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Klim hörte, daß sie sich gleichsam entschuldigte oder zweifelte, ob sich das auch wirklich so verhielt. Die Gäste pflichteten ihr bei:

»Ja, natürlich.«

Eines Tages – eine mißglückte Demonstration seiner Geistesgaben hatte ihn erregt – fragte Klim den Vater:

»Warum bin ich ungewöhnlich und Mitja gewöhnlich? Er ist doch auch geboren, als alle aufgehängt wurden?«

Der Vater erklärte es ihm umständlich und lange, aber Klim behielt davon nur das eine: es gab gelbe Blumen, und es gab rote Blumen. Er, Klim, war eine rote Blume. Die gelben Blumen waren fade.

Die Großmutter pflegte, während sie den Schwiegersohn scheel ansah, eigensinnig zu wiederholen, der lächerliche bäurische Name ihres Enkels habe auf seinen Charakter einen schlechten Einfluß. So riefen die Kinder Klim »Klin«, was den Jungen verletzte. Darum ziehe es ihn auch mehr zu den Erwachsenen.

»Das ist sehr schädlich«, sagte sie.

Alle diese Meinungen mißbilligt durchaus der »richtige Greis«, Großvater Akim, der Feind seines Enkels und aller Menschen, ein hoher, gebeugter Greis, öde wie ein abgestorbener Baum. Sein langes Gesicht wird auf jeder Seite von einer Barthälfte umrahmt, die ihm vom Ohr bis auf die Schulter fällt, während Kinn und Oberlippe kahlrasiert sind. Die massige Nase schimmert blau, die Augen scheinen unter den fahlen Brauen zugewachsen. Seine langen Beine wollen sich nicht biegen, die langen Hände mit den krummen Fingern bewegen sich widerwillig und unangenehm. Er trägt beständig einen langschößigen braunen Gehrock und samtene, pelzgefütterte Schaftstiefel mit weichen Sohlen. Er geht am Stock wie ein Nachtwächter. An der Spitze des Stockes ist ein Lederball befestigt, damit er nicht so laut auf den Boden schlägt, sondern im gleichen Ton wie die Stiefelsohlen darüber hinschlürft und scharrt. Er ist eben »der richtige Greis«, und selbst wenn er sitzt, faltet er beide Hände über dem Stock, so wie die alten Männer auf den Bänken im Stadtpark.

»Alles schädlicher Unsinn«, knurrt er. »Ihr verderbt den Jungen. Ihr denkt ihn euch so aus, wie ihr ihn sehen wollt.«

Sogleich entbrannte ein Streit zwischen dem Großvater und dem Vater. Der Vater bewies, daß alles Gute auf Erden ausgedacht sei, und daß schon die Affen, von denen der Mensch abstammt, damit begonnen hätten, etwas auszudenken. Der Großvater scharrte wütend mit dem Stock, strich auf dem Fußboden Nullen durch und schrie mit knarrender Stimme:

»Un-sinn!«

Aber niemand konnte sich Gehör verschaffen: von den saftigen Lippen des Vater sprudelten die Worte so geschwind und reichlich, daß Klim schon wußte, gleich würde der Großvater abwehrend mit dem Stock fuchteln, sich kerzengrade aufrichten, ragend wie ein Manegenpferd, das sich auf den Hinterbeinen erhoben hat, und auf sein Zimmer gehen. Der Vater aber würde ihm nachrufen:

»Du bist ein Misanthrop, Papa!«

So endete es immer.

Klim fühlte recht wohl, daß der Großvater ihn auf jede Weise herabzusetzen suchte, während alle übrigen Erwachsenen ihn geflissentlich in den Himmel hoben. Der »richtige Greis« behauptete, Klim sei einfach ein schwächlicher, schlapper Junge, und es sei nicht das mindeste Besondere an ihm. Mit schlechten Spielsachen spiele er nur deshalb, weil die guten ihm von den regeren Kindern weggenommen würden, und mit dem Enkel der Amme habe er sich angefreundet, weil Iwan Dronow dümmer sei als die Kinder Warawkas. Klim aber, von allen verwöhnt, litte an Eigenliebe, verlange für sich besondere Beachtung und finde die nur bei Iwan.

Dies zu hören, war kränkend, erregte Feindseligkeit gegen den Großvater und Scheu vor ihm. Klim glaubte dem Vater: alles Gute war ausgedacht – Spielzeug, Konfekt, Bilderbücher, Gedichte – alles. Wenn die Großmutter das Mittagessen bestellte, sagte sie häufig zur Köchin:

»Denk dir selber etwas aus.«

Und immer war es notwendig, etwas auszudenken, denn sonst bemerkte einen niemand von den Erwachsenen und man lebte, als wäre man nicht da oder als wäre man nicht Klim, sondern Dmitri.

Klim entsann sich nicht genau, wann er zum erstenmal wahrnahm, daß man sich ihn »ausdachte«, und selbst anfing, sich etwas auszudenken, aber er behielt seine glücklichsten Erfindungen gut im Gedächtnis. Einmal, vor langer Zeit, fragte er Warawka:

»Warum hast du so einen Käfernamen? Bist du kein Russe?«

»Ich bin ein Türke«, antwortete Warawka. »Mein richtiger Name ist Bei: – Schlag-nicht-mit-dem-Knüppelschlag-mit-dem-Pfennig-Bei. »Bei« ist türkisch und heißt auf russisch – Herr.«

»Das ist gar kein Name, sondern ein Ammensprichwort«, sagte Klim.

Warawka packte ihn und warf ihn mühelos wie einen Ball gegen die Decke. Bald darauf machte sich der unangenehme Doktor Somow, dem ein Geruch von Schnaps und gesalzenen Fischen entströmte, an ihn heran. Da mußte man für ihn einen Namen erdenken, rund wie ein Fäßchen. Ausgedacht war auch, daß der Großvater lila Worte sprach. Doch als er sagte, es gebe Menschen, die »sommerlich« und solche, die »winterlich« grollten, schrie die kecke Tochter Warawkas, Lida, empört:

»Das habe ich zuerst gesagt und nicht er!«

Etwas auszudenken, war nicht leicht, aber er verstand, daß alle im Hause, mit Ausnahme des »richtigen Greises«, ihn gerade deswegen mehr liebten als seinen Bruder Dmitri. Als man zu einer Bootpartie aufbrach, und Klim und sein Bruder an Doktor Somow, der mit Mama am Arm träge dahinschlenderte, vorüberliefen, hörte er sogar den finsteren Doktor zu ihr sagen:

»Sehen Sie, Wera, dort gehen zwei, aber es sind zehn – der eine ist die Null und der andere die Eins davor.«

Klim erriet sofort, die Null, das war das rundliche, fade Brüderchen, das dem Vater so lächerlich ähnlich sah. Seit diesem Tag nannte er den Bruder »gelbe Null«, obgleich Dmitri rosig und blauäugig war.

Da Klim merkte, daß die Erwachsenen beständig etwas von ihm erwarteten, suchte er nach dem abendlichen Tee so lange wie möglich an dem Redestrom der Großen zu sitzen, aus dem er seine Weisheit schöpfte. Während er aufmerksam die endlosen Diskussionen verfolgte, lernte er gut, Worte aufzufangen, die sein Ohr besonders kitzelten, und er fragte nachher den Vater nach ihrer Bedeutung. Iwan Samgin erklärte voller Freude, was ein Misanthrop, ein Radikaler, ein Atheist, ein Kulturträger sei, und wenn er es erklärt hatte, lobte er unter Zärtlichkeiten den Sohn.

»Du bist ein gescheiter Junge. Sei nur wißbegierig, sei nur wißbegierig, das ist nützlich.«

Der Vater war recht angenehm, aber nicht so unterhaltsam wie Warawka. Es war schwer zu verstehen, was der Vater sagte, er redete so viel und so geschwind, daß die Worte einander zerquetschten, und seine ganze Rede erinnerte an den Schaum von Bier oder Kwas, wenn er blasenschlagend aus dem Flaschenhals heraufstieg. Warawka redete wenig und mit Worten, wuchtig wie auf den Ladenschildern. In seinem roten Gesicht funkelten lustig die kleinen grünlichen Augen, sein feuriger Bart ähnelte in seiner Fülle einem Fuchsschweif, durch den Bart huschte ein breites rotes Lächeln, und wenn er gelächelt hatte, leckte Warawka sich die sinnlichen Lippen mit seiner langen, ölig glänzenden Zunge.

Ohne Zweifel war er der klügste Mensch. Er war niemals mit jemand einer Meinung und belehrte alle, selbst den »richtigen Greis«, der auch nicht in Einklang mit jedermann lebte, aber verlangte, daß alle den gleichen Weg gingen wie er.

»Rußland hat einen Weg«, redete er und stampfte dazu mit dem Stock auf.

Worauf Warawka ihn anbrüllte:

»Sind wir Europa, ja oder nein?«

Er pflegte zu sagen, mit dem Muschik komme man nicht weit, es gebe nur einen Gaul, der die Fuhre vom Fleck rücken könne – die Intelligenz. Klim wußte, die Intelligenz, das waren der Vater, der Großvater, die Mutter, die Bekannten und natürlich Warawka selbst, der jede beliebige schwere Fuhre vom Fleck rücken konnte. Seltsam war nur, daß der Doktor, auch ein starker Mann, Warawkas Ansicht nicht teilte, vielmehr grimmig seine schwarzen Augen rollte und schrie: