Er erinnerte sich an einen Tag aus seinem früheren Leben, an dem er zum Cisco-Damm gefahren war und zugesehen hatte, wie die Bauarbeiter sich auszogen und hineintauchten: Gutgebaute Männer, selbstsicher, anmutig, im Einklang mit ihrem Körper. Einige Zeitlang hatte er ihnen zugesehen und ihre körperliche Vollkommenheit bewundert. Sie hatten nackte griechische Statuen sein können, die zum Leben erwacht waren, ein ganzer Trupp von kräftigen saftstrotzenden Apolls und Zeusen. Und dann, als er hörte, wie sie sich ihre üblen zotigen Witze zubrüllten, wurde er zornig und sah in ihnen nur denkunfähige hirnlose Tiere, die die natürlichen Feinde von Träumern sind, wie er es war. Er haßte sie, wie Schwache stets die Starken verabscheuen müssen, diese glanzumstrahlten Schweine, die einen Träumer und seine Träume jederzeit in den Boden stampfen konnten, wenn sie wollten. Und dann war ihm eingefallen, daß er selbst ja auch nicht gerade ein Schwächling sei, daß er — der früher spillerig und kränklich gewesen war — sich durch harte Mühe und Training zu einem großen, breiten beeindruckenden Kerl gemacht hatte. Nicht so körperlich schön und perfekt, wie diese Männer es waren — dafür war er zu untersetzt, zu grob, zu ungeschlacht —, aber trotzdem, sagte er sich, unter diesen ganzen Männern war keiner, dem er nicht die Rippen zerquetschen konnte, wenn es zu einer Auseinandersetzung kam. Und er war damals dort weggegangen, erfüllt von Wut und rasenden Vorstellungen blutrünstiger Gewalttätigkeit.
Was steckte hinter dem allem? Diese kaum zu bändigende Wut — war das eine versteckte dunkle Lust, ein zutiefst bestialisches Verlangen nach Sünde? Sollte die in ihm aufgestiegene Wut nur jene andere kaschieren, die er gegen sich selbst hatte richten müssen, weil er diese nackten Männer heimlich beobachtete und weil ihm das Vergnügen bereitete?
Nein. Nein, Nein. Er war schließlich kein Abartiger. Dessen war er sich ganz sicher.
Er war überzeugt davon, daß es ein Anzeichen von Dekadenz sei, des Niedergangs der Zivilisation, wenn Männer nach Männern verlangten. Er selbst war ein Pionier und kein schwächlicher, gezierter Sodomit, der sich in Schmutz und eitler Sünde suhlt. Und wenn er in seinem kurzen Leben auch nie die Liebe einer Frau gekannt hatte, dann aus Mangel an Gelegenheit, und nicht etwa, weil er jene andere schändliche Form der Liebe bevorzugte. Er lebte bis ans Ende seiner Tage in dieser kleinen abgeschiedenen Präriestadt, ganz der Sorge für seine Mutter und seiner Schriftstellerei hingegeben, er hatte es vorgezogen, sich nicht mit Prostituierten und leichten Weibern abzugeben, aber er war sicher, wenn er ein paar Jahre länger gelebt hätte und die Frau, die ihm die wahre Gefährtin hatte sein können, sich ihm eröffnet hätte, dann hätte er gewißlich leidenschaftlich und hingebungsvoll zugegriffen.
Und doch — und trotzdem —, als er diesen Prachtriesen Gilgamesch erspäht hatte und ihn für Conan hielt…
Dieser elektrische Stoß, der ihm durch den ganzen Leib fuhr, ganz besonders in seinen Lenden — was sonst hatte es sein können als Verlangen, urplötzlich und heftig und überwältigend? Sexuelle Sehnsucht nach einem Mann? Es war undenkbar! Nicht einmal bei diesem von Ruhm umstrahlten Helden — diesem grandiosen königlichen Geschöpf…
Nein. Nein und nein und nein!
Ich befinde mich in der Nachwelt, und das ist möglicherweise so eine Abart der Hölle, und wenn hier die Hölle ist, dann ist dies meine Strafe, dachte Howard.
Zornig stapfte er am Landrover auf und ab. Verzweifelt wehrte er sich gegen die dunkle Angst, die ihn nun zu überschatten drohte, wie dies schon so oft in diesem Leben nach dem Leben geschehen war. Diese plötzlichen verderbten und lasterhaften Gefühle, dachte Howard, sie sind nichts weiter als die teuflische Verdrehung meiner natürlichen Seele und sollen mich in Verzweiflung und Selbsthaß stürzen! Bei Crom, ich will mich dagegen wehren! Bei den Brüsten der Ischtar, ich will mich solcher Verdorbenheit nicht preisgeben!
Und dennoch ertappte er sich immer wieder dabei, wie seine Augen hinüber zum Rand des Dickichts abirrten, wo Gilgamesch noch immer über dem Tier kniete, das er erlegt hatte.
Was für erstaunliche Muskeln spielten über diesen breiten Rücken, in diesen eisenstarken Schenkeln! Mit welcher hingebungsvoller Sorglosigkeit er dem Tier die zottige Haut abzog, obwohl er dabei über und über mit dunklem gerinnenden Blut besudelt wurde! Diese Kaskade üppiger schwarzer Haare; die locker von einem edelsteinbesetzten Stirnband gefaßt waren, dieser dichte schwarze Kräuselbart…
Howards Hals wurde trocken. Etwas tief unten in seinem Leib verkrampfte sich zu einem festen Ball.
Lovecraft sagte: »Du möchtest also gern mit ihm reden?«
Howard fuhr herum. Er spürte, wie ihm die tiefe Röte in die Wangen schoß. Er war ganz sicher, daß man ihm sein Schuldbewußtsein unbedingt von seinem brennenden Gesicht ablesen konnte.
»Was meinst du damit, verdammt?« knurrte er. Unwillkürlich ballten sich seine Hände zu Fäusten. Um seine Stirn zwängte sich etwas wie ein glühendes Band. »Wozu und worüber soll ich denn mit dem reden wollen?«
Lovecraft schien verblüfft, weil Howard in seiner Stimme und seiner Haltung so heftig reagierte. Er trat einen Schritt zurück und hob den Arm, als wollte er sich schützen. »Was für eine merkwürdige Äußerung! Ausgerechnet von dir, bei deiner Vorliebe für die Antike, deiner tiefen anhaltenden Leidenschaft für diese dumpf-schweißigen Reiche im Orient, die schon so lange verschwunden sind? Mann, gibt es denn wirklich nichts, was du über die sumerischen Königreiche erfahren möchtest? Über Uruk, Nippur, über das Ur der Chaldäer? Die geheimen Riten der Göttin Inanna in den finsteren unterirdischen Gängen unter dem Ziggurat? Die Beschwörungen, die die Tore zur Unterwelt öffneten, die Trankopfer, durch die bis in die Welten jenseits der Sterne die Dämonen freisetzen und binden konnten? Wer weiß, was er uns alles erzählen könnte? Dort steht ein Mann, der sechstausend Jahre alt ist, ein Held aus der Frühdämmerung unserer Zeit, Bob!«
Howard schnaubte: »Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser überdimensionierte Mistbrocken bereit sein könnte, uns irgendwas zu erzählen. Der hat doch nichts andres im Sinn, als dem verdammten Biest, das er erlegt hat, die Haut abzuziehen.«
»Damit ist er beinahe fertig. Warum warten wir nicht ab, Bob? Und bitten ihn dann, sich eine Weile zu uns zu setzen. Und dann können wir ihn aushorchen, ihn dazu bringen, uns Geschichten preiszugeben über das Leben, wie es sich vor langer Zeit am Euphrat abspielte!« Und jetzt glühten auch Lovecrafts dunkle Augen, als verspürte auch er ein seltsames Lustgefühl, und seine Stirn glänzte von bei ihm ungewohntem Schweiß, aber Howard wußte, daß es sich bei seiner Begeisterung nur um die Begierde nach Wissen handelte, einen Hunger nach den geheimen Weisheitsschätzen der hohen Frühzeit, die seiner Vorstellung nach aus dem Mund dieses Zweiströmehelden sprudeln müßten. In ihm selbst brannte ebenfalls diese Begierde. Mit diesem Mann zu sprechen, der gelebt hatte, ehe es Babylon gab, der durch die Straßen von Ur schritt, als Abraham noch nicht geboren war…
Aber es gab andere Gelüste neben diesem Hunger nach Erkenntnis und Wissen, ein dunkles unheimliches Verlangen, das man verleugnen mußte, koste es, was es wolle…
»Nein«, sagte Howard abweisend. »Verschwinden wir von hier, und zwar jetzt und verdammt schnell, H. P.! Diese verdammte öde Gegend geht mir auf den Keks.«
Lovecraft sah ihn seltsam an. »Hast du mir nicht gerade vorhin erklärt, wie wunderschön es hier…«
»Zur Hölle mit allem, was ich dir möglicherweise gesagt habe! König Henry erwartet von uns, daß wir für ihn ein Bündnis aushandeln. Und das werden wir nicht hinkriegen, wenn wir hier draußen am Arsch der Welt…«
»Dem was?«
»Am hintersten Ende der Welt. In einem wilden un-zivilisierten Land. Ein Begriff, der nach unserer Zeit in Mode kam, H. P. Hinterwäldlerisch, weißt du, provinziell. Aber du hast dich ja nie besonders um Lokalkolorit gekümmert, nicht war.« Er zog Lovecraft am Ärmel. »Also, komm schon! Dieser große verdammte Affe da drüben erzählt uns bestimmt nichts von seinem Leben und seiner Zeit, garantiere ich dir. Wahrscheinlich erinnert er sich an nichts, was sich irgendwie lohnt. Und er geht mir auf den Keks. Entschuldige schon, H. P. aber ich finde ihn einfach furchtbar eklig, ja? Und ich habe nicht den Wunsch, seine Gesellschaft noch länger zu ertragen. Was dagegen, H. P.? Glaubst du, wir könnten jetzt endlich hier abfahren?«