Joe legte sich hin, und Carter deckte ihn zu.
»Es tut mir leid, Bones«, sagte Joe. Carter war sich nicht vollkommen sicher, worauf er sich bezog.
»Mach dir nichts draus. Es wird schon alles gut.« Doch bevor er das Zimmer verließ, warf er einen kurzen Blick an die Wand, wo das Bild gehangen hatte. Er stellte fest, dass Russo es durch etwas anderes ersetzt hatte. Im Dämmerlicht brauchte er eine Sekunde, um es zu erkennen, und dann eine weitere, um es mit dem zusammenzubringen, was er von seinem Freund wusste, einem Mann der Wissenschaft wie kaum ein anderer. Aber genau über dem Ende des Sofas, wo sich sein Kopf befand, hatte Joe an den Nagel, an den das Bild gehörte, ein altes hölzernes Kruzifix gehängt.
11. Kapitel
Zum dritten Mal hatte Carter die Nummer auf den internationalen Frachtpapieren gewählt, und endlich war er durchgekommen. Doch als er fragte, ob die italienische Militärmaschine mit dem Fossil an Bord bereits auf dem Kennedy Airport gelandet sei, sagte eine gestresste Telefonistin nur: »Einen Moment bitte«, und ließ ihn erneut hängen.
»Was sagen sie?«, fragte Joe nervös. Er stand direkt neben Carters Stuhl.
»Ich weiß nicht, ich bin in der Warteschleife, während sie es überprüft.«
»Sie hätten schon vor Stunden ankommen sollen«, sagte Joe und zog eine weitere Nazionali aus dem fast leeren Päckchen in seiner Tasche. »Was ist denn jetzt schon wieder das Problem?«
Das wusste Carter natürlich genauso wenig wie Joe. Und obwohl er wusste, dass Beth nicht gerade begeistert davon war, dass Joe sich eine Zigarette in der Wohnung ansteckte, schien es ihm kein besonders guter Zeitpunkt zu sein, um den Mann zu bitten, damit aufzuhören.
»Die Maschine wurde aufgehalten«, sagte die Telefonistin, die urplötzlich wieder in der Leitung war. »Sie wird am späten Nachmittag erwartet. Gegen vier.«
»Wodurch wurde sie aufgehalten?«
»Das Wetter. Starker Wind aus östlicher Richtung.«
»Ich meine, ich hätte einmal gehört, dass der Wind fast immer aus dem Westen käme.«
»Da haben Sie richtig gehört. Aber das ist genau der Grund, warum die Wetterfrösche sich oft irren.«
Als Carter auflegte und Joe die Neuigkeit mitteilte, ging dieser zum Fenster und blies eine Rauchwolke hinaus. Passend zu seiner Stimmung, erwies sich dieser Tag als grau und düster. Und wenn Joe daran dachte, was in der Nacht zuvor geschehen war, würde er am liebsten im Erdboden versinken und sterben. In seiner allerersten Nacht in New York hatte er sich vor Carter und Beth blamiert, wobei er sich immer noch nicht sicher war, in welchem Maße. Carter hatte nicht weiter auf der Schlafwandel-Episode herumgeritten, und Joe war es zu peinlich, nachzufragen. Er hoffte nur, dass Carter das Kruzifix über dem Sofa nicht bemerkt hatte. Gleich am Morgen hatte er es wieder abgenommen, ehe es irgendjemand sah und er eine plausible Erklärung für seine plötzliche Hinwendung zum katholischen Glauben finden musste. Jetzt lag es gut versteckt unten in seinem Koffer.
»Und was machen wir bis dahin?«, fragte Joe.
Das fragte Carter sich ebenfalls. Beth war mit Abbie unterwegs und half ihr, Vorhänge und Tapeten für das Landhaus auszusuchen, das sie und Ben im Norden gekauft hatten. Beth hatte vorgeschlagen, dass sie beide am kommenden Halloween-Wochenende hinfahren und sich das Haus selbst ansehen könnten. Für heute hatte Carter geplant, den Großteil des Tages mit der Anlieferung und dem Aufbau des Fossils zu verbringen.
»Wir könnten hinüber zum Bio-Gebäude gehen«, schlug er vor. »Ich kann dir schon mal das Labor zeigen, in dem wir am Fossil arbeiten werden.«
»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte Joe und ergriff die Gelegenheit. »Ich würde sehr gerne zuerst das Labor sehen.«
Bevor sie die Wohnung verließen, gab Carter Joe einen Regenschirm und nahm einen zweiten für sich selbst mit. Es sah aus, als könnten sie die Dinger jeden Augenblick brauchen. Draußen wehte ein kalter Wind, und die Bäume im Park, deren Äste vom Wind gebeugt wurden, verloren ihre letzten goldenen und orangefarbenen Blätter. Auf der Straße waren nur die Menschen, die immer dort waren: das obdachlose Paar, das auf einer Bank in der Nähe des Washington Archs lebte, der Schachsüchtige in der Mets-Jacke, der gegen sich selbst spielte, wenn sonst niemand gegen ihn antrat, der Möchtegerncomedian, der unter dem kaputten Springbrunnen auf einer Obstkiste stand und durch ein Megaphon brüllte.
Als sie sich dem Bio-Gebäude näherten, sagte Carter: »Ich zeige dir zuerst das Hauptlabor, wo ich die alltäglichen Arbeiten erledige.«
Das Gebäude war verwaist und leer, und im Flur war nur eine Neonröhre eingeschaltet, für die ganz Harten, die sogar am Sonntag arbeiteten. Carter führte Joe den Flur entlang, und zu seiner Überraschung hörte er laute Musik aus dem Hauptlabor der Fakultät dröhnen. Obwohl, wenn er genauer darüber nachdachte, gab es keinen Grund, überrascht zu sein, Eminem oder einen der anderen Rapper, die er nie auseinanderhalten konnte, zu hören.
»Du wirst gleich einen Typen namens Bill Mitchell kennenlernen«, vertraute er Joe an, »ein Juniorprofessor an diesem Fachbereich.«
Die Tür war angelehnt, und Mitchell saß an seinem üblichen Platz hinten. Sein Ghettoblaster stand auf dem Tresen, das strähnige schwarze Haar hing ihm vor der Brille.
»Hey, Bill!«, rief Carter laut, damit er trotz der Musik zu hören war.
Missmutig blickte Mitchell auf. In der einen Hand hielt er eine Bürste, in der anderen einen schwarzen Stein, bei dem es sich vermutlich um einen Kotstein handelte, versteinerte Exkremente.
»Ich würde dir gerne einen Freund von mir vorstellen, Giuseppe Russo. Er lehrt an der Fakultät der Universität in Rom.«
Das Wort Fakultät genügte, damit Mitchell seinen Ghettoblaster ausschnipste und mit ausgestreckter Hand von seinem Stuhl aufsprang. »Ich bin Bill Mitchell. Freut mich wirklich sehr, Sie kennenzulernen. Sie sind Paläontologe?«
Carter konnte beinahe hören, wie es in Mitchells Hirn ratterte. Ob es in Italien freie Stellen gibt? Wie schwer wäre es wohl, sich einzugewöhnen? Wie ist der momentane Wechselkurs?
»Ja, das bin ich«, sagte Joe. »Carter und ich haben vor Jahren zusammen auf Sizilien gearbeitet.«
Mitchell schaltete schnell. »Dann gehörten Sie also zum Team, das die Knochengrube entdeckt hat?«
Joe lächelte. Auch Wissenschaftler fühlten sich geschmeichelt, wenn ihr Ruf ihnen vorauseilte. »Ja, ich war dabei.«
»Eine großartige Leistung, eine bahnbrechende Arbeit«, schwärmte Mitchell. Dann hielt er inne, und sein Gesicht verdüsterte sich, und Carter konnte sich denken, warum. »Besuchen Sie nur Carter oder suchen Sie nach einer Stelle hier an der NYU?« Mit einem weiteren vollwertigen Professor über ihm auf der Karriereleiter würden Mitchells Aussichten auf eine Beförderung noch schlechter.
»Nein, nein. Ich bin nur für kurze Zeit hier, um zusammen mit meinem alten Freund an einer Sache zu arbeiten.«
Mitchell spitzte die Ohren, was Carter lieber nicht gesehen hätte.
»Tatsächlich? Was ist es?«
»Etwas, das ein paar technischer Analysen bedarf«, mischte Carter sich ein. »Nichts Besonderes.«
Als er das hörte, warf Joe ihm einen raschen Blick zu und begriff augenblicklich. »Manchmal, in Italien«, stimmte er um Mitchells willen zu, »haben wir nicht die Maschinen, die wir brauchen. Das ist alles.«
Aber Mitchell hatte bereits Lunte gerochen, und Carter wusste, dass er nicht so schnell wieder lockerlassen würde. »Werden Sie hier in diesem Labor arbeiten?«, fragte er. »Ich würde mich echt freuen, wenn ich Ihnen helfen könnte.«
»Nein, das ist nicht nötig«, sagte Carter. »Wir haben einen abgetrennten Bereich vorbereitet.« Carter tat es leid, dass er überhaupt so viel verraten musste. Er wollte das Projekt so geheim wie möglich halten, und ganz bestimmt wollte er den armen Mitchell nicht mit der Vorstellung quälen, dass buchstäblich vor seiner Nase eine weltbewegende Entdeckung gemacht wurde, eine jener Entdeckungen, die einem über Nacht eine Festanstellung bescherten.