Der Präsident machte ein enttäuschtes Gesicht, faßte sich aber schnell wieder.
„Tja, nun — dann, Kapitän Bey, wäre es mir lieb, wenn Sie wenigstens einige Preise erreichen würden.“
„Mit Vergnügen“, sagte der Kommandant etwas verdutzt. Er hatte das Gefühl, daß ihm diese Begegnung allmählich über den Kopf wuchs und beschloß, zur Tagesordnung zurückzukehren.
„Dürfte ich Ihnen erklären, Herr Präsident, was wir hier vorhaben?“
„Natürlich“, lautete die ziemlich desinteressierte Antwort. Seine Exzellenz schien mit den Gedanken noch immer anderswo zu sein. Vielleicht durchlebte er noch einmal die Triumphe seiner Jugend. Dann konzentrierte er sich mit offenkundiger Anstrengung auf die Gegenwart. „Wir waren geschmeichelt, aber ziemlich überrascht von Ihrem Besuch. Es gibt doch allem Anschein nach nur sehr wenig, was diese Welt Ihnen bieten kann. Ich hörte, daß von Eis gesprochen wurde; das war doch sicher ein Scherz?“
„Nein, Herr Präsident — es war uns völlig ernst damit. Das ist alles, was wir von Thalassa brauchen, obwohl, nachdem wir inzwischen einige von Ihren Lebensmitteln versucht haben — ich denke da besonders an den Käse und den Wein, den wir zum Mittagessen bekamen — könnte es sein, daß unsere Anforderungen beträchtlich steigen. Aber Eis ist das wichtigste; lassen Sie es mich erklären. Erstes Bild, bitte.“
Das Sternenschiff ‚Magellan‘ schwebte in einer Länge von zwei Metern vor dem Präsidenten. Es sah so wirklich aus, daß er beinahe die Hand ausgestreckt hätte, um es zu berühren, und er hätte das sicher auch getan, wären da nicht so viele Zuschauer gewesen, die dieses naive Verhalten beobachten konnten.
„Sie werden sehen, daß das Schiff ungefähr zylindrisch ist. — Länge vier, Durchmesser ein Kilometer. Da unser Antriebssystem die Energien des Raumes selbst anzapft, besteht bis zur Lichtgeschwindigkeit theoretisch keine Geschwindigkeitsgrenze. Aber in der Praxis kommen wir schon bei etwa einem Fünftel dieser Geschwindigkeit in Schwierigkeiten, aufgrund von interstellarem Staub und Gas. So fein diese auch sein mögen, ein Gegenstand, der sich mit sechzigtausend Kilometern pro Sekunde oder noch mehr hindurchbewegt, trifft dabei auf eine überraschend große Menge Materie — und bei dieser Geschwindigkeit kann sogar ein einzelnes Wasserstoffatom beträchtlichen Schaden anrichten.
Daher trägt die ‚Magellan‘, genau wie die ersten, primitiven Raumschiffe, einen Reibungsschild vor sich her. Fast jedes Material wäre dafür tauglich, solange wir genug davon verwenden. Und bei den fast bei Null liegenden Temperaturen zwischen den Sternen kann man kaum etwas Besseres finden als Eis. Billig, leicht zu bearbeiten und überraschend stark! So wie dieser stumpfe Kegel sah unser kleiner Eisberg aus, als wir vor zweihundert Jahren das Sonnensystem verließen. Und das ist er heute.“
Das Bild flackerte, dann kam es wieder. Das Schiff war unverändert, aber der Kegel, der vor ihm herschwebte, war zu einer dünnen Scheibe zusammengeschrumpft.
„Das kommt davon, wenn man fünfzig Lichtjahre lang ein Loch durch diesen ziemlich staubigen Galaxisabschnitt gebohrt hat. Ich freue mich, feststellen zu können, daß die Abriebsmenge innerhalb von fünf Prozent des Schätzwertes liegt, wir waren also niemals in Gefahr — obwohl natürlich immer die entfernte Möglichkeit bestand, daß wir auf etwas wirklich Großes trafen. Dagegen könnte uns kein Schild schützen — ob er nun aus Eis oder auch aus bestem Panzerstahl bestünde.
Der Schild könnte noch weitere zehn Lichtjahre halten, aber das reicht nicht aus. Unser Endziel ist der Planet Sagan Zwei — und der ist noch fünfundsiebzig Lichtjahre entfernt.
Sie verstehen nun, Herr Präsident, warum wir auf Thalassa zwischengelandet sind. Wir möchten uns gerne etwa hunderttausend Tonnen Wasser von Ihnen ausleihen — nun, sagen wir lieber, erbitten, da wir kaum versprechen können, es zurückzugeben. Wir müssen einen neuen Eisberg bauen da oben in der Umlaufbahn,
der den Weg vor uns freifegt, wenn wir weiter zu den Sternen fliegen.“
„Wie können wir Ihnen dabei helfen? Sie müssen uns doch technisch um Jahrhunderte voraus sein.“
„Das bezweifle ich — abgesehen vom Quantenantrieb. Vielleicht kann Ihnen Vizekapitän Malina unsere Pläne kurz erläutern — Ihre Zustimmung natürlich vorausgesetzt.“
„Bitte, nur zu.“
„Zuerst müssen wir einen Standort für die Gefrieranlage bestimmen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, sie könnte auf jedem einsamen Küstenstreifen stehen. Sie wird ökologisch nicht die geringste Störung verursachen, aber wenn Sie wollen, werden wir sie auf die Ostinsel stellen — und hoffen, daß Krakan nicht ausbricht, ehe wir fertig sind!
Der Plan für die Anlage ist praktisch komplett, es sind nur kleinere Veränderungen zur Anpassung an den Standort notwendig, den wir schließlich wählen. Die meisten der Hauptkomponenten können sofort in die Produktion gehen. Sie sind alle sehr einfach — Pumpen, Kühlsysteme, Wärmeaustauscher, Kräne — gute, altmodische Technik aus dem zweiten Jahrtausend!
Wenn alles glattgeht, könnten wir in neunzig Tagen das erste Eis haben. Wir wollen Blöcke in Standardgröße machen, jeden mit einem Gewicht von sechshundert Tonnen — flache, sechseckige Platten — jemand hat sie ‚Schneeflocken‘ getauft, und der Name ist offenbar hängengeblieben.
Wenn die Produktion angelaufen ist, wollen wir jeden Tag eine Schneeflocke nach oben transportieren. Sie werden im Orbit zusammengesetzt und verankert, bis der Schild aufgebaut ist. Vom ersten Hebevorgang bis zum letzten Haltbarkeitstest dürften wir wohl zweihundertfünfzig Tage brauchen. Dann sind wir startbereit.“
Als der Vizekapitän geendet hatte, saß Präsident Farradine eine Weile schweigend da, einen abwesenden Ausdruck in den Augen. Dann sagte er fast ehrfürchtig: „Eis — ich habe noch nie welches gesehen, außer am Boden eines Trinkglases.“
Als der Präsident den Besuchern zum Abschied die Hände schüttelte, fiel ihm etwas Merkwürdiges auf. Der aromatische Geruch war jetzt kaum noch wahrnehmbar.
Hatte er sich schon daran gewöhnt — oder verlor er seinen Geruchssinn? Obwohl beide Antworten zutrafen, hätte er gegen Mitternacht nur die zweite akzeptiert. Er erwachte mit tränenden Augen und einer so verstopften Nase, daß er Mühe hatte, Luft zu bekommen.
„Was ist los, mein Lieber?“ fragte die Frau Präsidentin besorgt.
„Ruf den — hatschiii! — Doktor“, antwortete das Staatsoberhaupt. „Unseren — und den oben vom Schiff. Ich glaube zwar nicht, daß sie, verdammt noch mal, auch nur das geringste machen können, aber ich möchte ihnen doch — hatschiii! — gründlich meine Meinung sagen. Und ich hoffe nur, daß es dich nicht auch erwischt hat.“
Die Gattin des Präsidenten wollte ihn gerade beruhigen, wurde aber von einem Niesen unterbrochen.
Beide setzten sich im Bett auf und sahen sich unglücklich an.
„Ich glaube, es hat sieben Tage gedauert, bis man es überstanden hatte“, schniefte der Präsident. „Aber vielleicht hat die medizinische Wissenschaft während der letzten paar Jahrhunderte Fortschritte gemacht.“
Seine Hoffnung wurde zwar erfüllt, aber nur knapp. Mit heldenhaften Bemühungen und ohne Todesfälle wurde die Epidemie niedergekämpft — in sechs elenden Tagen.
Es war kein glückverheißender Anfang für den ersten Kontakt in fast tausend Jahren zwischen den Vettern von verschiedenen Sternen.
12. Das Erbe
Wir sind jetzt seit zwei Wochen hier, Evelyn — obwohl es einem gar nicht so vorkommt, weil es nur elf thalassanische Tage sind. Früher oder später müssen wir den alten Kalender aufgeben, aber mein Herz wird immer im uralten Rhythmus der Erde schlagen.
Es war eine arbeitsreiche Zeit und insgesamt eine angenehme. Das einzige wirkliche Problem war medizinischer Natur; trotz aller Vorsichtsmaßnahmen brachen wir die Quarantäne zu früh ab, und etwa zwanzig Prozent der Lassaner erwischten irgendeinen Virus. Was unser Schuldbewußtsein noch vergrößerte, war, daß keiner von uns irgendwelche Symptome zeigte. Glücklicherweise ist niemand gestorben, obwohl ich leider sagen muß, daß das nicht allzusehr auf das Konto der hiesigen Ärzte zu buchen ist. Die Medizin ist hier eindeutig eine rückständige Wissenschaft; man hat sich daran gewöhnt, sich auf automatische Systeme zu verlassen, und zwar so sehr, daß man mit allem, was irgendwie aus dem Rahmen fällt, nicht mehr zurechtkommt.