Plötzlich fuhr er wie von einer Tarantel gestochen hoch und sagte, mit der Faust gegen die Wand trommelnd:
»Ihr lügt, Teufel! Ich komme doch auf die Universität. Tomilin hat mir seine Hilfe zugesagt.«
Klim, der geduldig mitangehört hatte, wie Dronow Rziga und die anderen Lehrer beschimpfte, fragte lässig:
»Wie steht es jetzt zwischen dir und Margarita?«
»Was steht?« fragte Dronow erst nach einer Weile zurück.
»Nun dieses – ist es Liebe?«
»Liebe«, wiederholte Dronow nachdenklich und senkte den Kopf. »Es ist so gewesen: erst küßten wir uns, und dann geschah das übrige. Es ist nicht der Rede wert, mein Lieber.«
Wieder begann er mit dem Gymnasium. Klim hörte ihm noch einige Zeit zu und ging dann weg, ohne erfahren zu haben, was er gern wissen wollte.
Er fühlte sich wie festgeleimt und gefesselt an die Gedanken an Lida und Makarow, Warawka und die Mutter, Dronow und die Näherin. Doch ihm schien, diese lästigen Gedanken lebten nicht in ihm, sondern irgendwo draußen und würden nur durch Neugier herbeigerufen. Es lag etwas unversöhnlich Kränkendes in dem Umstand, daß es Beziehungen und Stimmungen gab, die er nicht begreifen konnte. Das Grübeln über die Frauen wurde ihm zur wichtigsten Beschäftigung, in ihm vereinigte sich alles Wirkliche und Bedeutungsvolle, alles übrige wich zur Seite, wurde zu einer seltsamen Erscheinung zwischen Traum und Wachen.
Wachtraum schien auch alles, was das geräuschvolle Leben im Flügel ausmachte. Dort war ein langhaariger Mensch mit einem feinen, blassen und unbeweglichen Gesicht aufgetaucht. Er ähnelte in nichts einem Bauern, trug aber nach Bauernart einen grauen hausgewebten Rock, schwere Filzstiefel, ein vertragenes blaues Hemd und ebensolche Hosen. Bald schwenkte er seine feinen Hände, bald drückte er sie an die eingefallene Brust und hielt dabei den Kopf so seltsam, als habe man ihn früher einmal heftig gegen das Kinn gestoßen, so daß sein Kopf nach hinten geschleudert wurde, und er ihn seit der Zeit nicht mehr senken könne, sondern immerfort nach oben blicken müsse. Er drang in die Menschen, sich vom lasterhaften Stadtleben loszusagen, aufs Land zu gehen und die Scholle zu ackern.
»Das ist alt«, wehrte der Mensch, der einer Amme glich, ab. Der Schriftsteller tat das gleiche:
»Wir haben's versucht – und uns dabei verbrannt.«
Der als Bauer vermummte Mensch sprach im Ton des Priesters auf der Kanzeclass="underline"
»Ihr Blinden! Voll Eigennutz seid ihr hingegangen, mit der Predigt des Bösen und der Gewalt. Ich aber rufe euch auf zum Werk der Liebe und des Heils. Mit den geheiligten Worten meines Lehrers sage ich euch: Werdet einfältig, werdet wie die Kinder, werfet ab alle hoffärtige Lüge, die ihr erdacht habt und die euch verblendet!«
Aus der Ofenecke ertönte Tomilins Stimme:
»Ihr wollt, die Juweliere sollen Pflugscharen schmieden. Wird aber eine solche Rückkehr zur Einfachheit nicht gleichbedeutend mit Verwilderung sein?«
Klim bemerkte, daß der Lehrer lauter geworden war, und seine Worte überzeugter und schroffer klangen. Sein Haar wuchs ihm immer wilder übers Gesicht, er wurde offensichtlich immer ärmer, seine Jacke war an den Ellenbogen so sehr durchgescheuert, daß Löcher eingerissen waren. In den Hosenboden war ein dunkelgraues Dreieck eingesetzt. Die Nase spitzte sich zu. Das Gesicht hatte einen hungrigen Ausdruck bekommen. Oft schüttelte er schief lächelnd den Kopf, die roten Haare fielen ihm über die Wangen und mischten sich mit dem Bart. Geduldig warf er sie mit beiden Händen immer wieder hinter die Ohren zurück. Gelassener als alle, trat er dem als Bauer verkleideten Mann, sowie einem anderen kahlen, rotgesichtigen entgegen, der behauptete, nur Käsesieden und Bienenzucht könne das Volk retten.
Klim bedrückte das Übermaß von Widerspruch und Eigensinn, womit jeder dieser Menschen seine Wahrheit verteidigte. Der Mann im Bauernkostüm sprach streng und mit apostolischer Inbrunst von Tolstoi und den beiden Gestalten des Christus – der kirchlichen und der volkstümlichen –, von Europa, das an übergroßer Empfindsamkeit und geistiger Armut zugrunde gehe, von den Verirrungen der Wissenschaft. Die Wissenschaft verachtete er vor allem.
»In ihr bergen sich alle Quellen unserer Irrtümer, in ihr wohnt das Gift, das unsere Seelen zerrüttet.«
Ein wirbelhaariges Männchen mit einem Kneifer hüpfte erregt vom Sofa, aus dessen zerfetztem Bezug die Bastfüllung zottige Bärte heraussteckte, auf, und brüllte mit einem Baß, der alle Stimmen übertönte:
»Barbarei!«
»Sehr richtig«, bekräftigte der Schriftsteller. Tomilin erkundigte sich neugierig:
»Glauben Sie im Ernst, daß die Rückkehr zur Weltanschauung der chaldäischen Hirten für uns möglich und heilsam sei?«
»Das Handwerk! Die Schweiz, – da haben Sie es!« versicherte der Kahle mit heiserer Stimme der Gattin des Schriftstellers. »Viehzucht. – Käse, Butter, Leder, Honig, Holz und weg mit der Fabrik!«
Das Chaos der Ausrufe und Reden wurde dauernd übertönt vom machtvollen Baß des Mannes mit dem Kneifer. Er war ebenfalls Schriftsteller und verfaßte populärwissenschaftliche Broschüren. Er war sehr klein. Daher schien sein enormer, von widerspenstigen dunklen Haaren bedeckter Kopf auf den schmalen Schultern wie angesetzt, sein von den Haaren bedrängtes Gesicht nur eben angedeutet und seine ganze Gestalt unfertig. Aber sein sehr tiefer Baß besaß eine unerhörte Gewalt und erstickte mühelos alle Schreie wie Wasser die Kohlenglut. Er stürzte in die Mitte des Zimmers vor, schwankte wie ein Betrunkener, beschrieb mit den Händen in der Luft Kreise und Ellipsen und sprach über den Affen, den prähistorischen Menschen und den Mechanismus des Weltalls so überzeugt, als habe er eigenhändig das Universum erschaffen, die Milchstraße hingestreut, die Sternbilder aufgehängt, die Sonne angezündet und die Planeten in Bewegung gebracht. Alle hörten ihm aufmerksam zu. Dronow riß gierig den Mund auf und starrte, ohne zu blinzeln, so angestrengt in das Gesicht des Redners, als erwarte er aus seinem Munde die Wahrheit, die alle Zweifel löste.
Die Züge des Mannes im Bauernkostüm blieben unbewegt, ja sie versteinerten noch mehr. Sobald er die ganze Rede angehört hatte, begann er im Diskant wie von der Kanzel herab:
»Wenngleich die Astronomen seit jeher berühmt sind wegen ihrer Entdeckungen über die Geheimnisse des Himmels, flößen sie doch nur Schrecken ein, da sie verschweigen, daß sie das Dasein des Geistes, der alles Lebendige erschaffen hat, leugnen.«
»Nicht alle leugnen ihn«, berichtigte Tomilin, »nehmen Sie nur Flammarion.«
Doch ohne seinen Einwand zu beachten, fuhr der Tolstoianer fort, schwelgerisch, wie Klim fand, ein grauenvolles Bild zu malen: grenzenlose, schweigende Finsternis, in der die zitternden, goldnen Würmer der Milchstraße sich krümmen und Welten entstehen und verschwinden:
»Und inmitten dieser unendlichen Vielzahl der Sterne, verloren in unbesiegbares Dunkel, irrt unsere winzige Erde, die Behausung der Kümmernisse und Leiden. Nun bitte, stellt euch dies vor und die Schrecken eurer Einsamkeit auf ihr, die Schrecken eurer Nichtigkeit in der schwarzen Leere, inmitten der zornig flammenden Sonnen, die zum Erkalten verurteilt sind ...«
Klim hörte sich diese Schrecken kaltblütig genug an. Nur dann und wann rieselte ihm ein unangenehmer Schauer den Rücken hinab. Die Art, wie man sprach, fesselte ihn mehr als das, was man sprach. Er sah, daß der großköpfige, unfertige Schriftsteller mit Entzücken vom Mechanismus des Weltalls redete, daß aber auch der als Bauer vermummte Mensch mit Wonne die Schrecken der Einsamkeit des Erdballs im Weltenraum ausmalte.
Auf Dronow wirkten diese Reden ungemein stark. Er krümmte den Rücken, blickte sich um und flüsterte bald Klim, bald Makarow zu: