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Raffy nickte und biss sich auf die Lippen. »Und, bist du seiner Meinung? Hast du ihm gesagt, dass du seiner Meinung bist?«

»Ich denke schon. Ich weiß nicht recht. Raffy, du tust mir weh.«

Doch Raffy ließ sie nicht los, sondern packte noch fester zu. »Du liebst mich doch, oder?«, fragte er. »Ich meine, wir sind doch glücklich, oder? Wir beide? Es gab doch immer nur uns beide, oder? Und wir sind glücklich. Wir werden heiraten. Das wollten wir doch immer, oder?« Raffy sah sie aufmerksam an und sein schmachtender Blick durchbohrte sie. Sie sah den Schmerz und die Furcht in seinen Augen, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte und warum er das tat.

»Evie, bist du okay, meine Liebe?« Es war Sandra. Sie kam auf Evie zu. Raffy lockerte den Griff, und Evie rang sich ein Lächeln ab.

»Ja, alles okay«, sagte sie.

»Ich wollte nur wissen, wie das Kleid aussieht«, meinte Raffy leichthin.

»Sag es ihm bloß nicht!«, scherzte Sandra. »Aber sie wird einfach umwerfend aussehen!« Sie lächelte beide an und ging davon.

Evie blickte Raffy an. Seine Augen glühten vor Wut.

»Raffy, ich weiß nicht, was mit dir los ist. Natürlich werden wir heiraten. Natürlich sind wir glücklich …«

Evies Augen füllten sich mit Tränen, und sie versuchte, sie zu unterdrücken, aber Raffy hatte sie schon bemerkt und wischte sie sanft mit den Daumen fort.

»Ich weiß, es tut mir leid«, sagte er plötzlich. Die Wut verschwand aus seinem Gesicht, und er zeigte Bedauern und Reue. »Ich liebe dich einfach so sehr«, sagte er, beugte sich über sie, küsste sie, nahm ihr Gesicht in beide Hände und strich ihr mit den Daumen über die Wangen. »Ein Leben lang haben sie versucht, dich mir wegzunehmen. Aber das lasse ich nicht zu. Ich würde eher jemanden töten, als zuzulassen, dass man dich mir wegnimmt. Ganz gleich, wer es ist. Das weißt du doch, oder?« Raffy blickte sie so eindringlich, so leidenschaftlich an, dass Evie in ihm wieder den Zigeunerjungen sah, den sie fast ihr ganzes Leben lang geliebt hatte, aber sie sah auch den Jungen, der sie für sich haben wollte, der ihr nicht vertraute und der ihr nie ihre Freiheit lassen würde.

»Ich weiß«, sagte Evie, und sie hatte ein flaues Gefühl im Magen. Aber sie drängte es weg, weil sie wusste, dass er die Wahrheit sagte und dass sie nichts dagegen tun konnte.

33

Lucas erblickte Evie in der Ferne und rang unwillkürlich nach Luft.

»Was ist? Was hast du gesehen?«, fragte Linus.

Er und Lucas hockten schon seit Stunden auf einem Laubbaum ein paar Hundert Meter von der Siedlung entfernt, beobachteten abwechselnd das Tor und warteten auf die Spitzel. Mit dem Fernglas konnte Lucas die ganze Siedlung überblicken und dabei hatte er Evie entdeckt.

»Nichts«, erwiderte er rasch. »Da war nur … ein Vogel, der in meine Richtung geflogen ist.«

Linus hob eine Augenbraue, nahm das Fernglas und richtete es auf die Siedlung. Dann zog er beide Augenbrauen hoch; offenbar hatte er dasselbe gesehen wie Lucas. »Ein Vogel, sagst du? Ein ziemlich großer Vogel, würde ich meinen.«

Lucas atmete tief aus und lehnte sich gegen den Stamm des Baumes, wo er sich auf einen Ast gesetzt hatte. Evie. Sie war da, so nah, dass er sie fast hätte zu sich rufen können. Sie hatte glücklich ausgesehen. Natürlich war sie glücklich. Sie war ja bei Raffy. Er schloss die Augen, öffnete sie aber gleich wieder. Er war so müde, dass er auf der Stelle einschlafen würde, wenn er die Augen zumachte. Stattdessen legte er die Hand an die Stirn und spähte zur Siedlung hinüber, als würde er dort eine Antwort finden. Dabei wusste er noch nicht einmal, wie die Frage lautete.

Er sollte nicht hier sein, das wurde ihm mit einem Mal klar. Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Das Ganze war ein großer Fehler.

Er sah zu Linus hinüber. Es war früher Abend und es dämmerte schon. »Du hast gesagt, hier seien sie sicher.«

»Ja«, sagte Linus.

»Vielleicht sollten wir sie hierlassen und lieber nach den Spitzeln suchen. Die beiden sind hier glücklich. Das zählt doch auch.«

Linus machte ein nachdenkliches Gesicht und legte das Fernglas weg.

»Schon, aber ich glaube, die Torpfosten haben sich etwas verschoben.«

»Wirklich?« Lucas zog die Augenbrauen hoch. »Aber wie?«

»Wie?« Linus atmete langsam aus. »Wie«, wiederholte er, mehr zu sich selbst. »Nun, zuerst einmal sind die Spitzel nicht so, wie ich gedacht habe. Ich meine, in mancher Hinsicht schon, aber in mancher Hinsicht auch wieder nicht …«

Linus verstummte, und Lucas sah ihn ungeduldig an. »Was soll das? Linus, bitte, hier geht es um Menschenleben. Red keinen solchen Scheiß. Wenn du was zu sagen hast, dann sag es.«

Linus’ Augen weiteten sich vor Erstaunen. »War es das, was du loswerden wolltest?«, fragte er mit einem Anflug von Sarkasmus in der Stimme. Dann ließ er den Kopf in den Nacken fallen. »Ehrlich gesagt, Lucas, weiß ich es nicht.«

»Was weißt du nicht?«

»Keine Ahnung«, meinte Linus kopfschüttelnd. »Ihre Technologie. Diese Perfektion. Hier handelt es sich nicht um irgendeine Gruppe von Überlebenden, die sich gutes Material geschnappt haben, bevor in der Schreckenszeit alles zerstört wurde. Das geht viel weiter. Die Informationen, die sie haben. Das …« Er verzog das Gesicht. »Das lässt die Dinge in einem anderen Licht erscheinen«, sagte er nach kurzem Zögern. »Ich sehe mich veranlasst, meine frühere Annahme zu überdenken, dass Raffy dort, wo er jetzt ist, sicher ist. Dass alles so einfach ist, wie ich dachte. Sie haben Bomben, Lucas. Sie haben Waffen, wie sie nicht einmal während der Schreckenszeit erfunden wurden. Was fängt eine Gruppe Überlebender mit solchen Bomben an? Wen wollen sie damit angreifen?«

Lucas musste das alles erst einmal verdauen. »Wir müssen Raffy und Evie da rausholen«, sagte er.

»Noch nicht«, sagte Linus vorsichtig.

Lucas rutschte unruhig auf seinem Ast hin und her. »Willst du mir auch verraten, warum? Innerhalb von fünf Minuten kann ich über den Zaun klettern und die beiden holen. Worauf warten wir noch?«

»Wir warten auf die Spitzel. Weil sie uns gefolgt sind, seit wir ihr Lager verlassen haben.«

Lucas starrte Linus wütend an. »Ist das dein Ernst? Wir haben sie hierher geführt? Ausgerechnet zu den Menschen, die wir beschützen wollen?«

Linus schüttelte den Kopf. »Sie haben immer gewusst, wo Raffy ist«, sagte er ruhig. »Sie wissen alles. Genau das versuche ich dir ja zu erklären. Dieses Computersystem … So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«

»Warum sind sie uns überhaupt gefolgt? Clara hat gesagt, sie wollen Raffy.«

Linus zuckte erneut die Achseln. »Ich habe nicht auf alles eine Antwort«, sagte er schroff. »Aber ich habe Fragen. Zum Beispieclass="underline" Warum ist Clara nicht gestorben? Warum sind die Spitzel hinter uns her? Was wollen sie wirklich? Diese ganze Sache ist viel komplexer, als wir denken. Es ist wie ein Spiel. Ich weiß nur noch nicht, um was oder mit wem wir spielen.« Er hob das Fernglas wieder an die Augen. »Okay, ich glaube, es ist Zeit, dass wir gehen. Schau mal.«