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»Es ist Zeit, nach Hause zu gehen«, sagte er ärgerlich, um sich bemerkbar zu machen.

Lida erhob sich sogleich, wobei sie sich kriegerisch aufrichtete.

»Sie spielen sehr schlecht den Originellen, Makarow«, sagte sie schnell, doch offenbar milder.

Makarow stand auf, verbeugte sich und führte die Hand mit der Mütze zur Seite, wie das miserable Schauspieler machen, wenn sie französische Marquis spielen.

Das Mädchen erwiderte mit einem Runzeln ihrer Augenbrauen und entfernte sich rasch an Klims Arm.

»Warum bist du so wütend geworden?« fragte er. Sie steckte ihr Haar, das über die Ohren geglitten war, zurück und sagte empört:

»Nicht leiden kann ich diese ... diese Nihilisten. Er posiert ... raucht... Die Haare sind buntscheckig und die Nase krumm. Er soll ein recht schmutziger Bengel sein.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, vermerkte sie jedoch sogleich auch die Tugenden des von ihr Verurteilten.

»Schlittschuh läuft er wundervoll.«

Nach dieser Szene empfand Klim etwas wie Hochachtung vor diesem Mädchen, vor ihrem Verstand, der sich ihm so unerwartet erschlossen hatte. Diese Empfindung wurde noch gesteigert durch die Ausfälle von Mißtrauen und die Achtlosigkeit, womit Lida ihm zuhörte. Manchmal besorgte er, Lida könne ihm auf irgendeine Weise hereinlegen, ihn entlarven. Schon längst hatte er bemerkt, daß Gleichaltrige ihm gefährlicher waren als Erwachsene. Sie waren schlauer und mißtrauischer, während der Dünkel der Erwachsenen unbegreiflicherweise mit Arglosigkeit verbunden war.

Doch wenn er Lida gelegentlich auch fürchtete, empfand er doch keine Abneigung gegen sie, im Gegenteil, das Mädchen flößte ihm den Wunsch ein, ihr zu gefallen, ihr Mißtrauen zu besiegen. Er wußte, verliebt war er nicht in sie, in dieser Hinsicht machte er sich nichts vor. Er kannte noch nicht das Verlangen, jungen Mädchen den Hof zu machen, und die Regungen des Geschlechts bedrängten ihn nicht allzu heftig. Die üblichen zahlreichen Liebesaffären der Gymnasiasten mit den Gymnasiastinnen nötigten ihm nur ein mitleidiges Lächeln ab. Für sich hielt er solche Liebesromane für unmöglich, da er überzeugt war, ein Jüngling, der eine Brille trug und ernste Bücher las, müsse in der Rolle des Verliebten lächerlich sein. Er hörte sogar auf zu tanzen, da er fand, daß Tanzen unter seiner Würde sei. In Gesellschaft der jungen Mädchen, die er kannte, befleißigte er sich eines trocknen Wesens, kühler Höflichkeit, die er sich von Igor Turobojew angeeignet hatte, und als Alina Telepnew mit Begeisterung erzählte, wie Ljuba Somow und der Telegraphist Inokow sich auf der Eisbahn geküßt hatten, schwieg Klim aufgeblasen, nur, damit man ihn nicht der Neugier für verliebte Albernheiten verdächtigen konnte. Um so grausamer fühlte er sich getroffen, als er eines Tages entdeckte, daß er verliebt war.

Es begann damit, daß Klim Samgin, der sich zur Schule verspätet hatte, rasch durch das Schneegestöber eines Februarsturms hindurchschritt und plötzlich, dicht vor dem gelben Gebäude des Gymnasiums, auf Dronow stieß. Iwan stand auf dem Trottoir, in der einen Hand hielt er den Riemen seiner Schultasche, die er über die Schultern geworfen hatte, die andere, mit der Mütze, hing ihm am Körper herab.

»Man hat mich von der Schule gejagt«, stammelte er. Auf seinem Kopf und in seinem Gesicht schmolz Schnee, die ganze Haut seines Gesichts von der Stirn bis ans Kinn schien Tränen auszuscheiden.

»Wofür?« fragte Klim.

»Kanaillen.«

Klim riet ihm: »Setz die Mütze auf.«

Iwan hob langsam den Arm, als wäre die Mütze aus Eisen. Der Schnee war in sie hineingerieselt, und so, wie sie war, voll Schnee stülpte er sie sich auf den Kopf, um sie einen Augenblick später wieder abzunehmen und auszuschütteln. Während er sich mit Klim entfernte, redete er abgebrochen:

»Das ist Rziga ... und der Pfaffe. Ich übe einen schädlichen Einfluß aus, behaupten sie ... und überhaupt, sagt er, du, Dronow, bist eine zufällige und unerwünschte Erscheinung im Gymnasium. Sechs Jahre haben sie mir Wissen verabfolgt und nun... Tomilin behauptet, daß alle Menschen auf der Welt eine zufällige Erscheinung sind...«

Klim schlenderte Schulter an Schulter mit Dronow heimwärts. Er folgte aufmerksam seinen Worten, ohne sich zu wundern, ohne ihn zu bedauern, während Dronow immerfort stammelte und die Worte gleichsam aus sich herauskratzte.

»Den Kopf haben sie mir abgeschlagen, die Kanaillen! Schädlicher Einfluß! Sehr einfach, der Rziga hat mich dabei ertappt, wie ich mich mit Margarita geküßt hab.«

»Mit ihr?« fragte Klim. Er verlangsamte den Schritt.

»Na ja doch, und er, Rziga, selbst...«

Doch Klim hörte nicht mehr zu. Jetzt war er sowohl unangenehm wie feindselig erstaunt. Er erinnerte sich Margaritas, der Näherin mit dem runden, blassen Gesicht und den dunklen Schatten unter den tiefliegenden Augen. Diese Augen waren von unbestimmter gelblicher Farbe, ihr Blick schläfrig, müde. Sie mußte schon bald dreißig sein. Sie nähte und besserte die Wäsche der Mutter, Warawkas sowie seine aus. Sie »kam ins Haus«. Es war verletzend, zu erfahren, daß ihn Dronow selbst in bezug auf diese Frau überflügelt hatte.

»Und sie?« fragte er und blieb stehen, unschlüssig, was er sonst noch sagen sollte.

»Daß sie mir nur kein ›Wolfsbillett‹Zeugnis, das die Aufnahme des Relegierten in ein anderes Gymnasium unmöglich machte. D. Ü. ausstellen«, knurrte Dronow. »Erlaubt sie dir denn ...?«

»Wer?«

»Margarita.«

Dronow zuckte heftig mit der Schulter, als stoße er jemand beiseite und sagte:

»Welches Weib erlaubt es denn nicht?«

»Und bist du schon lange mit ihr zusammen?« verhörte ihn Klim.

»Ach, laß mich in Ruhe«, schnitt Dronow ab, bog unvermittelt um die Ecke und verschwand sofort im weißen Brei des Schnees.

Klim ging nach Hause. Er konnte nicht glauben, daß diese züchtige Näherin einen Dronow gern küssen sollte, wahrscheinlicher war, daß er sie gewaltsam geküßt hatte. Und gierig natürlich. Klim schauderte geradezu, als er sich vorstellte, wie Dronow beim Küssen schmatzte und mit der Zunge schnalzte.

Während er ablegte, hörte er, wie die Mutter im Salon ein neues Musikstück einübte.

»Warum so früh?« fragte sie. Klim erzählte die Sache mit Dronow und fügte hinzu:

»Ich bin nicht zur Schule gegangen. Dort herrscht wahrscheinlich große Erregung. Iwan war ein glänzender Schüler. Er hat vielen geholfen und besitzt eine Menge Freunde.«

»Das ist vernünftig von dir«, lobte die Mutter. In ihrer neuen blauen Matinee sah sie heute besonders jung und bezwingend schön aus. Sie nagte an ihren Lippen, warf einen Blick in den Spiegel und lud ihren Sohn ein:

»Bleib ein wenig bei mir.«

Und während sie mit leichtem, schwebendem Schritt im Zimmer auf und ab ging, begann sie gedämpft:

»Rziga hat mich davon benachrichtigt, daß man Iwan streng bestrafen würde. Er hat verbotene Bücher und unanständige Photographien in die Klasse geschmuggelt. Ich sagte Rziga, in den Büchern stünde gewiß nichts Gefährliches, das sei wohl nur Prahlerei von Dronow.«

Klim brachte solide sein Sprüchlein an:

»Ja, Prahlerei oder jener bei Kindern und Jugendlichen verbreitete Hang zu Pistolen ...«

»Sehr treffend«, belobte lächelnd die Mutter. »Aber schädliche Bücher zusammen mit unanständigen Bildern, – das spricht schon von einer verdorbenen Natur. Rziga sagt sehr wahr, die Schule sei eine Anstalt, bestimmt, eine Auslese von Menschen zu treffen, die fähig sind, so oder anders das Leben zu bereichern und zu verschönen. Nun wohl, womit könnte ein Dronow das Leben verschönen?«