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Im Schlafzimmer klammerte Arius sich immer noch an den Körper seines Opfers, doch langsam wandte er den Kopf zum Fenster.

Beth hob einen weiteren Stein vom Boden auf und warf erneut. Dieses Mal zersplitterte das beschädigte Fenster, und die Glasscherben stürzten wie ein Wasserfall herab.

Arius ließ Abbie los, so dass sie rücklings aufs Bett fiel.

Mehr brauchte Carter nicht zu sehen. »Komm«, brüllte er und zog an Beths Hand. »Komm schon!«

Er zerrte sie vom Haus fort und in die Dunkelheit des dahinterliegenden Feldes. Barfüßig stolperte Beth über den unebenen Boden, und Carter musste sie wieder aufrichten und sie weitertreiben. Aber wo sollten sie hin? Am Ende des Feldes, in über einhundert Metern Entfernung, lag die aufgegebene Apfelplantage. Die schwarzen Zweige der abgestorbenen Bäume glitzerten im Mondlicht, und dahinter ragte der einzige Schlupfwinkel weit und breit auf.

»Die Scheune!«, rief er und hielt immer noch Beths Hand fest.

An seiner Seite taumelte sie weiter, und er konnte an nichts anderes denken, als sie dort zu verstecken und dann zurückzukommen und irgendwie Arius zu erledigen.

Sie rannten auf den Obsthain zu. Die ordentlichen Reihen, in denen die Bäume einst gepflanzt worden waren, waren jetzt unregelmäßig und schwer zu erkennen. Wurzeln ragten aus dem Boden, und verdrehte Äste streckten sich einander entgegen, berührten sich manchmal sogar wie knochige Finger. Während sie rannten, schaute Carter immer wieder zurück. Wo war Arius? Warum folgte er ihnen nicht?

»Wie können wir … ihn töten?«, keuchte Beth.

»Ich weiß es nicht«, sagte Carter und schlug einen spröden Zweig aus dem Weg.

Beth wurde langsamer, und Carter sah etwas Dunkles an der Innenseite ihrer Beine. Zuerst dachte er, es sei nur Schmutz, aber dann glänzte es matt im Mondlicht, und er erkannte, dass es sich wahrscheinlich um Blut handelte. Sie musste sich geschnitten haben, als sie vom Dach geklettert war, oder an einem der Zweige, die ihnen im Weg lagen.

»Willst du dich einen Moment ausruhen?«, fragte er. Er blickte zum Haus zurück, konnte aber immer noch nichts sehen. Das Licht war an, aber er sah keine Bewegung.

»Nein, ich kann … weiter«, sagte sie. Trotzdem blieb sie stehen, beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. Ihr heißer Atem bildete in der Nachtluft Dampfwolken. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der jetzt gegen ihre Wange fiel. Zärtlich legte Carter eine Hand zwischen ihre Schultern.

»Es wird alles wieder gut«, sagte er und fragte sich, ob das die Wahrheit war. War es möglich, dass Arius ihnen tatsächlich nicht nachsetzte?

Oder war er immer noch mit Abbie beschäftigt?

»Wie«, fragte Beth, immer noch vornübergebeugt, »bist du hierher gekommen?«

»Ich habe mir Ezras Wagen geliehen.«

Hoffnungsvoll blickte sie zu ihm empor.

»Er steckt in einem Graben fest. Unbrauchbar.«

Erneut ließ sie den Kopf sinken und holte tief Luft.

»Wir sollten weiter«, sagte Carter. Es brachte nichts, ihr zu erzählen, was mit Ezra geschehen war.

Beth richtete sich auf und zog die Aufschläge des Bademantels zusammen. »Es gibt etwas, vor dem er sich fürchtet«, sagte sie.

»Was?«

»Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber es könnte Wasser sein.«

Carters Gedanken überschlugen sich. Hatte in der Schriftrolle irgendetwas darüber gestanden? Hatte Ezra irgendetwas in diese Richtung angedeutet? »Wie kommst du darauf?«

»Ich habe gerade gebadet, als er mich gefunden hat. Und er hat Abstand gehalten.«

»Vom Wasser?«

»Es war aber auch Blut darin.«

Carter machte ein verwirrtes Gesicht.

»Ich habe Blutungen.«

Ehe er die Sache weiterverfolgen konnte, sah er eine Bewegung im Dachgeschoss des Hauses. Er zog Beth hinter einem Busch nach unten, als er eine Gestalt am weit geöffneten Badezimmerfenster erblickte.

»Er ist oben«, sagte Carter.

Das Licht, das vom Fenster ausstrahlte, wurde heller, als hätte jemand ein Flutlicht im Raum eingeschaltet.

»Warum ist er hinaufgegangen?«, sagte Beth. »Er weiß doch, dass ich weg bin.«

»Vielleicht, weil er von dort besser sehen kann«, erwiderte Carter. »Lass uns weiter.«

Sie drehten sich um und schlichen mit gesenkten Köpfen durch die Bäume. Als Carter erneut zurückblickte, war das Haus dunkel. Es war fast noch beängstigender, Arius nicht irgendwo zu sehen. Außerdem sorgte er sich um Beth. Warum hatte sie Blutungen? Das Blut an ihren Beinen sah frischer und nasser aus als zuvor. Sobald sie die Scheune erreicht hatten, musste er herausfinden, was ihr fehlte, und ihr ein paar von seinen eigenen warmen Kleidungsstücken geben.

Und dann? Was konnte er sonst noch tun? Ezra wusste weiß Gott nicht auf alles eine Antwort, aber ein paar hatte er doch gehabt. Jetzt war Carter ganz auf sich allein gestellt. Wenn es in dieser Schriftrolle oder in den Laborergebnissen irgendeinen Hinweis darauf gab, wie er einen Engel besiegen konnte, der so alt war wie die Zeit selbst, musste er ganz allein darauf kommen, während er auf der Flucht war.

Über ihren Köpfen ertönte ein Geräusch, wie das Schlagen breiter Schwingen. Als Carter aufblickte, sah er zwischen den Zweigen der kahlen Bäume ein goldenes Licht, das sich rasch über den Nachthimmel bewegte. Er wusste, was es war. Das Licht schoss hinauf, bis es nicht größer war als ein Stern, verharrte, als sei es festgenagelt, ehe es unvermittelt zur Erde zurückstürzte.

»Beeil dich!«, sagte Carter, packte Beths Hand und zerrte sie durch den Obsthain. Während sie rannten, hörten sie ein Rauschen, das wie Wind klang und die ganze Zeit näher kam. Ein schwaches Licht beleuchtete den dunklen Boden und die abgefallenen Blätter vor ihnen.

Carter zog Beth in ein schützendes Dickicht. Die Zweige zitterten und knackten wie zerbrechende Knochen, und trockenes Laub wirbelte vom Boden auf. Als das Licht wieder schwächer wurde, drängte Carter: »Komm, weiter.« Die Scheune war nur noch etwa hundert Meter entfernt, aber es gab keine Deckung mehr zwischen ihnen und den lose in den Angeln hängenden Türen. »Wir können es schaffen.«

Beth rappelte sich auf und rannte los über das offene Gelände. Carter schaute nach oben und folgte ihr. Sein heißer Atem bildete Nebelwolken in der Luft, und sein Knie begann zu schmerzen. Als er mit dem Auto im Graben gelandet war, musste es mehr abbekommen haben, als er anfangs dachte. Trotzdem rannte er weiter auf die alten weißen Holztüren zu und überlegte fieberhaft, was er tun sollte, sobald sie drinnen waren.

Der Spalt zwischen den Scheunentüren war nur schmal, aber Beth schlüpfte rasch hindurch. Carter folgte ihr, drehte sich hastig um und versuchte, die Türen zuzudrücken. Aber die Scharniere auf der einen Seite waren kaputt, und die Ecke war fest im Boden verkeilt. Wie kräftig er auch schob, die Tür rührte sich nicht. Er stützte sich mit der Schulter dagegen und probierte es erneut, während Beth sich auf alle viere niederließ und wie rasend begann, die Erde und Wurzeln, welche die Tür offen hielten, wegzukratzen. »Wir müssen erst das hier wegschaffen«, sagte sie, wühlte im Dreck und schleuderte ihn beiseite. Carter versuchte, die Tür anzuheben, aber sie war viel zu groß und schwer. Beth scharrte im Dreck wie ein Hund, der einen Knochen ausgrub, und sagte schließlich: »Versuch es noch einmal.«

Carter schob erneut und trat gegen den unteren Teil. Dieses Mal bewegte sich die Tür quietschend ein paar Zentimeter. »Sie rührt sich«, sagte Carter, und Beth grub weiter. Mit seinem gesamten Gewicht lehnte Carter sich an die Tür, bis Beth aufstand und sich ebenfalls dagegenwarf. Das alte Holz knarzte, bewegte sich schließlich zitternd und stieß beinahe an den Rand des anderen Torflügels. »Das reicht«, sagte Carter, griff nach dem Querbalken und ließ ihn herunter. Doch der Balken tat ihm nicht den Gefallen, ganz herunterzufallen, Carter musste sich auf die Zehenspitzen stellen und mit beiden Händen daran ziehen, bis die beiden Flügel endlich von hinten gestützt wurden.