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Alle starrten Raffy an, der trotzig in die Runde blickte.

»Raffy?«, fragte Evie. »Raffy, wovon redet er?«

Thomas lächelte. »Er hat mich nur ein bisschen unterstützt, stimmt’s, Raffy? Er hat mir geholfen, meine alten Freunde wiederzufinden. Und jetzt sind wir hier. Offen gesagt, habe ich keine Verwendung mehr für ihn. Du kannst ihn gerne haben, Lucas. Wenn er will. Was ich allerdings stark bezweifle, aber das ist nicht mein Problem.«

Evie sah zu Raffy hinüber. Ihr Herz klopfte laut und ihr Kopf dröhnte. Erst allmählich begriff sie, was Thomas gerade gesagt hatte. »Du hast ihn hierher gebracht? Du hast ihm gesagt, wo wir sind?«, fragte sie, obwohl sie sich kaum zu sprechen traute.

Raffy sah sie finster an. »Was sollte ich denn machen? Er hat mir gesagt, dass Lucas hierherkäme. Er hat gesagt, Lucas wollte dich mir wegnehmen.«

»Nein«, keuchte Evie. »Nein, du lügst. Das kannst du nicht getan haben, Raffy. Sag mir, dass du es nicht getan hast. Sag es mir!«

Sie sah Raffy flehend an, aber der schüttelte nur den Kopf. »Ich dachte, ich könnte dir vertrauen, Evie«, sagte er mit zornigem Blick. »Ich habe mir immer wieder gesagt, dass alles nur Einbildung ist, dass ich dir glauben muss, wenn du beteuerst, dass du mich liebst. Aber du liebst mich nicht. Du liebst ihn. Ich habe euch mit eigenen Augen gesehen, Evie. Du hast mich betrogen. So wie Thomas es vorausgesagt hat.«

Raffy ballte die Fäuste und sein Blick war schmerzerfüllt. Einen Moment lang sah Evie den ängstlichen Jungen vor sich, den sie immer auf dem Spielplatz gesehen hatte, den Jungen, der sie so fasziniert hatte, der sie angestarrt hatte, als könnte er ihre Gedanken lesen, als wüsste er, wer sie wirklich war. Aber dieser Raffy hätte so etwas nie getan, er hätte diesen widerlichen Kerl nicht einmal in ihre Nähe gelassen. Sie hatte Raffy das angetan. Sie hatte ihn zu dem gemacht, was er jetzt war.

»Du hast uns gesehen?«, fragte sie mit kaum vernehmlicher Stimme.

Raffy nickte und wandte sich zu ihr. »Es ist schon okay«, meinte er. »Es ist nicht deine Schuld. Es ist Lucas’ Schuld.« Er nahm ihre Hände, streichelte sie mit den Daumen und drückte sie. »Komm mit mir. Es steht uns frei zu gehen. Wir können gehen, wohin wir wollen.« Seine Stimme klang heiser, und er sah ihr tief in die Augen, so als wäre niemand sonst mehr im Raum. »Thomas – die Spitzel –, sie wollen nicht mich, Evie. Es ging ihnen nie um mich oder um dich. Thomas wollte nur Linus finden. Und jetzt hat er ihn gefunden. Also können wir gehen. Komm mit mir. Jetzt gleich.«

Evie sah ihn wachsam an, und während sie ihn ansah, wurde ihr bewusst, was er meinte, was er mit Thomas geplant hatte, was er sich vorstellte. »Wo sollen wir denn hin, Raffy?«, sagte sie gefasst. »Zurück in die Stadt? Zurück in die Siedlung, die er zerstört hat? Wo sollen wir deiner Meinung nach hingehen?«

»Ist mir egal«, sagte Raffy.

Evie schüttelte ungläubig den Kopf. »Jetzt begreife ich, dass es dir wirklich egal ist. Aber mir ist es nicht egal, Raffy. Mir ist es nicht egal, dass du diesen Mann hierher gebracht hast. Dass du Lucas, Linus und Benjamin hintergangen hast, die Menschen, die dich immer beschützt haben, die sich selbst in Gefahr begeben haben, um dich zu retten.«

»Nein«, sagte Raffy und drückte ihre Hände fester. »Sag das nicht, Evie. Thomas hat mir von der Uhr erzählt, Evie. Er wusste, dass du sie dir von dem Bäcker zurückgeholt hast. Ich habe ihm nicht geglaubt. Ich habe ihm gesagt, dass er sich irrt. Aber er hatte recht. Er wollte mir helfen. Er wollte uns helfen.«

»Woher kennst du diesen Mann, Raffy?«, fragte Linus mit ausdrucksloser Miene. »Wie lange habt ihr das schon geplant?«

»Wir sind uns in der Siedlung begegnet, stimmt’s, Raffy?« Thomas lächelte.

»Dann hast du es die ganze Zeit gewusst?«, keuchte Evie, und sie spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. »Du hast die ganze Zeit gewusst, dass du ihn zu uns führen würdest?«

»Ich habe getan, was ich tun musste, Evie«, sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. »Eines Tages wirst du verstehen, warum ich es getan habe. Ich musste dich wegbringen. Ich musste …«

»Ich werde es nie verstehen«, meinte Evie kopfschüttelnd und mit Tränen in den Augen. »Ich werde es nie verstehen und ich werde dir nie verzeihen. Nie, Raffy. Begreifst du denn nicht, was du getan hast?« Ihr Blick wanderte zu Lucas, der Raffy mit weit aufgerissenen Augen ungläubig anstarrte. Als sich ihre Blicke trafen, veränderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. Seine Augen blickten sie voller Verlangen an, voller Liebe, Gefühle, die er wegen seines Bruders immer versteckt und gegen die er sich gewehrt hatte. Und er hatte sich dafür gehasst, dass er ihnen erlegen war. Aber jetzt hasste er sich nicht mehr dafür.

Raffy machte einen Schritt auf Evie zu. Er sah aus, als hätte man ihm einen Faustschlag verpasst. »Nein, Evie«, sagte er verzweifelt. Er schüttelte den Kopf, streckte die Hände aus und packte sie an den Schultern. »Nein, sag so etwas nicht …«

»Was ich gesagt habe, habe ich auch so gemeint«, erklärte Evie und löste sich aus seinem Griff, ohne ihn anzusehen. Sie konnte einfach nicht fassen, was Raffy ihretwegen getan hatte.

Und plötzlich stand Raffy nicht mehr neben ihr, sondern ging wutentbrannt auf Lucas los. »Das ist alles deine Schuld«, schrie er und stieß Lucas zu Boden. »Musstest du mir das Einzige nehmen, was ich hatte? Ich hasse dich. Ich habe dich immer gehasst …« Er stürzte sich auf seinen Bruder und trat und schlug so heftig auf ihn ein, dass Evie zu schreien anfing und zu ihm rannte. Auch nachdem es ihr und Benjamin gelungen war, Raffy von seinem Bruder wegzuziehen, hörte dieser nicht auf, um sich zu treten.

»Raffy«, sagte Benjamin streng, packte seine Arme und drehte sie ihm auf den Rücken, sodass er sich nicht mehr bewegen konnte. »So ist es besser. Beruhige dich, okay?«

»Lassen Sie mich los«, sagte Raffy schäumend vor Wut. »Ich will weg. Evie, sag ihm, dass er mich loslassen soll.«

Aber Evie sagte nichts. Stattdessen schüttelte sie den Kopf und ging zu Lucas. »Nein, Raffy«, flüsterte sie. »Nein.«

»Gute Arbeit«, sagte Thomas zu Benjamin. »Du siehst gut aus, mein Freund. Sehr gut.«

»Ich bin nicht Ihr Freund«, erwiderte Benjamin ruhig. »Ich bin nie Ihr Freund gewesen.«

Thomas zuckte die Schultern. »Also los, Linus. Ende der Vorstellung. Kommen wir endlich zur Sache, okay?«

Linus ging nervös auf und ab, kratzte sich am Kopf, wiegte ihn hin und her und murmelte laut vor sich hin. Dann sah er Thomas an und schüttelte wieder den Kopf. »Nein, nein, das ist nicht möglich. Nein. Nein …«

Aber Thomas lachte nur. »Linus, ich habe dir schon vor langer Zeit gesagt, dass alles möglich ist. Du hättest mir damals glauben sollen. Du solltest dankbar sein. Siehst du denn nicht, was ich für dich getan habe? Ich habe für dich die perfekte Umgebung geschaffen. Alles, was du wolltest. Ich habe dir sogar ein Auto gegeben und den Schlüssel für dich stecken lassen. Und was ist mit Ilsa, meinem G4 Benning 8? Ist sie nicht großartig? Bist du nicht beeindruckt?«

Sein irrer Blick war Furcht einflößend und Evie wich zurück. Unterdessen starrte Linus in die Luft und schüttelte wieder den Kopf. »Aber … wie? Nein, nein, ich … Das kann nicht sein.« Sein Gesicht war kreidebleich, und sein Blick schweifte umher, als ob er ganz woanders wäre.

Thomas verdrehte ungeduldig die Augen. »Linus. Das wird allmählich langweilig. Kommen wir endlich zur Sache, okay? Ich brauche dich, um dein System neu zu starten und es wieder in Gang zu setzten. Das ist alles. Tu es, und alles ist gut. Tu es, und wir können alle den Rest des Tages genießen.«