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»Ohne an deiner Vernünftigkeit zu zweifeln, muß ich dir dennoch sagen, daß du Freunde hast, die imstande sind, dich bloßzustellen. Ich bezeichne Iwan Dronow und Makarow. Ich habe gesprochen.«

Klim verbeugte sich korrekt und stumm vor dem Inspektor. Er kannte seine Kameraden natürlich besser als Rziga, und wenngleich er keine besonderen Sympathien für sie hegte, weckten doch beide seine Verwunderung. Dronow saugte immer noch unermüdlich und gierig alles in sich ein, was einzusaugen war. Er lernte vorzüglich und galt als die Zierde des Gymnasiums. Aber Klim wußte, daß die Lehrer Dronow ebenso haßten, wie Dronow insgeheim sie haßte. Nach außenhin begegnete Dronow nicht nur den Lehrern, sondern selbst gewissen Schülern, Söhnen einflußreicher Persönlichkeiten, schmeichlerisch, doch durch seine lobhudelnden Reden und sein scherzendes Lächeln klangen beständig die bald giftigen, bald geringschätzigen Anspielungen eines Menschen, der seinen wahren Wert genau kennt.

Vater Tichon charakterisierte ihn so:

»Besagter Dronow Iwan ist einem Kundschafter im Lande Kanaan vergleichbar.«

Sein eingedrückter Schädel schien Dronow gehindert zu haben, in die Höhe zu wachsen. Er geriet in die Breite. Nach wie vor ein winziges Menschlein, war er breitschultrig geworden. Seine Knochen ragten links und rechts heraus, die Krummheit seiner Beine fiel stärker ins Auge, er bewegte die Ellenbogen so, als müsse er sich immer durch ein dichtes Gedränge Bahn brechen. Klim Samgin fand, ein Buckel würde der sonderbaren Figur Dronows nicht nur nicht abträglich gewesen sein, sondern ihr geradezu Vollendung verliehen haben.

Dronow wohnte in dem Zwischenstock, in dem einst Tomilin gehaust hatte. Das Zimmer war vollgepackt mit Pappschachteln, Herbarien, Mineralien und Büchern, die Iwan seinem rothaarigen Lehrer entführte. Er hatte die Lust am Phantasieren nicht verloren, doch jetzt stand sie ihm nicht mehr. Klim schien sogar, Dronow tue sich Gewalt an, wenn er phantasierte. Er hatte seine Absicht, »besser als Lomonossow« zu werden, nicht vergessen und erinnerte von Zeit zu Zeit selbstgefällig daran. Klim fand, daß Dronows Kopf eine alles verschlingende Müllgrube geworden war, wie der Kopf Tanja Kulikows, und staunte über seine Fähigkeit, unersättlich »geistige Nahrung« hinunterzuschlingen, wie der Schriftsteller Nestor Katin, der jetzt den Flügel bewohnte, sagte. Aber in Klims Verwunderung mischte sich zuweilen das eigentümliche Gefühl, als bestehle ihn Dronow. Dronow hatte aufgehört, sich die Nase zu kratzen, dafür grunzte er in einer besonderen, besorgten und zerstreuten Weise:

»Hrumm ... weißt du, wie das Auge entstanden ist?« fragte er, »Das erste Auge? Da kriecht dir so ein blindes Wesen umher, sagen wir ein Wurm. Wie, denkst du, ist es sehend geworden?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Klim, mit anderen Gedanken beschäftigt.

»Gewiß durch den Schmerz. Es stößt mit seinem vorderen Ende, mit dem Schädel, auf allerlei Hindernisse, empfindet den Schmerz der Stöße, und an ihrer Stelle bildet sich das Sehorgan, wie?«

»Kann sein«, stimmte Klim zögernd zu.

»Das werde ich entdecken«, verhieß Dronow.

Er las Bokel, Darwin, Setschenow, die Apokryphen und die Schriften der Kirchenväter, las die »Genealogie der Tataren« des Abdul Hazi Bagadur Khan und nickte beim Lesen heftig, als picke er aus den Seiten des Buches bemerkenswerte Tatsachen und Gedanken heraus. Samgin hatte den Eindruck, daß seine Nase dadurch ein wenig sichtbarer und sein Gesicht noch flacher wurde. In den Büchern stand nichts von den seltsamen Fragen, die Iwan so erregten. Er erdachte sie, um die Eigenartigkeit seines Verstandes hervorzuheben.

»Ein Gaul«, sagte Makarow von ihm.

Makarow war gleichfalls eine Zierde des Gymnasiums und sein Held. Während zweier Jahre führte er mit den Lehrern einen grausamen Kampf wegen eines Knopfes. Er besaß die Angewohnheit, an den Knöpfen seiner Uniform zu drehen. Wenn er seine Lektion hersagte, hielt er eine Hand am Kinn und drehte am Kragenknopf, der immer baumelte, und häufig riß er ihn unter den Augen des Lehrers ab und steckte ihn in die Tasche. Man bestrafte ihn, man sagte ihm, wenn sein Rockkragen ihn am Halse drücke, solle er ihn weiter machen. Es half nichts. Er hatte überhaupt eine Menge Laster: nichts konnte ihn veranlassen, sich die Haare schneiden zu lassen, wie er es nach der Vorschrift tun mußte, und von seinem von beulenartigen Erhöhungen bedeckten Schädel standen nach allen Seiten hin zweifarbige – dunkelblonde und helle – Haarwirbel ab. Man konnte denken, trotz seiner achtzehn Jahre ergraue er schon. Es war bekannt, daß er unmäßig rauchte und in schmutzigen Spelunken Billard spielte.

Er wurde aus einer anderen Stadt in die Untersekunda aufgenommen, entzückte schon bald drei Jahre die Lehrer durch seine Fortschritte und verwirrte und reizte sie durch sein Betragen. Mittelgroß, schlank und stark, hatte er den federnden Gang eines Zirkusartisten, sein Gesicht war nicht russisch, höckernasig, scharf umrissen und gemildert durch ein Paar frauenhaft sanfte Augen und das wehmütige Lächeln seiner schönen, leuchtenden Lippen. Auf der Oberlippe sproßte bereits dunkler Flaum.

Klim begriff die Freundschaft dieser beiden allzu ungleichen Menschen nicht. Dronow erschien neben Makarow noch häßlicher und fühlte dies wohl selbst. Er sprach zu Makarow mit einer bösartig kreischenden Stimme und im Ton eines Menschen, der einen Angriff erwartet und sich zur Verteidigung bereit macht, streckte hochmütig die Brust heraus, warf den Kopf zurück, und seine irren Augen verharrten wachsam, argwöhnisch und gleichsam gefaßt auf etwas Ungewöhnliches. Dagegen beobachtete Klim in Makarows Verhalten zu Dronow durchdringende Neugier, vereint mit der beleidigenden Achtlosigkeit des Erfahrenen und Sehenden gegenüber einem Halbblinden, Klim hätte eine solche Behandlung nicht geduldet. Dronow hielt Makarow Drapers Buch »Katholizismus und Wissenschaft« unter die Augen und krähte aufdringlich:

»Hier wird behauptet, die Mönche seien Feinde der Wissenschaft, während doch Giordano Bruno, Campanella, Morus.....«

»Schmeiß doch den ganzen Krempel in die Ecke«, riet Makarow, der eine Zigarette rauchte.

»Ich will die Wahrheit wissen«, beharrte Dronow und sah Makarow argwöhnisch und unfreundlich an.

»Erkundige dich danach bei Tomilin oder Katin, die werden sie dir sagen«, erklärte, Rauchwolken ausstoßend, gleichmütig Makarow.

Eines Tages fragte Klim:

»Gefällt Dronow dir?«

»Gefallen – nein«, entgegnete Makarow bestimmt. »Aber es steckt etwas aufreizend Unverständliches in ihm, und das will ich enträtseln.«

Er dachte nach und sagte lässig:

»Mit seiner Visage lebt es sich schwer.«

»Warum?«

»Na, er muß sich gut kleiden, einen besonderen Hut tragen, mit einem Stöckchen spazieren. Was halten sonst die Mädels von so einem? Die Hauptsache, mein Lieber, sind die Mädels und die lieben Spazierstöckchen, Säbel oder Gedichte.«

Nach diesen Worten begann Makarow leise durch die Zähne zu pfeifen.

Klim Samgin eignete sich gern fremde Gedanken an, sofern sie nur den Menschen, auf den sie sich bezogen, einfacher erscheinen ließen. Vereinfachende Gedanken erleichterten einem es sehr, eine eigene Meinung zu haben. Er hatte gelernt, seine Meinung kunstvoll zwischen Ja und Nein in der Schwebe zu halten, und dies gab ihm das Renommee eines Menschen, der es versteht, unabhängig zu denken und sozusagen auf Rechnung seines eigenen Verstandes zu leben.

Seit Makarows Urteil über Dronow kam er endgültig zu dem Schluß, daß Dronows Suchen nach der Wahrheit nur das Bestreben der Krähe war, sich mit Pfauenfedern zu schmücken. Da er selbst in dem ruhelosen Strom dieses Bestrebens trieb, kannte er sehr wohl seine Gewalt und zwingende Kraft.

Er hielt seine Kameraden für dümmer als sich, sah aber gleichzeitig, daß sie begabter und interessanter waren. Er wußte, daß der weise Priester über Makarow gesagt hatte: