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Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte zum dritten Mal.

Er war eingeschlafen. Seine Hand tastete nach dem Hörer. »Pronto

»Professor Russo?«

Noch immer meinte er diese eindringliche Grabesstimme aus dem Inneren des Steines zu hören.

»Joe? Bist du das?« Es war Carter. »Kannst du mich hören?«

»Ja, Bones, ich kann dich hören.«

»Na ja, etwas mehr Begeisterung könntest du schon an den Tag legen.«

Russo schüttelte den Traum ab und setzte sich in seinem knarrenden Stuhl auf.

»Besonders, nachdem ich die halbe Nacht mit deinen Laborberichten und Fotos zugebracht habe.«

»Du hast es dir also angesehen?«, sagte Russo. Er versuchte, sich eine neue Zigarette anzuzünden, aber seine Hände zitterten zu stark.

»Ja. Und es sieht so aus, als hättest du tatsächlich einen erstaunlichen Fund zwischen die Finger bekommen.«

»Das denke ich auch.«

»Aber es gibt da Einiges, das ich nicht verstehe. Erstens, es sieht so aus, als hättest du alles genau nach Vorschrift gemacht, alle Tests, am Fossil, am Felsen selbst …«

»Das haben wir auch.«

»… aber keines deiner Ergebnisse ergibt irgendeinen Sinn.«

In gewisser Weise war Russo erleichtert, dass jemand anders das genauso sah.

»Und ich brauche dir ja nicht zu sagen«, fuhr Carter fort, »dass es im Inneren der Probe jede Menge eingeschlossener Gase geben kann. Du wirst einen guten Mineralogen brauchen, der dir hilft herauszufinden, wie du das Fossil aus dem Fels herausbekommst.«

Brich den Stein auf.

»In deinem Brief hast du geschrieben, dass ihr nicht die Ausrüstung habt, um ein beschleunigtes Massenspektrogramm zu machen?«

»Nein, das können wir nicht.« Das war genau die Eröffnung, auf die Russo gehofft hatte. »Aber an der New York University könnt ihr das doch machen, oder?«

»Ja, klar.«

»Und Magnetresonanztomographie in einer offenen Umgebung? Könnt ihr das auch?«

»Das ließe sich einrichten.«

»Und was ist mit Lasern? Auf Argon-Basis?«

Carter schwieg einen Moment. »Den könnten wir uns ausleihen. Warum?«

Russo zögerte, dann wagte er den Sprung ins kalte Wasser. »Weil ich dich unter diesen Umständen besuchen werde, mein Freund.«

»Was meinst du damit? Ohne das Fossil, hier in New York …«

»Ich komme mit dem Fossil. So, wie es ist, im Stein eingeschlossen. Und wir werden einen Weg finden, es zu befreien.«

»Und das werden sie dir erlauben?« In Carters Stimme lag Überraschung und eine Spur Erregung. »Bei einer Entdeckung von dieser Bedeutung?«

»Ich habe erklärt, dass du der einzige Mensch auf der Welt bist, der diese Arbeit übernehmen und uns erklären kann, was wir da gefunden haben.«

Am anderen Ende der Leitung herrschte verblüfftes Schweigen, und Russo konnte sich nur vorstellen, was für Gedanken jetzt durch Carters Kopf wirbelten. Schließlich hörte er: »Joe, das ist unglaublich.«

Russo lachte leise. »Was willst du damit sagen – wie in alten Zeiten?«

»So ziemlich«, erwiderte Carter.

In der nächsten halben Stunde klärten sie die logistischen Fragen, besprachen den Zeitplan und die notwendige Laborausstattung. Als Russo den Hörer wieder auf die Gabel legte, war es draußen vollkommen dunkel, und der Sturm hatte sich in einen heftigen Platzregen verwandelt.

Aber er hatte erreicht, was er wollte.

Jetzt wollte er nur noch nach Hause, duschen und etwas essen.

Er nahm seinen alten Regenmantel vom Haken auf der Rückseite der Tür, schloss ab und stieg die Treppe hinunter. Merkwürdig, wie stark das Gefühl war, er sei erst vor Kurzem hier entlanggegangen. Aber das war ein Traum gewesen … ein Albtraum. Daran sollte er sich mittlerweile gewöhnt haben.

Im Vestibül blieb er stehen, um den Kragen hochzuschlagen und seinen Regenschirm aus dem Halter neben der Tür zu nehmen, den einzigen, der noch übrig war. Draußen auf der Via del Corso hörte er den Regen gurgelnd in den Gullis verschwinden. In der Pförtnerloge brannte noch Licht, und einen Moment später tauchte Augusto auf, der einen großen Mülleimer zum großen Container in der Halle trug.

»Ach, hallo«, sagte Russo zu dem alten Mann. »Haben Sie zufällig vorhin so ein hämmerndes Geräusch gehört, aus dem Innenhof?«

»Ja, Professor. Eines der Seile hatte sich gelöst. Ich habe es wieder am Boden befestigt.«

Wie konnte sein Traum so zutreffend sein? »Gut. Danke schön. Falls so etwas noch einmal vorkommt …«

»Nein«, erwiderte Augusto und schüttelte den Kopf. »Ich werde da nicht noch mal rausgehen.«

»Aber Sie waren doch bereits draußen.«

»Nein«, sagte er, kippte den Mülleimer aus und wandte den Blick ab. »Ich gehe da nicht noch mal raus.« Er biss die Zähne zusammen und ging zurück in sein Kabuff.

Das war vollkommen untypisch für Augusto, der normalerweise äußerst respektvoll und höflich war, doch nachdem Russo darüber nachgedacht hatte, beschloss er, dass er ihn nicht weiter mit Fragen bedrängen würde. Er öffnete die Tür zur Dunkelheit und der schmalen Gasse draußen und klappte seinen Regenschirm auf. Nein, es war besser, es einfach auf sich beruhen zu lassen. Der Wind zerrte an dem Regenschirm und riss ihn Russo fast aus der Hand. Außerdem, dachte er, wollte er vielleicht gar nicht hören, was Augusto ihm zu sagen hatte.

8. Kapitel

Die nächste Woche wurde hektisch für Carter. Es stellte sich heraus, dass Joe mit einer ganz untypischen Eile voranpreschte, und Carter musste sich anstrengen, um mitzuhalten.

Als Erstes hatte Joe sich eine befristete Ausfuhrgenehmigung der Nationalen Akademie der Wissenschaften beschafft, und mit dieser Genehmigung in der Hand hatte er das italienische Militär zu Hilfsleistungen verpflichtet. Dieses würde das Fossil mit einer Transportmaschine vom Luftwaffenstützpunkt in Frascati, südöstlich von Rom, zum Kennedy Airport in New York bringen. In einem Land, das für seine Verwaltungsbürokratie berüchtigt war, hatte Joe es nicht nur geschafft, sich durch den Behördendschungel zu kämpfen, sondern das auch noch in Rekordzeit. Unwillkürlich fragte Carter sich, was tatsächlich hinter dieser großen Eile steckte. Joe benahm sich, als könnte er es kaum abwarten, das Fossil nach New York zu schaffen.

Für Carter stand währenddessen eine Menge Lobbyarbeit und Rennerei in der NYU an. Gleich am Montagmorgen schickte er die Bilder und Anhänge zum Fachbereichsleiter Dr. Stanley Mackie und schaute nachmittags in dessen Büro vorbei. Mackie war ebenso berühmt für seine buschigen weißen Augenbrauen, die offensichtlich seit einem halben Jahrhundert ungehindert sprießen durften, wie für seine Funde in der Olduvai-Schlucht in Tansania in den späten sechziger Jahren. Als Carter ihm kurz Joes Pläne darlegte, das Fossil an die New York University zu schaffen, ragten Mackies Brauen sogar noch weiter in die Höhe als üblich.

»Er will etwas teilen, das er selbst für bemerkenswert hält? Warum um alles auf der Welt sollte er das tun?«

»Wir haben schon zuvor zusammengearbeitet, auf Sizilien …«

»Wo Sie die Knochengrube entdeckt haben.«

»Ja. Professor Russo war mir eine große Hilfe.«

»Trotzdem«, sagte Mackie. »In meinen ganzen Jahren in diesem Beruf kann ich die Paläontologen, Anthropologen oder Archäologen an den Fingern einer Hand abzählen, die jemals freiwillig den Ruhm für irgendetwas geteilt hätten. Meiner Erfahrung nach geht es immer nur darum, den Ruhm zu stehlen wo immer es möglich ist, nicht darum, ihn zu teilen.«

Carter wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Dr. Mackie hatte recht. Jeder, der glaubte, in der akademischen Welt ginge es weniger halsabschneiderisch zu als in der Geschäftswelt, unterlag einem traurigen Irrtum. Das hatte Carter schon früh auf die harte Tour gelernt. Zweimal hatte er sich die Anerkennung für wissenschaftliche Aufsätze mit Professoren teilen müssen, die formal die Ausgrabungen leiteten, an denen er gearbeitet hatte, obwohl die Funde und die Schlussfolgerungen, die er in seinen Berichten daraus gezogen hatte, ganz allein von ihm stammten.