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»Das kann ich nicht wissen. Vielleicht kann der Behaarte Mann etwas darüber sagen. Aber ich bin bereits einmal von dort hierher gekommen. Es sollte mir wieder möglich sein, wenn ich es wünsche.«

»Indem du wieder dein Leben aufgibst, meinst du?« sagte Ninsun.

»Ja.«

»Doch wenn du zum zweitenmal herkommst, glaubst du, du würdest dann jemals nach Uruk zurückfinden?«

»Ich denke, es wäre möglich. Vielleicht auch nicht. Woher soll ich das sagen können?«

»Also kann man es nicht sicher wissen?« sagte Ninsun. »Wenn du zurückkehrtest, könntest du irgendwo in der Nachwelt landen. Tausend Jahre weit weg von jetzt und tausendmal tausend Meilen fern von diesem Ort. Alle, die du hier vordem gekannt hast, würden in alle sieben Ecken der Welt zerstreut sein. Du wärest allein, Gilgamesch.«

Er betrachtete sie lange und sorgenvoll. Aber als er dann sprach, besaß seine Stimme eine wiedererwachte Bestimmtheit.

»Ich war auch früher schon allein und wurde irgendwie mit denen, die ich liebte, wieder zusammengeführt. Du und ich, Mutter, wir waren Tausende von Jahren getrennt und haben uns doch wiedergefunden, nicht wahr?«

»Und jetzt hast du vor, weiß der Himmel wohin loszuziehen, obwohl du weißt, daß du sie vielleicht niemals wiedersehen wirst!« rief Vy-otin laut. »Deine Mutter verlassen, deine Freunde, alles, was du hier in Uruk aufgebaut hast, alles zurücklassen, was du kennst und liebst — nein, Gilgamesch! Das ist nicht recht!«

»Laß ihn, Vy-otin«, sprach Ninsun. »Er hat seinen Entschluß doch bereits gefaßt, siehst du das nicht?«

»Der Haarmensch«, murmelte Herodes.

»Frieden und Freude, König von Uruk«, sagte der Uralte, der eben den Thronsaal betrat. Er vollzog eine hastige beiläufige Ehrbezeugung. »Ich habe die benötigten Dinge aus Brasil kommen lassen«, sagte er. »Hast du dich entschieden?«

»Du hast alles bereits zusammen?«

»Ja, alles, was ich brauche.«

Gilgamesch sah ihn mit offenem Mund an. »Wie kannst du von dort so rasch etwas besorgen? In einem, in zwei Tagen? Es dauert Wochen, Monate, um nach Brasil zu gelangen und zurück…«

»Manchmal geht es schneller, König Gilgamesch. Ich sage dir, ich habe alles, was nötig ist.«

Noch mehr Zauberkraft, dachte Gilgamesch. Dieses Geschöpf aus der Zeitendämmerung entzog sich seinem Begreifen.

»Also, so sei es denn«, sprach er achselzuckend.

»Du willst die Reise unternehmen?«

»Ich will. Und Enkidu. Und das Weib, Helena von Troja.«

»Auch Helena?«

»Es ist Enkidus Wunsch.«

Der Behaarte Mensch schwieg einen Moment lang.

»Simon der Magier hat Kenntnis davon, daß sie sich hier befindet«, sagte er dann. »Und es ist sein Wunsch, daß Helena von Troja ihm zugeführt werde, o König.«

»Ach? Wahrhaftig?«

»Ja, sein starker Wunsch.«

»Ja, glaubt denn Simon, sie gehörte mir und ich könnte sie nach Belieben verschenken — wie einen Sack voll Rubine?«

»Sie waren einst ein Liebespaar. Und er will sie wiedersehen.«

»Wenn man Helena zu jedem zurückschaffen müßte, der jemals ihr Geliebter war, dann müßte sie durch die Nachwelt sausen wie ein Komet«, sagte Herodes lachend.

Gilgamesch gab ihm ärgerlich ein Zeichen, den Mund zu halten. Und zu dem Behaarten sprach er: »Ich bedaure sehr, daß ich einem so bedeutenden Magier und Weisen wie Simon eine Enttäuschung bereiten muß.«

»Du wirst sie ihm also nicht senden?«

»Nein!« sagte Gilgamesch. »Sie wünscht mit Enkidu zu gehen. Und Enkidu wünscht, daß sie mit ihm geht. Weshalb sollte ich die beiden trennen? Simon hat seine Edelsteine von mir erhalten. Das sollte ihm doch genügen.«

Der Behaarte Mensch wirkte unbeeindruckt. »Wie du wünschst, o König. Doch sollst du wissen, daß keiner von hier ins Land der Lebenden mit einem anderen zusammen gelangen kann. Wer dorthin geht, der geht allein.«

»Was soll das heißen?«

»Was es sagt.«

»Es kann nur einer von uns gehen?«

»Ihr alle könnt gehen. Aber jeder geht allein und kommt allein an. Es ist der einzige Weg.«

»Und Enkidu und ich werden nicht beieinander sein, wenn wir dahin gehen?«

»Ihr macht die Reise allein, und ihr werdet allein ankommen.«

»Doch sobald wir dort sind, werden wir uns wiederfinden können?«

»Vielleicht.«

Gilgamesch atmete lange und schwer. »Aber du bist da nicht sicher?«

»Ich war nicht mehr im Land der Lebenden, König Gilgamesch, seit mehr Jahren, als du Haare auf dem Kopf hast. Wie soll ich sagen können, was dort geschehen wird? Doch jetzt komm, komm! Alles ist für die Reise bereit.«

»Einen Augenblick noch!« Gilgamesch spähte in dem weiten dunklen Saal umher. »Wo ist Enkidu?«

»Ich gehe ihn holen«, sagte Herodes und verschwand aus dem Raum.

Kurz darauf kehrte er zurück, mit Enkidu im Schlepptau wie ein Felsen auf Beinen und einer strahlenden Helena neben Enkidu. Gilgamesch sagte sofort: »Der Haarmann war bereits in Brasil und ist wieder zurück, aber fragt mich nicht, wie. Er hat die Sachen, die nötig sind, den Weg ins Land der Lebenden zu öffnen.«

Enkidu lächelte breit, doch rasch wurde sein Gesicht sehr ernst. »Und du wirst mit uns kommen auf die Überfahrt, Bruder?«

Auf einmal war es sehr still im Saal.

»Ich gehe mit«, sagte Gilgamesch ruhig.

»Bei Enlil! Beim Himmelsvater An! Ich wußte doch, du wirst es tun! Immer habe ich es gewußt…«

»Warte«, unterbrach ihn Gilgamesch. »Eins wisse, Enkidu. Der Mann sagt, Simon wünscht, daß wir ihm Helena als Geschenk senden.«

»Er sagt was?« brüllte Enkidu. Und aus seiner Brust drang ein Grollen, und er wollte sich auf den Haarigen Mann stürzen.

Aber Helena beschwichtigte ihn mit einer ganz leichten flüchtigen Berührung an seinem Handgelenk und sagte leichthin: »Bleib ganz ruhig. Es wird nicht geschehen.«

»Besser nicht!« knurrte Enkidu.

Sie lächelte. »Simon ist ein lieber Kerl, auf seine Weise. Doch wenn er wirklich an mir interessiert gewesen wäre, dann hätte er seine Chance nützen sollen, als wir uns vor langer Zeit in der Abtei von Theleme begegneten.« Und zu dem Haarmenschen sprach sie: »Sag ihm, er kommt tausend Jahre zu spät. Ich gehe, wohin immer Enkidu geht.«

Gilgamesch sprach weiter: »Dann wisse auch dies: Der Behaarte Mann sagte, daß wir getrennt werden, wenn wir den Übergang beschreiten, und daß wir uns möglicherweise danach nicht unbedingt wiederfinden könnten.«

Enkidus Augen loderten. »Was soll das heißen?« brüllte er. »Bist du sicher, du hast ihn richtig verstanden?«

»Ohne Zweifel hat er das jedenfalls gesagt.«

Enkidu fuhr herum und ging auf den Behaarten Mann los, der die Handgelenke in einer Bewegung überkreuz legte, die seltsam unbeteiligt wirkte, und in eine ferne Leere starrte.

Helena wandte sich an Enkidu: »Ist das wahr? Daß wir einander verlieren beim Übergang?«

»Gedenkt ihr euch anders zu entscheiden, was diesen Übergangsversuch betrifft?« fragte der Behaarte Mensch sanft. »Wenn das so ist, sagt es mir jetzt gleich, damit ich die Zubereitungen anhalten kann, ehe…«

»Nein!« rief Enkidu. »Das ist nur ein trügerischer Trick, weiter nichts. Etwas, das Simon ihm zu sagen befohlen hat, um uns abzuschrecken, falls Helena sich weigert, zu ihm zu gehen. Der Mann war in Simons Diensten, Bruder, bevor er dir diente. Und er ist immer noch Simons Mann.«

»Was sagst du dazu?« fragte Gilgamesch.

Völlig unbeeindruckt und ruhig sagte der Uralte: »Die Reise wird so sein, wie die Reise sein muß. Die Bedingungen sind so. Ich besitze nicht die Kraft, sie zu ändern.«

»Aber das ist doch überhaupt keine Antwort«, sagte Gilgamesch.