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Außer einem.

Benjamin blieb stehen, weil die altbekannte Übelkeit in ihm aufstieg, wie immer, wenn er daran dachte. Auf einmal runzelte er die Stirn und wandte sich an Stern. »Hörst du was?«

Stern schüttelte den Kopf. »Was soll ich denn hören?«

Benjamin legte Stern die Hand auf den Arm und konzentrierte sich. War das nur Einbildung? Natürlich, was sonst.

Aber dann wurde das Pfeifen lauter und Stern und die anderen hörten es auch. Sekunden später hörten sie eine Explosion. Die Leute rannten schreiend davon, und Benjamin schickte ein Stoßgebet zu einem Gott, der seiner Ansicht nach gar nicht existierte. Dann rannte er hinter den anderen her, um sie so schnell wie möglich zu den Höhlen zu bringen.

»Was ist das für ein Ort?«, fragte Raffy vorsichtig und schaute sich um. Dabei wanderte sein Blick immer wieder zu Evie und zu Lucas hinüber.

»Das«, sagte Linus, während er zu dem größten Computer ging, »ist mein Versteck. Mein Forschungszentrum. Bitte, nimm Platz.«

Raffy ging nicht darauf ein. »Aber was tun Sie hier? Was sollen diese ganzen Computer? Ich dachte, wir würden nach Base Camp gehen.«

»Du hast also angenommen, wird würden nach Base Camp gehen«, sagte Linus achselzuckend. »Ich bezweifle, dass das viel mit Denken zu tun hatte. Deine Annahme beruht lediglich auf einer früheren Erfahrung.«

Raffys Blick verfinsterte sich.

Lucas trat vor. Er war nicht in der Stimmung für Linus’ kleine Scherze und Ausflüchte. »Linus, hör auf, Raffy zu bevormunden, und sag ihm, was wir hier machen. Oder ich sage es ihm.«

Linus hob eine Augenbraue und selbst Raffy blickte verblüfft drein. »Meinst du nicht, wir sollten zuerst Tee kochen?«, sagte Linus spöttisch. »Na los, Lucas. Sollten wir uns nicht wie zivilisierte Menschen benehmen?«

Lucas wollte etwas erwidern, überlegte es sich dann aber anders. Er hatte ihn nicht so anblaffen wollen. Er wollte nicht hier sein. Er wollte nicht mit den beiden in dieser Höhle sein. Er hatte gedacht, Raffy wäre okay, doch er war ganz und gar nicht okay. Sein Bruder hasste ihn offensichtlich, und Evie war zwar höflich, aber man sah ihr an, dass sie unglücklich war. Wie könnte es auch anders sein? Es gab nichts, worüber man hätte glücklich sein können. Sein Vater war umsonst gestorben; die Stadt wurde zwar nicht mehr von dem System regiert, aber dafür wurde sie jetzt von den Spitzeln bedroht, den Mördern, die nun auf der Suche nach Raffy waren. Die Stadt war kein besserer Ort. Sie würde nie ein besserer Ort sein und dafür schämte er sich.

Linus’ Blick fiel zufällig auf Lucas und sein Gesicht verzog sich zu einem leichten Lächeln. Seine Liebenswürdigkeit spiegelte sich in den Fältchen auf seinen Wangen und um seine Augen wider. Einen Moment lang sah Lucas in Linus nicht den wütenden Deserteur, sondern den Mann, der das System entwickelt hatte, der daran geglaubt hatte und der aus der Stadt fliehen musste, als er feststellte, dass es korrumpiert wurde und dass andere sich alles, wofür er gearbeitet hatte, widerrechtlich aneigneten. Als sie sich ansahen, glaubte Lucas ganz kurz, sich in Linus wiederzuerkennen. Denn Linus war auch einmal voller Hoffnung gewesen.

»Also machen wir jetzt Tee«, sagte Lucas ruhig. »Aber dann erzählen wir Raffy und Evie alles.«

Linus nickte und hielt Lucas’ Blick noch ein paar Sekunden stand. Dann suchte er nach einer alten Teekanne und kurz darauf machte er Feuer.

Raffy sah ihn erstaunt an. »Für alle diese Computer ist genug Strom da, aber für eine Kanne Tee müssen Sie extra ein Feuer machen? Was ist mit dem Kessel da drüben?«

Linus runzelte die Stirn. »Ich dachte, Lucas wollte den Tee machen«, sagte er mit einem leichten Achselzucken und mit seinem üblichen heiteren Blitzen in den Augen. »Ich mache Feuer, damit wir uns später davorsetzen können. Willst du mir nicht dabei helfen, Raffy? Da drüben liegt Holz.«

Raffy schlurfte zögernd in die Richtung, in die Linus deutete. Lucas lächelte in sich hinein und machte sich daran, den Tee zu kochen. Evie ging zu Lucas in Linus’ behelfsmäßige Küche und gemeinsam suchten sie nach ein paar Tassen. Die beiden schienen umeinander herumzutänzeln, immer darauf bedacht, sich nicht anzusehen, nicht mit dem anderen zusammenzustoßen, sich nicht zu berühren … Lucas bemerkte, dass Evie ihm auswich. Und er verstand auch, warum. Also tat er dasselbe und vermied möglichst jeglichen Blickkontakt. Das war er ihr und Raffy schuldig.

Ein paar Minuten später brachte Lucas die Teekanne dorthin, wo Raffy Holzscheite in das eben angefachte Feuer warf. In der ganzen Geschäftigkeit hatte sich die Atmosphäre etwas entspannt. Evie und Linus unterhielten sich und selbst Raffy machte kein so finsteres Gesicht mehr. Vielleicht hatte Linus recht gehabt, als er darauf bestand, Tee zu kochen, überlegte Lucas. Vielleicht hatte Linus in mehr Dingen recht, als Lucas ihm zugestand.

»Okay«, meinte er, goss den Tee in die Tassen und reichte diese herum. »Dann reden wir jetzt, oder?«

»Gut«, sagte Linus und trank einen Schluck Tee. »Also, die Spitzel waren von Anfang an in der Stadt«, erklärte er und warf einen vorsichtigen Blick auf Raffy. »Allmählich glaube ich sogar, dass sie an ihrer Entstehung beteiligt waren.«

»Dann sind es also Bürger der Stadt?«, fragte Evie neugierig und beugte sich vor, als wäre sie einsatzbereit.

Linus schüttelte den Kopf. »Es sind keine Bürger der Stadt, Evie. Ich habe keine Ahnung, woher sie kommen. Ich weiß nur, dass sie nach der Schreckenszeit beobachtet und gewartet haben. Und als sie von der Stadt und den Plänen erfahren haben, sind sie zu Fisher gegangen, zu unserem Großen Anführer …« Linus hob eine Augenbraue, um seine Bemerkung ironisch zu unterstreichen. »Sie haben ihm für seine neue Stadt finanzielle Unterstützung und Hilfe angeboten. Fisher hat mir nichts davon erzählt. Er hat einfach genommen, was er kriegen konnte, und später hat er dann den Bruder eingeschaltet, um den Spitzeln bei ihren kleinen Gaunereien behilflich zu sein. Im Gegenzug für die Unterstützung wurde ihnen freier Zutritt zur Stadt gewährt. Sie haben sie die ganze Zeit beobachtet. Ich weiß nicht genau, warum. Ich weiß nur, dass sie in der ganzen Zeit ihre eigene Zivilisation aufgebaut haben, und zwar mithilfe einer Technologie, die meiner weit voraus ist. Diese Technologie wurde seit der Schreckenszeit an Orten entwickelt, die angeblich völlig zerstört wurden.«

»Aber wozu brauchen sie Raffy? Ich weiß, Sie haben gesagt, weil sie glauben, dass er das System wieder in Gang setzen kann. Aber wieso?«

»Genau das müssen wir herausfinden«, sagte Linus und atmete tief aus. »Wir müssen herausfinden, was sie mit der Stadt und dem System vorhaben. Wir müssen dahinterkommen, warum sie hier sind. Denn eins ist sicher, sie führen nichts Gutes im Schilde. Und sie sind ziemlich schlau. Meiner Meinung nach ist das keine gute Kombination.«

Linus rieb sich den Kopf.

»Und weiter?«, fragte Evie mit zu Schlitzen verengten Augen.

Linus sah sie neugierig an.

»Was noch?«, sagte sie und verschränkte die Arme. »Ich weiß, dass Sie uns noch nicht alles gesagt haben.«

Linus grinste. »Das kannst du gar nicht wissen«, erwiderte er und zog eine Braue hoch.

Evie hob ebenfalls eine Braue, und Lucas spürte, dass ihm das Herz schwer wurde.

»Na schön«, lenkte Linus ein. »Es ist eigentlich nur eine Vermutung, eine Idee. Aber wenn man die chronologische Entwicklung dieser Zivilisation betrachtet, die bereits vor dem Ende der Schreckenszeit bestand …« Linus verstummte, als wäre er nicht gewillt, den Satz zu beenden.