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Besonders verwirrte ihn der Ausdruck der Augen in ihrem abweisenden Gesicht. Er war es, der sie in eine Fremde verwandelte. Dieser Blick, scharf und wach, erwartete, suchte, ja forderte, wurde unvermittelt geringschätzig und abstoßend kalt. Seltsam war, daß sie alle Katzen aus ihrer Umgebung verjagt hatte, überhaupt sich in ihrem ganzen Verhältnis zu Tieren ein gewisser krankhafter Abscheu bemerkbar machte. Wenn Pferde wieherten, fuhr sie zusammen, verzog das Gesicht und hüllte sich fröstelnd in ihren Schal. Hunde riefen Widerwillen in ihr hervor. Selbst Hähne und Tauben waren ihr sichtlich unangenehm.

Auch ihr Denken bekam wie ihr Körper etwas Eckiges und scharf Umrissenes. »Lernen ist langweilig«, sagte sie, »und wozu muß ich auch wissen, was ich selbst niemals anwenden oder sehen werde?«

Eines Tages sagte sie Klim:

»Du weißt viel. Das muß sehr lästig sein.«

Tanja Kulikow, Warawkas Haushofmeisterin, die allem auf der Welt wohlwollend und demütig zulächelte, sprach von Lida, wie Klims Mutter von ihrem prachtvollen Haar:

»Sie ist meine Qual.«

Sie sagte es ohne Ärger, vielmehr zärtlich und liebevoll. Auf ihren Schläfen erschienen graue Haare, auf dem zerknitterten Gesicht das Lächeln eines Menschen, der begreift, daß er in einer unglücklichen Stunde geboren wurde, niemand interessiert und an all dem sehr schuldig ist.

Im Flügel tauchte der lustige Schriftsteller Nestor Nikolajewitsch Katin auf nebst Frau, deren Schwester und einem tollpatschigen Hund, der auf den Namen »Traum« hörte. Der wirkliche Name des Schriftstellers war Pimow, aber er hatte sich ein Pseudonym gewählt und erklärte dies scherzhaft so:

»Bei uns sagt man bekanntlich nicht Nestor, sondern Nester, und ich hätte meine Erzählungen mit Nesterpimow unterzeichnen müssen. Tödlich, nicht wahr? Zudem ist es jetzt Mode, Pseudonyme nach dem Namen seiner Frau zu bilden: Werin, Walin, Saschin, Maschin ...«

Er war zottig, trug ein krauses Bärtchen, sein Hals war mit Ringellocken dunkler Haare bestickt, und selbst an den Handwurzeln und an den Gelenken der Finger wuchsen ihm kleine Büsche dunkler Wolle.

Lebendig, sehr beweglich, sogar ein wenig unstet und ein unermüdlicher Schwätzer, erinnerte er Klim an seinen Vater. In seinem behaarten Gesicht blitzten lebhaft die kleinen Äuglein, doch argwöhnte Klim trotzdem aus irgendeinem Grunde, daß dieser Mensch heiterer erscheinen wollte, als er war. Beim Sprechen neigte er den Kopf zur linken Schulter, als lausche er seinen eigenen Worten, und seine Ohrmuscheln zuckten ganz leise.

Er gebrauchte die Redewendungen der Kirchensprache und bemühte sich offensichtlich, wenn auch nicht sehr glücklich, damit die Leute zum Lachen zu bringen. Er pries überschwenglich die Schönheit der Wälder und Fluren, das patriarchalische Dorfleben, die Duldsamkeit der Bauernweiber, den Verstand der Bauern und die einfache und weise Seele des Volkes und schilderte, wie diese Seele durch die Stadt vergiftet werde. Oft mußte er seinen Zuhörern Worte erklären, die sie nicht kannten, und bemerkte dann nicht ohne Stolz:

»Ich kenne die Sprache des Volkes besser als Gleb Uspenski. Er verwechselt das Bäurische mit dem Kleinstädtischen, mich wird man nicht dabei erwischen, o nein!«

Nestor Katin trug einen Bauernkittel, umgürtet von einem schmalen Riemen, schob die Hosenbeine in langschäftige Stiefel und trug die Haare kreisrund gestutzt, »à la Mushik«. Er sah aus wie ein Handwerker, der gut verdient und flott lebt. Beinah an jedem Abend besuchten ihn ernste, tiefsinnige Menschen. Klim schien, daß sie alle sehr stolz und über irgend etwas gekränkt waren. Sie tranken Tee und Branntwein und aßen dazu Gurken, Wurst und eingemachte Pilze. Der Schriftsteller rollte sich in merkwürdiger Weise bald zusammen, bald wieder auseinander, lief im Zimmer auf und ab und sagte:

»Ja, ja, Stepa, die Literatur hat sich dem Leben entfremdet, sie ist dem Volk untreu geworden. Jetzt schreibt man hübsche Nichtigkeiten zum Ergötzen satter Bäuche. Das Gefühl für Wahrheit ist verlorengegangen.«

Stepa, ein breitschultriger, graubärtiger Mann, saß stets abseits von den anderen, rührte schwermütig mit dem Löffel im Tee, nickte nur zustimmend mit dem Kopf und schwieg stundenlang. Plötzlich begann er zu reden, in gleichmäßigen Abständen und mit klangloser Stimme: Von den Nöten der Volksseele, den Pflichten der Intelligenz und besonders viel vom Verrat der Kinder am Vermächtnis der Väter. Klim fiel auf, daß der Sachverständige für die Pflichten der Intelligenz das Weiche vom Brot verschmähte und sich an die Rinde hielt, Tabakrauch nicht leiden konnte und Branntwein trank, ohne seinen Abscheu davor zu verbergen, gleichsam nur aus Pflichtgefühl.

»Du hast recht, Nestor, man vergißt, daß das Volk die Substanz, das heißt, der Grund aller Dinge ist, und jetzt tritt man mit der Lehre von den Klassen, mit einer deutschen Lehre auf... Hm...«

Makarow fand, daß dieser Mensch etwas von einer Milchamme hatte. Er sagte das so lange, bis es auch Klim so schien. Gewiß, Stepa hatte ungeachtet seines Bartes Ähnlichkeit mit einem vollbusigen Weib, das gemietet wird, um mit seiner Milch fremde Kinder zu nähren.

Sonntags versammelte sich die Jugend bei Katin, die ernsten Gespräche wichen Gesang und Tanz. Der blatternarbige Seminarist Saburow breitete langsam die Arme in der verqualmten Luft aus, als schwimme er im Stehen, und sein angenehmer Bariton empfahl dringend:

»Geh an die Wolga hinaus!«

»Wessen Stöhnen...« fiel nicht sehr melodisch der Chor ein. Die Erwachsenen sangen feierlich, psalmodierend, der frohe Tenor des Schriftstellers klang schrill. In dem langsamen Gesang lag etwas Kirchliches, an eine Seelenmesse Erinnerndes. Fast immer wurde nach dem Gesang geräuschvoll Quadrille getanzt. Am lautesten lärmte der Schriftsteller, der gleichzeitig das Orchester und den Dirigenten machte. Mit seinen kurzen Beinchen stampfte er den Takt, bediente mit großer Kunst eine billige Harmonika und kommandierte schneidig:

»Die Kavaliere durch die Damen hindurch! Laß die eigene sausen, pack die fremde!«

Damit brachte er alle zum Lachen. Der Schriftsteller, der sich immer mehr erhitzte, sang nun zur Harmonika im Rhythmus der Quadrille:

»Die Kinder kommen in die Hütte gelaufen,

Rufen eilig den Vater.

Vater. Vater, in unseren Netzen

Hat sich ein Leichnam gefangen.«

Warawka nannte ärgerlich diese Lustbarkeit »Ball der Fische«.

Klim hatte den Eindruck, daß der Schriftsteller sich mit Anspannung aller Kräfte und geradezu verzweifelt amüsierte. Er hüpfte, zuckte mit allen Gliedern und schwitzte. In dem Wunsch, einen verwegenen Kerl darzustellen, stieß er Schreie aus, die nicht seine eigenen waren, mühte sich ab, die Tanzenden zu erheitern und ächzte, wenn er es erreicht hatte, erlöst: »Puh!«

Alsdann stürzte er sich von neuem an die Arbeit, sie mit sinnlosen Redensarten und komischen Sprüngen zu belustigen, und zwinkerte seiner Frau zu, die, ein schläfriges Lächeln in dem Puppengesicht, selbstvergessen die Figuren der Quadrille ausführte.

»Ei du Weichherzige!« schrie ihr Mann ihr zu.

Seine Frau, rundlich, rosig und schwanger, war zu allen von unerschöpflicher Zärtlichkeit. Mit kleiner, aber lieblicher Stimme sang sie zusammen mit ihrer Schwester ukrainische Volkslieder. Die Schwester, mit langer Nase, lebte mit geschlossenen Augen, als fürchte sie etwas Erschreckendes zu sehen. Sie goß schweigsam und akkurat Tee ein, bot Imbiß herum, und nur ganz selten vernahm Klim ihre tiefe Stimme:

»Das ja!« Oder: »Daran ist schwer zu glauben.«

Sie sprach nur selten mehr als diese beiden Sätze.

Klim fühlte sich ganz gut in der Gesellschaft dieser spaßigen und neuen Menschen, in dem mit lustigen, hellen Tapeten bekleideten Zimmer. Alles ringsumher war unordentlich wie bei Warawka, aber harmlos. Von Zeit zu Zeit erschien Tomilin. Langsam, mit feierlichem Schritt, stelzte er über den Hof, ohne einen Blick in die Fenster der Samgins zu werfen. Beim Eintreten drückte er den Leuten stumm die Hand, setzte sich in die Ofenecke, senkte den Kopf auf die Brust und lauschte den Diskussionen oder Liedern. Eilig lief Tanja Kulikow herbei. Ihr unbedeutendes, nur schwer in der Erinnerung haftendes Gesicht lief bei Tomilins Anblick so dunkel an wie Fayenceteller im Alter dunkeln.