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Sie richtete sich auf und sah sich in dem großen Spiegel, der neben dem Fenster stand und bis zur Erde reichte. Ihre Augen waren umrandet und müde, die Haare lagen unordentlich um den schmalen Kopf, das Rot der Lippen war verwischt. Da warf sie sich wieder zurück aufs Bett und drehte den Kopf zur Wand.

Sie weinte, und jetzt war es ein Weinen des Abschieds und der Sehnsucht.

Kapitel 2

Jossip stand oben auf den Bergen, Tanja an seiner Seite, als der

Heerwurm der Arbeiter sich über die Paßstraße aufwärts bewegte.

Ungläubig an dem, was er sah, erschrocken vor der Fülle Leben, die sich in seine Einsamkeit und Abgeschiedenheit ergoß, ließ er sich auf die Knie gleiten und kroch bis zum Rand des senkrecht abfallenden Felsens vor. Auf dem Bauch liegend, sah er hinab auf den schmalen Felsenweg und betrachtete die langsam und vorsichtig sich vortastenden Raupenwagen und die Planierschaufler, die alles Gestein vom Wege wegdrückten und seitlich in die Schlucht warfen. So hatten die nachfolgenden Wagen einen freieren und nicht mehr so holprigen Weg. An einer etwas breiteren Stelle, eng an den Felsen gedrückt, stand ein einzelner Wagen und ließ die Kolonnen an sich vorbeiziehen.

Ein kleiner, zweisitziger Wagen.

Jossip kniff die Augen zusammen, als er Ralf Meerholdt am Wege stehen sah. Einen Augenblick hatte er die Versuchung, einen dicken Stein vom Felsen auf ihn hinabzurollen, eine Steinlawine auf diese fremden Menschen hinabregnen zu lassen und den Weg unbegehbar zu machen.

Aber er bezwang sich und lag flach auf dem Bauch, vor Haß und Erregung tief atmend.

Einer gegen tausend, dachte er. Das ist sinnlos, Jossip. Aber einer gegen einen - das ist ein Kampf, von dem die Ahnen sangen. Er ballte die Fäuste und schob sie vor sich her an den Rand des Felsens. Ich treffe dich, du feiner Herr! Für dich hat mich Rosa geschlagen, zweimal geschlagen . du weißt nicht, was das bedeutet, Herr! Du kommst aus einem anderen Land, du bist nicht einmal aus unserem Volk. Was weißt du, was ein Schlag bei uns bedeutet?! Du wirst wiederkommen, hast du gesagt . und nun bist du gekommen, aber mit einem Heer! Doch ich werde dich aus diesem

Heer herausholen, und dann wird die Sonne wegsehen und Gott die Augen schließen.

Er kroch zurück und richtete sich auf. Tanja stand mit gesträubtem Fell beim Leithammel der Herde und sah Jossip entgegen. Er knurrte leise, als er sich näherte und ihm das Halsband überwarf.

»Komm, Tanja«, sagte er leise. »Wir müssen zurück ins Dorf. Wir haben noch viel zu tun, Tanja ... es kommt eine schlimme Zeit für uns.«

Er ging der Herde voran, und der Leithammel folgte ihm mit der Herde. Jossip kannte die Felsen und Wege wie keiner in Zabari, und er führte die Herde zurück über rauhe Schluchten und durch dunkle Täler und erreichte Zabari eher als die ersten Raupenschlepper, die fauchend den Weg hinab ins Dorf ratterten.

Als die ersten Wagen ins Dorf kamen, standen am Eingang von Za-bari kleine Mädchen mit Blumen und schmückten die ersten Fahrzeuge und die Fahrer. Später standen auch die Bauern und Bäuerinnen am Wege und winkten den einzelnen Autos zu, die durch das Dorf knatterten und außerhalb der Häuser, am Rande des kleinen Tales, anhielten und eine Art Wagenburg bildeten. Sie fuhren zu einem großen Kreis zusammen und schlugen in der Mitte des so geschaffenen Platzes Zelte und eine Baracke auf.

Fedor stand in der Tür seiner Hütte, als die ersten Wagen ins Tal kamen. Er sagte nichts . er starrte ihnen entgegen, entgeistert, verständnislos, von Staunen übermannt. Rosa, die hinter ihm aus der Tür sah, rannte zurück in ihre Kammer. »Sie kommen!« schrie sie Marina entgegen. »Sie kommen!« Sie wirbelte die Mutter im Kreise herum, rannte dann aus dem Zimmer und begann, in einer Ecke des Schlafraumes die Kisten zu durchwühlen. Sie warf ihr Festkleid heraus, den bunten Bänderkopfschmuck, die weißen, aus weicher Wolle gewebten Röcke, die schmalen, mit buntem Leder bestickten Festpantoffeln aus reinem Ziegenleder. Mit zitternden Händen

zog sie sich um, schlich aus der Stalltür ins Freie und ging in den Garten. Sie pflückte einen großen Strauß hellroter Lilien und rannte dann an dem sprachlosen Fedor vorbei über die lange Dorfstraße den Wagen entgegen, die vom Eingang des Tales aus den Bergen quollen.

An der Stelle, an der sie Ralf vor vier Monaten zuwinkte und vor seinem Abschied in den Bergwald flüchtete, stellte sie sich aufund starrte die Wagenreihen entlang, lächelte den winkenden Arbeitern zu und schüttelte den Kopf, wenn kecke Rufe und Bemerkungen sie umflatterten.

Auf dem Rand des Kantinenwagens saß Pietro Bonelli und schnalzte mit der Zunge, als er an Rosa vorbeifuhr. »Madonna mia!« rief er enthusiastisch. »Das in solcher Wüste?! Mir wird wohler ums Herz, amici! Ich werde sogar schon heimisch! Cara carissima!« schrie er zu Rosa hinüber und fuchtelte mit den Armen. »In zwei Tagen steht meine Kantine! Dann lade ich dich zum Tanz ein.«

Lachend fuhren die Arbeiter an Rosa vorbei.

Als der kleine Wagen, mehr hüpfend als fahrend, über den Weg aus den Felsen hinausschoß, machte auch ihr Herz einen Sprung. Eine Welle von Glück überspülte sie ... sie drückte den großen Blumenstrauß an ihre Brust, und durch die Blumen hindurch sah sie dem Wagen entgegen. Ihre langen, schwarzen Haare glänzten in der Sonne . sie hatte sie mit den bunten Bändern durchflochten und über ihre Schulter wie einen kostbaren Schmuck gelegt. Es war ihr, als müsse sie zu Boden sinken und sterben vor Glück, als sie die blonden Haare Ralfs über der Windschutzscheibe des Wagens sah. Sie hob die Blumen noch höher an ihre Augen und zitterte vor Seligkeit.

Ralf Meerholdt hatte von der Höhe aus den Einzug der ersten Wagen beobachtet und war erfreut über den Empfang durch die Bauern von Zabari. Er sah nicht Jossip am Rand des Bergwaldes oberhalb des Dorfes stehen, gegen einen dunklen Stamm gelehnt, unsichtbar für das ungeübte Auge des Fremden. Jetzt fuhr er vor sich hinpfeifend den Weg hinab und malte sich aus, wie er Rosa wie-

dersehen würde. Sie saß bestimmt am Herd neben dem Feuer und webte, oder sie briet ein Stückchen Hammelfleisch an dem drehbaren Spieß und legte die Scheiben Brot auf den großen Holzteller, der bei jeder Mahlzeit mitten auf dem Tisch stand.

»Ich bin zurückgekommen!« wollte er sagen. Aber dann verwarf er diesen Satz. Er verpflichtete zu sehr ... er war die Einlösung eines Versprechens. Nein - er würde Rosa die Hand geben und Fedor eine Pfeife schenken und Marina einen Schal. Und dann würde er schnell zu den Arbeitern gehen und den Aufbau der ersten Baracke überwachen und keine Gelegenheit mehr finden, Rosa allein zu sehen. Er spürte, daß die Verpflichtung Elena gegenüber ihn seelisch verkrampft hatte, aber er hatte nicht die Absicht, sich von ihr zu lösen. Die elegante Elena mit der Zärtlichkeit einer schnurrenden Katze ... sie war doch stärker, um so vieles stärker als das Naturkind Rosa, dessen Lippen beim Kusse zitterten und nicht aufblühten wie der heiße Mund Elenas.

Er fuhr ins Tal hinab, pfeifend, die Haare frei im Zugwind flattern lassend.

Am Wege stand Rosa, die Blumen hoch vor dem Gesicht.

Er hielt den Wagen mit einem Ruck an. Sein Herz zerriß bei ihrem Anblick.

»Rosa«, sagte er leise. »Rosa.« Aber sie hörte es nicht ... das Tal war erfüllt vom Gedröhn der Motoren und den Rufen der Arbeiter.

Er sprang aus dem Wagen ... er kam auf sie zu ... er streckte die Hand aus. Sie sah ihn durch die Blumen an, ein Schrei, ein greller Schrei des Glückes würgte in ihrer Kehle, sie wollte ihn ausstoßen, so wie ein Tier aufschreit - aber sie schloß die Augen, sie ließ die Blumen aus den Händen vor die Füße Ralfs fallen und warf sich ihm entgegen. Ihre Arme umschlangen seinen Hals, ihr Mund war wie eine Wunde, die aufriß ... und dann küßte sie ihn, wild, hemmungslos, stammelnd, mit den Händen seine blonden Haare durchwühlend. Sie fühlte sich so ganz eins mit ihm, daß sie die Beine einzog und an ihm hing wie ein Ertrinkender. Und dann weinte sie,