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Evie fragte sich, was er wohl gemacht hatte, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Sie fragte sich, ob er jemanden gehabt hatte, mit dem er reden konnte, oder ob er sich in sein Schneckenhaus zurückgezogen hatte. In der Stadt war er immer so unergründlich gewesen, als hätte er kein Herz, keine Seele. Evie hatte Lucas gehasst; er war für sie der Inbegriff dessen gewesen, was sie an der Stadt verabscheute. Und dann … dann hatte sie den wahren Lucas kennengelernt. Als er sich ihr anvertraut und ihr die Wahrheit gesagt hatte, damit sie Raffy davon überzeugte, die Stadt zu verlassen und damit dem sicheren Tod zu entgehen. Sie hatte erlebt, wie schwer es ihm gefallen war; nicht, die Wahrheit zu sagen, sondern seine Gefühle zu unterdrücken. Es war wie bei einem Leitungsrohr, das zum Bersten voll mit Wasser war; er musste nur den Wasserhahn so weit aufdrehen, dass ein paar Tropfen herauskamen, bevor er ihn wieder zudrehte.

Lucas blieb stehen, drehte sich um und sprach mit Linus und Benjamin. Evie sah sich um und entdeckte direkt vor ihnen einen Hügel. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie ihre Umgebung gar nicht wahrgenommen hatte.

»Okay«, sagte Lucas. »Hier machen wir halt. Linus wird da vorn in die Höhle gehen und seinen Wagen holen.«

Linus verschwand in der Dunkelheit und Raffy ging mit schlurfendem Schritt zu Evie. »Linus hat ein Auto?« Er wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen an Lucas und seine Stimme hatte einen patzigen, ungläubigen Unterton.

Lucas drehte sich zu ihm um und meinte mit stählernem Blick: »Ja, Raffy, er hat ein Auto. Sonst noch Fragen?«

Raffy zuckte die Achseln, um zu zeigen, wie gleichgültig es ihm war. »Komm, Evie, wir warten da drüben.«

Er ging zu einem Felsen und setzte sich. Evie sah ihn an und rührte sich nicht. Trotz Raffys wütendem Blick blieb sie, wo sie war. Schließlich wandte sie sich an Lucas. »Wann hat er sich denn ein Auto zugelegt?«

Ihre Blicke trafen sich und Evie wurde von einem warmen Gefühl durchströmt. »Ich weiß nicht«, sagte Lucas und schaute schnell weg. »Ich glaube, er hat es schon immer gehabt. Es ist fast unmöglich, eine Antwort aus ihm herauszubekommen.«

Lucas blickte zu Boden.

»Es ist unmöglich, überhaupt irgendetwas aus ihm herauszubekommen.« Evie lachte verlegen. Ihre Stimme zitterte ein wenig und Adrenalin strömte durch ihren ganzen Körper. Aber Lucas hatte sich schon wieder abgewandt und untersuchte einen Stein auf dem Boden. Ihre Unterhaltung war beendet.

Evie hatte einen Kloß im Hals und ging zu Raffy hinüber. Er rückte ein Stück, damit sie sich ihm gegenüber hinsetzen konnte, aber sie setzte sich so, dass sie in die andere Richtung schaute, weg von Raffy, weg von Lucas. Dann verschränkte sie die Arme und blickte zum Himmel.

Evie hatte keine Ahnung, wie lange sie so verharrten; sie drei zusammen und doch getrennt, in Gedanken versunken. Als Evie den Blick wieder senkte, entdeckte sie zwei Lichter am Horizont, zuerst weit entfernt, aber dann kamen sie immer näher, bis Evie ihre Augen mit den Händen vor dem grellen Licht schützen musste. Der Wagen hielt an und Linus sprang heraus. »Na, was sagt ihr jetzt?«, fragte er und strahlte.

Evie war erleichtert, dass er die unerträgliche Stille durchbrochen hatte, und sprang von dem Felsen. »Sieht toll aus«, meinte sie und bemühte sich, echte Begeisterung zu zeigen.

»Dann steig ein. Innen wird er dir auch gefallen.«

Evie nickte und ging auf das Auto zu.

»Steig hinten ein«, sagte Linus. »Lucas wird vom Autofahren immer übel, deshalb muss er vorn sitzen. Stimmt’s, Lucas?«

Lucas trat hinter Evie und hielt ihr die Tür auf. Einen Moment lang berührten sich ihre Hände und Evie blieb fast das Herz stehen. »Mir wird nicht übel«, meinte Lucas. »Ich … ich mag Autos nur nicht besonders.«

Ihre Blicke trafen sich, und Evie entdeckte etwas, was sie bei Lucas nicht erwartet hatte, ausgerechnet bei dem Mann, der so verschlossen war, dass sie sich oft gefragt hatte, ob er überhaupt Gefühle hatte. Es war ein jungenhaft verlegener und schüchterner Ausdruck. Lucas wollte nicht, dass sie seine Schwäche erkannte. Er begriff nicht, dass seine Schwäche ihn auf einmal so menschlich, so verletzlich machte, dass es Evie den Atem verschlug.

37

»Okay, nun mal ganz langsam. Du musst deutlicher sprechen«, sagte der Polizist, während er nach einem Stift kramte. »Du behauptest also, die Explosion vor einer Stunde, das bist du gewesen? Und dass du eine Bombe hast hochgehen lassen?«

Devil nickte. Er schwitzte. Er war den ganzen Weg hierher gerannt und hatte ungeduldig in der Schlange gewartet, bis er jetzt endlich vor dem Tresen der Polizeiwache stand. Die Wache war in einem niedrigen grauen Gebäude untergebracht, das direkt an der Hauptstraße lag. »Ja. Dieser Typ hat mich dazu angestiftet. Sein Name ist Thomas. Ich muss mit jemandem sprechen, der hier das Sagen hat. Es ist wichtig, Mann. Wirklich. Der Typ ist verrückt.«

Der Polizeibeamte nickte bedächtig. »Einen Moment.«

Er ging weg und Devil verschnaufte erst einmal. Er war noch nie freiwillig auf einer Polizeiwache gewesen. Die Polizei hatte ihn nur ein paarmal mitten in der Nacht hierher geschleppt, um zu fragen, wo er sich zum Zeitpunkt eines Verbrechens oder so aufgehalten hatte. In der Regel war er so unkooperativ gewesen wie nur möglich, mit mürrischem Gesicht und hasserfülltem Blick.

Aber diesmal nicht. Das Atmen fiel ihm immer noch schwer, und er musste sich am Tresen abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Ein Polizeibeamter in Zivil tauchte neben ihm auf, und an dessen Tonfall erkannte Devil, dass das der Chef war. Devil war erleichtert. Sie wussten Bescheid über die Explosion. Sie nahmen ihn ernst. »Würden Sie bitte mitkommen?«, sagte er.

Devil nickte und folgte dem Beamten in ein Vernehmungszimmer.

Der Mann setzte sich und forderte Devil mit einem Wink auf, ebenfalls Platz zu nehmen. Devil setzte sich auf einen Metallstuhl, holte tief Luft, sah den Polizeibeamten an und wartete auf das einleitende »Also …«, damit er loslegen konnte.

Aber der Beamte schwieg und starrte ihn nur an. Devil starrte zurück, eine instinktive Reaktion: starrer Blick, zusammengepresste Lippen, der ganze Gesichtsausdruck eine einzige Herausforderung. Schließlich riss er sich zusammen und schaute weg. Er war nicht auf Konfrontation aus – er war hier, um über Thomas zu sprechen. Er wollte ihnen beweisen, dass sie ihm vertrauen konnten, dass er die Wahrheit sagte.

Devil sah sich in dem Zimmer um. Normalerweise waren bei einer Vernehmung zwei Polizisten anwesend. Aber vielleicht war das nur dann der Fall, wenn man verhaftet wurde, dachte er bei sich. Vielleicht zählte ein hochrangiger Bulle so viel wie zwei normale Beamte.

»Wollen Sie das Gespräch nicht aufnehmen?«, fragte er und sah sich suchend nach einem Tonbandgerät um.

»Das wird nicht nötig sein«, meinte der Polizist mit einem schiefen Lächeln.

Devil überlegte. »Ich finde, Sie sollten es aufnehmen«, wagte er zu widersprechen. »Jedes Wort. Denn was ich Ihnen hier erzähle … Der Typ, der hinter dem Anschlag steckt, ist verrückt. Er ist gefährlich. Sie müssen ihn aufhalten, Mann. Aber er hat Freunde. Arbeitet für ein großes Unternehmen. In der Stadt.«

Devil trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Der Polizeibeamte ihm gegenüber hatte ein unauffälliges Gesicht, große Ohren, und aus seiner Nase wuchsen dunkle Härchen. »Dann werden Sie mir jetzt also Fragen stellen, oder was?«, fragte Devil ungeduldig.