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»Ein glänzender Jüngling. Man vergesse aber nicht den feinen Ausspruch des berühmten Hans Christian Andersen: Gold und Silber vergeht, Schweinsleder besteht.«

Klim hatte sehr große Lust, die Vergoldung von Makarow herunterzukratzen. Sie blendete seine Augen, wenngleich er bemerkte, daß seinen Freund eine niederdrückende Unruhe befiel. Iwan Dronow dagegen schien ihm ein verzweifelter Spieler, der nicht früh genug allen das Geld aus der Tasche ziehen kann und mit falschen Karten spielt. Zuweilen war Klim wirklich ratlos, wenn er wahrnahm, daß seine Kameraden ihm offener und vertrauensvoller begegneten als er ihnen. Augenscheinlich erkannten sie ihn als den Klügeren und Erfahrenen an. Doch diese ehrlichen Zweifel tauchten nur für kurze Zeit auf und nur in jenen seltenen Augenblicken, da er müde war, sich beständig zu überwachen, und fühlte, daß er einen mühseligen und gefahrvollen Weg ging.

Makarow selbst war es, der die Vergoldung von sich abkratzte. Dies geschah, als sie auf der Umfriedung der Kirche »Himmelfahrt in den Bergen« saßen und sich an dem Anblick der untergehenden Sonne freuten.

Es war einer jener märchenhaften Abende, wenn der russische Winter mit entwaffnender, fürstlicher Verschwendung die Fülle seiner kalten Schönheiten entfaltet. An den Bäumen funkelte der rosenfarbige Kristall des Reifs, der Schnee sprühte im Regenbogenstaub von Edelsteinen, Hinter den violetten Lichtflecken des vom Wind bloßgelegten Flüßchens, auf den Wiesen, lag ein prunkvoller brokatener Teppich, über ihm eine blaue Stille, die nichts beunruhigen konnte. Diese lauschende Stille umfaßte alles Sichtbare, als erwarte sie, daß etwas besonders Bedeutungsvolles gesagt werde.

Makarow blies die blaue Rauchschlange seiner Zigarette in die frostige Luft und fragte unvermittelt:

»Dichtest du?«

»Ich?« wunderte sich Klim. »Nein. Und du?«

»Ich fange gerade an. Es geht schlecht.«

Und wie mit einem Streich begann er in beleidigtem Ton roh und schamlos zu erzählen.

»Jetzt sind es schon zwei Jahre, daß ich an nichts außer an Mädchen denken kann. Zu Prostituierten kann ich nicht gehen, so tief bin ich nicht gesunken. Es zieht mich zur Onanie, und wenn man mir die Hände abschlüge. In diesem Hang, Bruder, ist etwas bis zu Tränen, bis zum Ekel vor sich selbst Beleidigendes. In Gesellschaft von Mädchen komme ich mir wir ein Idiot vor. Sie redet mir von Büchern, allerhand Poesien, und ich denke nur daran, was sie wohl für Brüste hat und daß ich sie küssen und dann meinetwegen sterben möchte.«

Er schleuderte die zur Hälfte gerauchte Zigarette fort, sie bohrte sich in den Schnee mit dem Feuer nach oben, wie eine Kerze, und verbrämte die kalte Durchsichtigkeit der Luft mit den Ringellocken des blauen Rauchs, Makarow folgte ihnen mit den Blicken und sagte halblaut:

»Dumm wie zwei Lehrer ... und vor allen Dingen kränkend, weil es unüberwindlich ist. Hast du es schon gespürt? Wirst es bald spüren.«

Er erhob sich, zertrat die Zigarette und fuhr stehend fort, während er mit zugekniffenen Augen das rotglühende Kreuz an der Kirche betrachtete:

»Dronow hat in irgendeinem Schmöker gelesen, daß hier der ›Geist des Geschlechts‹ wirke, der ›Wille der Venus‹, hol sie der Teufel, das Geschlecht und die Venus was habe ich mit ihnen zu schaffen? Ich will mich nicht als Hengst fühlen, das macht mich ganz schwermütig und bringt mich auf Selbstmordgedanken. So steht es mit mir!«

Klim hörte mit angestrengtem Interesse zu, es war ihm angenehm, zu sehen, daß Makarow sich selbst als ohnmächtig und schamlos hinstellte. Makarows Nöte waren Klim noch unbekannt, wenngleich er manchmal nachts, wenn die fordernden Regungen des Körpers ihn bedrängten, sich ausmalte, wie sein erster Roman sich abspielen würde, und im voraus wußte, daß die Heldin dieses Romans Lida sein würde.

Makarow pfiff, vergrub die Hände in den Taschen seines Mantels und zog fröstelnd die Schultern zusammen.

»Ljuba Somow, dieses stumpfnasige Schaf, – ich liebe sie nicht, das heißt, sie gefällt mir nicht, und doch fühle ich mich hörig. Du weißt, die Mädels sind mir wohlgeneigt, aber . . .«

»Nicht alle«, beendete Klim in Gedanken den Satz, da er sich erinnerte, wie feindselig Lida Warawka sich gegen Makarow verhielt.

»Gehen wir, es ist kalt«, sagte Makarow und fragte mürrisch:

»Warum schweigst du?«

»Was könnte ich sagen?« Klim zuckte die Achseln. »Eine Banalität, daß das Unvermeidliche unvermeidlich ist . . .«

Einige Minuten gingen sie schweigend. Unter ihren Füßen knirschte der Schnee.

»Warum fängt es so früh an. Mir scheint, mein Lieber, dahinter steckt Hohn«, sagte leise und staunend Makarow. Klim reagierte nicht gleich.

»Schopenhauer hat wahrscheinlich recht.«

»Vielleicht aber auch hat Tolstoi recht: wende dich von allem ab und starre in den Winkel. Aber wenn du dich vom Besten in dir abwendest, was dann?«

Klim Samgin schwieg. Es war ihm eine immer größere Wohltat, den traurigen Reden seines Kameraden zu lauschen. Er bedauerte sogar, daß Makarow sich plötzlich von ihm verabschiedete und, sich vorsichtig umblickend, in den Hof einer Schenke trat.

»Ich werde Billard spielen«, sagte er und schlug wütend die Hofpforte zu.

Die verflossenen Jahre hatten für Klims Leben keine aufwühlenden Ereignisse gebracht. Alles vollzog sich sehr einfach. Allmählich und auf ganz natürliche Weise verschwand ein Mensch nach dem andern aus seinem Gesichtskreis. Sein Vater verreiste immer häufiger, wurde gleichsam immer kleiner, bis er endlich ganz zerschmolz. Vorher nahm seine Redseligkeit ab: er sprach weniger überzeugt, schien sogar Schwierigkeiten bei der Auswahl seiner Worte zu haben, vernachlässigte Bart und Schnurrbart, aber die rötlichen Haare in seinem Gesicht wuchsen horizontal, und als die Oberlippe sich in eine Zahnbürste verwandelt hatte, verlor der Vater die Fassung, rasierte sich den Bart ab, und nun sah Klim, daß seines Vaters Gesicht kläglich zerknittert und gealtert war. Warawka fühlte sich verpflichtet, ihn zu ermutigen.

»Nun, nun, Iwan Akimowitsch, wie steht es? Haben Sie das Sägewerk verkauft?«

Des Vaters Ohren wurden dunkelrot, wenn er Warawka zuhörte, und wenn er ihm antwortete, sah er ihm über die Schultern hinweg und trat mit dem Fuß auf wie ein Scherenschleifer. Oft kam er betrunken nach Hause, begab sich in das Schlafzimmer der Mutter, und von dort war lange sein winselndes Stimmchen zu hören. Am Morgen seiner letzten Abreise kam er in Klims Zimmer. Er hatte getrunken. Ihn begleitete die leise Mahnung der Mutter:

»Ich bitte dich, keine dramatischen Monologe!«

»Nun, lieber Klim«, sagte er laut und tapfer, doch seine Lippen bebten und die entzündeten, großen Augen zwinkerten geblendet. »Die Geschäfte zwingen mich, für lange Zeit zu verreisen. Ich werde in Finnland leben, in Wyborg. So. Mitja kommt auch mit. Nun, leb wohl.«

Er umarmte Klim, küßte ihn auf Stirn und Wangen, klopfte ihm auf den Rücken und fügte hinzu:

»Großvater begleitet uns. Ja. Lebwohl. A...achte deine Mutter, sie ist würdig...«

Ohne auszusprechen, wessen die Mutter würdig war, winkte er ab und kratzte sich am Kinn. Klim schien, er wolle sich mit der flachen Hand das Gesicht zudecken.

Als der Großvater, der Vater und der Bruder, der sich grob und feindselig von Klim verabschiedet hatte, abgereist waren, wurde das Haus dadurch nicht leerer, aber einige Tage später erinnerte Klim sich der ungläubigen Worte, die jemand am Fluß gesagt hatte, als Boris Warawka ertrunken war:

»Ja, war denn ein Junge da? Vielleicht war gar kein Junge da?«

Das Entsetzen, das Klim in jenen Augenblicken durchgemacht hatte, als die roten, beharrlichen Hände aus dem Wasser ragten und immer näher zu ihm heranrückten, hatte Klim vollständig vergessen. Boris' Ende beunruhigte immer seltener und nur wie ein Traumgesicht seine Erinnerung. Aber in den Worten des skeptischen Menschen lag etwas Aufdringliches, als wären sie einem Sprichwort entlehnt, in dem dieser Satz: »Vielleicht war gar kein Junge da?« vorkam.