mit einem Heer auf einer Forschungsexpedition die südlichen Grenzen seines Reichs überschritten hättest.«

»Aber das war vor sehr langer Zeit, Majestät, als ich im Gebiet des Priesters Johannes war.«

»Ja, das stimmt. Aber es erstaunte mich doch sehr, zu erfahren, daß du und deine Leute seither euren Marsch unbeirrt fortgesetzt habt.«

»Das lag nicht in unserer Absicht«, sagte Raleigh und warf dem kleinen Gelehrten Hakluyt einen eisigen Blick zu, als wollte er zu verstehen geben, daß dieser bei der Expedition als Führer gedient habe und seine Arbeit nicht besonders gut erledigt hätte. »Wir zogen in die Irre und verloren den Weg. Unsere Landkarte erwies sich als unbrauchbar.«

»Tatsächlich? Ja, das ist oft so.«

»Dies war eine schwere Reise für uns. Mir sind beschwerliche Fahrten nichts Fremdes, doch diesmal war es eine ungewöhnlich schwere Bürde für mich. Wir sind euch zu tieferem Dank verpflichtet, als es sich in Worten ausdrücken läßt, für all eure Freundlichkeit. Aber ich versichere euch, wir werden eure Gastfreundschaft nicht ungebührlich lange beanspruchen. Ein paar Tage der Erholung, wenn es uns verstattet ist, und dann…«

»Bleibt, solange ihr wollt«, sagte Gilgamesch mit einer großzügigen Handbewegung. »Es wäre ein recht schäbiges Ding, wollten wir euch wieder weiterschicken, ehe ihr euch von eurer Mühsal erholen konntet.« Hinter sich hörte er Herodes sich räuspern und in sich hineinmurmeln. Er dachte zweifellos an den Schwund in den Kornspeichern. Gilgamesch funkelte ihn zornig an. Und zu Raleigh sprach er — um endlich einen letzten persönlichen Versuch zu machen, wieder auf das Thema zurückzukommen, das Enkidu ihm so ans Herz gelegt hatte: »Als ich am Hofe des Priesters Johannes war, gab es da auch zwei Männer aus dem Lande von König Henry, Gesandte an den Hof von Johannes, die sagten, daß eure Königin — wie war doch noch ihr Name?«

»Elizabeth, Majestät.«

»Richtig, ja. Also, eure Königin Elizabeth, sagten sie, die eine leibliche Tochter des Königs Heinrich sei, und sie sehne sich gewaltig danach, das Tor zum Land der Lebenden zu finden. Und die Gesandten waren überzeugt, daß sie dortselbst eine englische Niederlassung zu errichten trachtete, sofern es den Ort gab, um Zollgebühren von denen einzuziehen, die dort hindurchzuziehen wünschten, in das, was immer dahinter liegen mag.«

»Ja, sie bildeten sich solche Sachen ein, wie?« sagte Raleigh beiläufig, als handelte es sich um bloße wilde Phantastereien.

Um Haltung bemüht, sagte Gilgamesch: »So habe ich es jedenfalls in Erinnerung, allerdings hörte ich es nur zufällig. Am Hof gab es darüber in meiner Gegenwart ein Gespräch zwischen den Gesandten und Priester Johannes. Ihr König Henry hatte von ihm die Aufstellung eines Heeres verlangt, das euch abfangen sollte, ehe ihr finden konntet, wonach ihr suchtet.«

Raleigh blickte zu Hakluyt zurück. »Hast du das gehört, Richard? Dieser heimtückische gemeine alte Schurke!«

»Aber Sir Walter!«

»Ich kann ihn heißen, was immer mir beliebt, Richard. Er war im anderen Leben niemals mein König, und ich schulde ihm hier keine Liebe, denn hier ist nicht England, und wenn hier England wäre, dann wäre es das Elizabethanische England, nicht das Heinrichs VIII. Jedenfalls für mich.« Und zu Gilgamesch sprach er: »Nun, du siehst, der Plan schlug fehl. Wir wurden nie von einem Heer des Priesterkönigs Johannes belästigt.«