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Carter atmete aus und ließ die Arme zwischen seinen Beinen baumeln. »Aber wie kann irgendetwas davon wahr sein? Ich meine, ist es nicht längst nachgewiesen, nur um irgendwo anzufangen, dass die Erde älter ist als sie nach irgendeiner dieser Geschichten sein dürfte? Dass die Evolution, um ein weiteres Beispiel zu nennen, sich seit vielen Millionen Jahren abspielt? Und dass wir vom Affen, nicht von Engeln abstammen? Haben wir uns nicht von Augustus ab-und Darwin zugewandt? Und was ist mit …«

»Und was ist hiermit?«, unterbrach Ezra ihn und deutete mit einer ausholenden Bewegung auf die mühevoll rekonstruierte Schriftrolle. »Wenn wir den Ergebnissen aus deinem eigenen Labor Glauben schenken, dann ist dies hier lebendes Gewebe, älter als alles, was jemals datiert wurde, und zudem noch unidentifizierbar. Dein Freund Joe, möge er in Frieden ruhen, hat das akzeptiert. Warum kannst du es nicht?«

Weil es, selbst nach allem, was geschehen war, inakzeptabel war. Weil alles, was er je geglaubt, gelernt, erforscht, gewusst hatte, dagegen sprach.

»Du siehst immer noch nicht das große Ganze, Carter«, beharrte Ezra. »Alles, worüber wir sprachen, geschah Äonen bevor sich die Geschichten der Bibel mutmaßlich abgespielt haben. Und ich rede hier nicht von Tausenden von Jahren, sondern von Millionen und Abermillionen. Es war eine Welt, die vor allem existierte, von dem wir je wissen oder uns vorstellen können, vor den Dinosauriern, bevor die Kontinente auseinanderdrifteten, bevor die Sterne geboren wurden und die Planeten ihre Umlaufbahnen erreicht hatten.«

»Und wie sollen wir irgendetwas davon wissen können?«

Ezra zuckte die Achseln. »Göttliche Inspiration? Das kollektive Unterbewusstsein?« Selbst Ezra schien am Ende zu sein und ließ sich auf den Stuhl vor dem Zeichentisch plumpsen. »Durch diese Schriftrolle?«

Immer wieder kamen sie auf die Schriftrolle zurück. Und auf das Fossil. Die DNA-Untersuchungen hatten ergeben, dass beides von einem Wesen stammte, das unmöglich existieren konnte. Und die Datierungstechniken bescheinigten beiden ein genauso unmögliches Alter. Ein Alter, das nur Ezra glaubwürdig finden konnte.

Zudem hatte Carter insgeheim noch einen weiteren unerklärlichen Beweis. Auf dem Weg zu Ezra hatte er den Türgriff von Joes Krankenzimmer beim Polizeirevier abgegeben, mit einer Nachricht für Detective Finley, ihn auf Fingerabdrücke untersuchen zu lassen. Ein paar Stunden später hatte Carter seinen Anrufbeantworter im Büro abgehört.

»Danke für den Türgriff«, hatte der Detective aufs Band gesprochen. »Zu Ihrer Information: es sind dieselben perfekten Abdrücke darauf. Würden Sie mich bitte zurückrufen und mir erklären, wie Sie darangekommen sind?«

Das würde Carter morgen erledigen müssen, obwohl er die Aussicht, vom Detective in die Mangel genommen zu werden, nicht gerade reizvoll fand. Er hatte gewusst, dass die Fingerabdrücke zu denen passen würden, die man am Tatort von Donald Dobkins’ Verbrennung gefunden hatte, und er wusste auch, von wem diese Abdrücke stammten. Aber er wusste auch, dass er sich, sobald er auch nur versuchte, einem Mordermittler der New Yorker Polizei die ganze Sache zu erklären, schneller in einer psychiatrischen Anstalt wiederfinden würde als er gefallener Engel sagen konnte.

»Ich brauche eine Pause«, sagte Ezra. »Ich werde mal nachsehen, was Gertrude noch im Kühlschrank hat. Möchtest du ein Sandwich oder so etwas?«

Carter schüttelte den Kopf, und Ezra verschwand. Obwohl er große Lust hatte, zu den Terrassentüren zu gehen und sie weit aufzureißen, wollte er nicht riskieren, Ezras Zorn auf sich zu ziehen. Von Anfang an schien der Kerl ständig unter Strom zu stehen. Statt die Türen zu öffnen, erhob sich Carter, bog den Rücken durch und hüpfte ein paar Mal auf der Stelle, um sein Blut wieder in Fluss zu bringen und sich selbst wach zu machen. Er ging hinüber zum Zeichentisch und blickte auf die wenigen verbliebenen Bruchstücke, die noch dort lagen. Ezra hatte keinen Witz gemacht, er stand tatsächlich kurz vor der Beendigung seiner Aufgabe. Der Großteil der Rolle war in Klarsichthüllen an den Zimmerwänden angeordnet, und es sah aus, als wäre das Ding komplett, sobald diese Stücke am Ende angefügt wären. Jetzt, wo Carter sie sich genauer ansah, konnte er sogar erkennen, dass eines der Stücke einfach nur umgedreht werden musste, und der zerfetzte Rand würde genau in ein bereits zusammengefügtes Stück der Rolle passen. Er hatte keine Ahnung, was es besagte, aber er konnte sehen, wie es sich einfügen würde. Gar kein großer Unterschied, dachte er, zum Zusammensetzen von Knochensplittern.

Er hockte sich auf Ezras Arbeitsstuhl, und ohne groß darüber nachzudenken, drehte er das Stückchen Pergament um. Anschließend ertappte er sich dabei, dass er ein anderes aufhob und es ebenfalls in das Muster einfügte. In den Fingerspitzen verspürte er ein merkwürdiges Kribbeln. Er blickte zur Wand auf und konnte genau sehen, wo die Stücke hingehörten. Und obwohl er wusste, dass Ezra ausflippen würde, weil er sich einmischte, war er plötzlich wie besessen von dem Drang, weiterzumachen. Nachdem er stundenlang stillgesessen hatte wie bei einem Vortrag, war es ein Vergnügen, zumindest etwas zu tun und sich nützlich zu fühlen. Es war fast so, als lüde die Schriftrolle ihn ein, an der Arbeit teilzuhaben. War dies derselbe Drang, fragte er sich am Rande, den Bill Mitchell verspürt hatte und der zu der Katastrophe im Labor geführt hatte?

Er nahm das dritte und letzte Fragment der Schriftrolle, legte es zu den anderen beiden und hob dann den oberen Teil der Schutzhülle an, um alles zu fixieren. Sie waren wie die Stücke eines Laubsägenpuzzles, das perfekt zusammenpasste. Die Enden würden sich genau mit dem Teil verzahnen, die Ezra bereits fertig hatte.

Was für eine Überraschung wäre es für Ezra, wenn er zurückkäme und die Schriftrolle komplett vorfand.

Carter stand auf, mit der Schutzhülle in der Hand. Sollte er? Es war, als sei sein Verstand durch eine Wolke verdunkelt. Er wusste, dass es falsch war, er wusste, wie sauer er wäre, wenn jemand sich auf diese Weise in seine Arbeit einmischte. Wieder dachte er flüchtig an Mitchell und das Smilidon-Fossil. Gleichwohl verspürte er den Zwang, weiterzumachen.

Er ging zur Wand, und als ob seine Hand von einer unsichtbaren Macht geführt würde, hob er die Schutzhülle und hielt sie näher an die Wand. Ja, genau hier. Er löste eine der Reißzwecken, die Ezra zu Dutzenden in den Putz gesteckt hatte, und bohrte sie durch eine Ecke der Klarsichthülle. Dann befestige er eine weitere Reißzwecke am andern Ende und trat zurück, um sein Werk zu bewundern.

»Gertrude macht uns ein paar Brownies«, verkündete Ezra, als er die Schlafzimmertür hinter sich schloss und mit einem Tablett in den Händen ins Arbeitszimmer kam.

Carter drehte sich um, ein unsicheres Lächeln auf dem Gesicht, und wartete darauf, dass Ezra sah, was er getan hatte. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee gewesen war.

Ezra blieb stehen und suchte die Wand ab. »Was hast du getan?«, fragte er mit heiserer Stimme.

»Ich wollte dir helfen«, sagte Carter.

Ein tiefes Summen setzte ein, wie bei einem Generator, der langsam in Fahrt kam. Als Carter sich umdrehte, sah er, wie die Klarsichthüllen leicht flatterten, als würden sie von einer plötzliche Brise erfasst. Die Ränder des Pergaments, die sich berührten, schienen miteinander zu verschmelzen. Die Fragmente der Schriftrolle in den Hüllen wuchsen zusammen und vereinigten sich, bis die Bruchstellen nicht mehr zu sehen waren. Ein leichtes Glühen erhellte den Raum, ein lavendelblaues Licht, das von der Rolle selbst auszugehen schien.