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vor Glück und vor Erlösung.

Umarmt, eng aneinandergedrückt gingen sie ins Tal hinab. Verlassen stand der kleine Wagen am Wege. An ihnen vorbei rasselten die schweren Raupenschlepper, die Transporter mit den Barak-kenwänden . sie sahen und hörten nichts, sie sahen nur ihre Augen und ihre Lippen, und sie fühlten einer nur den anderen und vergaßen, was gewesen war, was war und was werden würde. Es gab keine Zeiten mehr, keinen Ort und kein Leben als nur das eigene Leben in der Hand des anderen.

An seinem dunklen Stamm oberhalb Zabaris stand noch immer Jossip und starrte den beiden nach. Er hatte die Fäuste geballt. Sein Gesicht war eingefallen und fahl. Langsam trat er zurück in den Wald und stieg den Felsen hinauf, nach vorn gebückt wie ein Geschlagener, der Zuflucht in der Einsamkeit sucht, um die Wunden zu heilen und die Menschen zu hassen.

Vor der Tür von Suhajas Haus blieb Meerholdt stehen und streckte Fedor die Hand entgegen.

»Ich bin zurückgekommen, Fedor«, sagte er. »Ich will wieder dein Gast sein.«

Fedor sah die Hand an und blickte hinüber zu Rosa.

»Bringst du Glück oder Unglück, Herr?« fragte er leise.

Meerholdt atmete tief auf. »Glück, Fedor.«

Da nahm der Alte die Hand und drückte sie. An der Hand zog er Ralf hinein ins Haus.

Die Barackenstadt wuchs.

Von Tag zu Tag dehnte sich das Lager aus, die Zelte, die in den ersten Tagen als Unterkunft dienten, verschwanden immer mehr. Schon saßen die ersten Bauern und Mädchen in Bonellis Kantine zusammen und tranken Bier und Slibowitz. Ein Mandolinenorchester der Italiener gab sein erstes Konzert am Rande des Waldes, umflackert von romantischen Lagerfeuern. Die Mädchen wiegten sich im Takt der fremden, heißen Melodien, die ersten Schimpfworte wurden ge-wechselt, weil ein Trupp von drei Arbeitern zwei Hühner organisiert hatte.

Pietro Bonelli hatte schon am zweiten Tag sein Glück als unwiderstehlicher Liebhaber versucht. Ihm war auf der Dorfstraße Katja begegnet, Katja Dobor. Sie war ein Bauernmädchen und wohnte drei Häuser weiter als Rosa. Sie war ein strammes Geschöpf mit kräftigen Armen, festem Busen und langen, schlanken Beinen. Bo-nelli war auf der Straße stehengeblieben, hatte seinen lockigen Schädel gerieben und vor sich hingepfiffen. »Cara mia!« hatte er gemurmelt. »Die Welt ist schön!« Und Katja Dobor war stehengeblieben wie er, hatte sich umgedreht und gesagt: »Josef wird dir die Knochen brechen.«

Diese Worte fand Bonelli recht unschön. Er sann auf Rache und bestürmte Meerholdt am nächsten Tag mit einem lauten Klagegesang.

»Ich brauche Hilfe!« stöhnte er und hob beschwörend beide Hände. »Herr Ingenieur . ich schaffe es nicht mehr! Die Küche, der Ausschank, das Spülen, das Einkaufen, das Disponieren, das Überwachen . und alles mit vier Mann! Mit vier Dummköpfen, die zu blöd sind, auf ihre eigenen Sachen aufzupassen. Gestern wurde ein Sack Mehl gestohlen ... heute war es ein Karton mit Eiern! Es ist zum Verzweifeln! Ich brauche Personal, Herr Ingenieur . vor allem weibliches Personal! Küchenmädchen, Spülmädchen, Mädchen, die Kartoffeln, Möhren und Rüben schälen, die backen können. Maria mia ... ich arbeite mich hier tot!«

Er trocknete den Schweiß von der Stirn und sah Ralf Meerholdt treuherzig an. »Ich bin ein gebrochener Mann, Herr Ingenieur . meine Küche steht am Rande des Abgrundes!«

»Ich werde versuchen, Mädchen zu bekommen«, versprach Meerholdt. »Wenn sich keine melden, müssen wir schichtweise einen Küchenhilfsdienst einrichten.«

»Mit Männern? Unmöglich!« schrie Bonelli. »Die klauen mir alles! Ich brauche Mädchen, ehrliche Mädchen.«

»Dann versuche, ob du welche bekommen kannst.«

Bonelli verdrehte die Augen. »Ich werde es versuchen, Herr Ingenieur.« Er rannte aus der Baracke und machte sich auf den Weg zu dem Hause der Dobors.

Katja stand neben dem Brunnen und mahlte zwischen zwei Steinen Hirse, als Pietro heranmarschierte. Sie sah ihm entgegen und drehte weiter die beiden schweren Mühlsteine. Bonelli sah ihr eine Zeitlang zu, indem er sich auf den Brunnenrand setzte und eine Zigarette rauchte.

»Schwer, nicht wahr?« fragte er dann.

Katja blickte wütend auf. »Wenn die Männer nicht alle Flegel wären, hättest du mir längst geholfen!«

»Jeijeijei.« Bonelli warf die Zigarette weg. »Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen.«

»Mich?!«

»Ja.«

»Wohin?«

»Zu mir.«

Katja richtete sich auf und stemmte die Arme in die Seiten. Ihre volle Brust spannte das Kleid, und Bonelli schnaubte durch die Nase vor Begeisterung. »Weg!« rief sie. »Weg von hier! Wenn ich es Josef sage, erschlägt er dich!«

»Josef! Wer ist Josef? Um Bonelli zu schlagen, muß man Weltmeister sein! Ich trage einen ganzen Ochsen auf dem Rücken ins Haus.« Er spannte die Muskeln und zeigte Katja seinen Oberarm. Als er sah, daß dieses Schauspiel bei Katja keinen Eindruck hinterließ, senkte er den Arm. »Du sollst mir in der Küche helfen . der Ingenieur sagt es.«

»Der Herr, der bei Rosa wohnt?«

»Ja.«

Sie nickte. Ein verstecktes Lächeln huschte durch ihre Augen. »Nur weil es der Herr sagt.«

»Du kommst?!« Bonelli sprang vom Brunnen. Ich könnte die ganze Welt umarmen, dachte er.

»Weil es der Herr will.«

»Morgen um 7 Uhr. Nein, schon heute ... gleich!«

Sie nickte und ging ins Haus. Beschwingten Schrittes eilte Bonelli in seine Kantinenbaracke zurück und schmückte sein Zimmer mit frischen Blumen. Er vergaß nicht, sein Bett aufzudecken ... ein gutes, stabiles amerikanisches Feldbett, über dessen Bespannung er eine weiche Auflegematratze einladend gebreitet hatte. »Wenn das keinen Eindruck macht«, sagte er sinnend, »gehe ich zur Kolonne und mische Zement.«

Am Abend trat Katja mit sechs anderen Mädchen den Dienst in der Küche an. Da sie nicht allein kam, hatte Bonelli keine Gelegenheit, seine weiche Auflegematratze zu zeigen. Fluchend lief er herum, trat einen kleinen Lehrjungen in den Hintern, weil er Soße beim Auftragen verschüttete, und saß dann mißmutig hinter seinen Flaschen und sah auf die Arbeiter, die ihr Abendessen holten.

Am nächsten Morgen lief Bonelli jammernd mit einem blauen Auge herum. Keiner wußte, wie er dazu gekommen war ... nicht einmal Bonelli selbst. Mit weinerlichem Gesicht erzählte er jedem, der es wissen wollte, wie er am Abend hinter die Baracke ging, um aus dem Vorratsschuppen noch eine Seite Speck zu holen. Dabei sei ihm eine Faust aus der Dunkelheit direkt ins Auge gefahren, und als er wieder vom Boden aufstand, war niemand mehr zu sehen.

»Ein Dieb!« rief er immer wieder und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ein Dieb, den ich überraschte! Oh - wenn ich den Kerl erwische!«

Der Kerl saß unterdessen bei Katja am Brunnen und kühlte einen Riß in seiner Faust.

»Ich bringe ihn um!« sagte er immer wieder. »Ich schlage ihn zusammen wie einen Stamm!«

Die Bohr- und Ausschachtungsarbeiten nahmen Meerholdts Zeit so in Anspruch, daß er wenig Zeit für Rosa hatte. Selbst in der Nacht setzte er die hektische Tätigkeit fort, die er schon in Foca gezeigt hatte . mit starkem Kaffee, den ihm Bonelli selbst brachte, und Pak-kungen starker amerikanischer Zigaretten hielt er sich wach und arbeitete mit zwei jungen Technikern an den Plänen.

Abwechslung brachte in dieses Einerlei nur Bonelli, der am fünften Tag, an dem das linke blaue Auge sich wieder normal färbte, mit einem rechten blauen Auge erschien.

»Ich habe ihn gesehen!« schrie er dieses Mal. »Es war ein großer Kerl, ein Bulle von einem Kerl! Oh - ich könnte ihn in der Luft zerreißen!«

Daß die Verfärbung seiner Augen mit dem plötzlich erwachten Interesse Katja Dobors für seine Kantine in Zusammenhang zu bringen waren, kam Pietro Bonelli nicht in den Sinn. Auch daß Katja endlich das schöne amerikanische Feldbett gesehen hatte und sich auf die weiche Unterlage setzte - zum Hinlegen war sie noch nicht bereit, was Bonelli sehr bedauerte - und hinterher bei Josef Lukacz davon schwärmerisch erzählte, trug nicht dazu bei, das Leben Bo-nellis ruhiger zu gestalten. Eigentlich war es bisher der einzige, der in Zabari die Mißachtung des Fremdartigen handgreiflich erfuhr, und nur der Gedanke, daß es ein überraschter Dieb gewesen sein könnte, der ihn überfiel, rettete dem Barackenlager die Anwesenheit des lamentierenden Italieners.