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»Er hat den Motor zu sehr überdreht!« sagte er und lachte mek-kernd. »Er wollte mit Vollgas an die kleinen Mädchen gehen. Aber leider lag was im Weg, nämlich der Bräutigam.«

Das Gesicht Meerholdts wurde ernst. Er winkte den Fahrer heran und nahm ihn bei den Rockaufschlägen. »Das ist eine Sauerei, Kerls, eine verfluchte Schweinerei! Wir sind hier in einem fremden Land. Ihr kennt die Ansichten der Montenegriner, ihr wißt, daß sie allem feindlich gegenüberstehen, was in die Ruhe ihres Lebens einbricht. Für sie sind wir Eroberer, und wir haben die verdammte Pflicht, uns so zu benehmen, daß sie Zutrauen fassen und uns helfen, statt uns das Leben noch schwerer zu machen, als es schon ist.«

»Ich habe eines von den Mädchen nur in den Hintern gekniffen.« Der Fahrer zog ein Gesicht und befühlte seine Beule. »Am Abend kommt so ein dreckiger Kerl in die Werkstatt, so ein richtiger Mistkerl, nach Kuh und Bock stinkend, sieht mich groß an, und ohne ein Wort zu sagen, nimmt er einen Knüppel und haut mir eins über den Schädel, daß ich eine halbe Stunde lang in der Ecke lag.« Er ballte die Fäuste und schüttelte sie vor Meerholdts Augen. »Und wenn Sie hundertmal von Freundschaft sprechen, Herr Ingenieur -ich habe mir diese Visage gemerkt, und wenn ich ihn treffe, schlage ich drauf wie auf kaltes Eisen.«

Kopfschüttelnd wandte sich Meerholdt ab und ging weiter, dem Ersatzteillager zu. Der unzulängliche Mensch, dachte er. Wohin er

kommt, schafft er Unruhe und Streit.

Am nächsten Tag wurde der Fahrer versetzt. Er kam nach Niksic zu seiner Kolonne, die Baubretter und Zement von Cetinje holte und in Niksic stapelte.

Als der Abend kam, verließ Meerholdt seine Ingenieurbaracke und schloß den Raum mit den Kartentischen, den Reißbrettern und den Pausapparaten ab. »Schluß für heute!« meinte er zu den beiden jungen Technikern. »Ruht euch aus, sauft nicht zuviel, sondern geht ins Bett. Morgen raucht euch wieder der Kopf..« Er grüßte und ging langsam dem Wald zu, an dessen Rand ihn Rosa erwarten wollte. Wenn der Mond über den Spitzen des Waldes steht ... er schaute empor in den abendlichen Himmel und sah den Mond noch weit in den Felsen stehen. Eine gute Stunde noch, rechnete er sich aus. Eine Stunde Herzklopfen und Gewissensqual gegenüber Elena.

Während er sich auf einen gefällten Stamm setzte und die Nachtschicht beobachtete, die unter großen Flutlichtscheinwerfern, welche ihren Strom von riesigen Batterien empfingen, die auf Spezialwagen tagsüber aufgeladen wurden, Verschalungen für eine Stützmauer aus Beton zimmerten, hockte Bonelli auf einem Stuhl an der Tür des hinteren Küchenausganges, einen dicken Knüppel in der Hand und zitternd vor Erwartung und Wut. Sein linkes Auge war gut verheilt, und er erwartete den Angriff auf dieses beliebte Objekt seines unbekannten Gegners. Zur Sicherung hatte er am Tage in aller Heimlichkeit Fußangeln und Selbstschüsse rund um die Tür und auf den Weg zum Vorratsschuppen gelegt. Nun wagte er selbst nicht mehr, vor die Tür zu treten, da er in seinem Racheeifer vergessen hatte, wo die Selbstschüsse lagen und wo sich die gefahrlose Gasse zum Vorratsschuppen hinzog.

Die Beule des Fahrers hatte ihn nachdenklich gemacht. Sie war offensichtlich eine Beule der Eifersucht. Diese Erkenntnis nagte schwer am Herzen Bonellis, denn Katja Dobor hatte gestern abend in der Küche Überstunden gemacht, und es war zufällig so, daß sie allein war und die anderen Mädchen von den Überstunden nichts wußten. Bonelli hatte eine Flasche Likör entkorkt, einen süßen Kakao

mit Nuß, und ein Gläschen an Katja gegeben, zur Aufmunterung natürlich und damit sie nicht müde würde bei der schweren Arbeit.

Als Katja Dobor nach einer Stunde ging, hatte er sie geküßt. Weil sie stillhielt und seine Zärtlichkeiten mit einem süßen Lächeln duldete, schwoll der Mut in Bonellis Seele, und er beschloß, die Überstunden ab morgen auszudehnen und seine weiche Matratze vorausschauend frisch zu überziehen.

Das alles trug allerdings nicht zur Sicherheit seiner Person bei. Im Gegenteil erwartete er nach dem Überstundeneifer Katjas einen neuen Angriff des Gegners aus dem Dunkeln, der diesesmal in ein Feld von Selbstschüssen und Fußangeln geraten würde. Bonelli rieb sich die Hände, wenn er sich ausmalte, wie der starke Josef auf dem Boden lag, umgeben von knallenden Feuerwerkskörpern, festgehalten von einer Schlinge um seine Knöchel, und Bonelli stand über ihm und gerbte ihm mit dem dicken Knüppel wortlos und grinsend das Fell.

Bonelli sah auf die Uhr, die an der Wand tickte, eine alte, runde Küchenuhr, die überall auftauchte, wo Bonellis Kantine erschien. Sie war die einzige Erinnerung an sein Elternhaus . sie tickte in der Küche über dem Tisch, an dem er als Kind seine Spaghetti aß. Madonna mia - Spaghetti!

Noch eine Viertelstunde, durchfuhr es Bonelli. Fast auf die Minute genau hatte der Unbekannte zugeschlagen.

Bonelli erhob sich, er klinkte die Tür auf und trat hinaus auf den Hof. Die Dunkelheit umfing ihn schwarz und feindlich ... er blinzelte ein wenig, um seine Augen an den Wechsel zu gewöhnen. Er schloß die Tür, faßte seinen Knüppel fester und drehte sich dann um, um vorsichtig zum Schuppen zu gehen.

Der Weg wurde ihm erspart. Als er sich von der Tür wegdrehte, machte es bumm, aus dem Dunkel sauste eine Faust hervor, bohrte sich in sein linkes Auge und erzeugte einen Himmel voller zuk-kender Sterne.

Bonelli brüllte auf, er schwang seinen Knüppel, im ungewissen Licht sah er einen Schatten zum Schuppen rennen. »Halt!« schrie

er. »Lump! Schuft! Dreckskerl!« Er rannte dem Schatten nach und fiel mit einem Schrei der Länge nach auf den Boden. Im gleichen Augenblick umkrachten ihn die Selbstschüsse, ein Feuerwerk umknatterte die liegende und sich windende Gestalt.

Der Schatten war längst in der Dunkelheit untergetaucht, als Bo-nelli endlich auf die Beine sprang und durch sein Minenfeld ins Haus wankte. Er griff nach der schon bekannten Flasche mit 90prozentigem Alkohol, goß Wasser in eine Emailleschüssel, verdünnte den Alkohol und begann, sein sich schließendes linkes Auge mit knirschenden Zähnen zu kühlen.

Ein Blick in den Spiegel ließ ihn fast weinen. Sein Gesicht war aufgedunsen. Der letzte Schlag hatte nicht nur das Auge, sondern auch die Nase mitgetroffen. Es mußte eine große Faust sein, die eine halbe Gesichtshälfte mit einem Schlag deformierte.

Bonelli schlurfte zu seinem amerikanischen Bett und sank auf die frischbezogene Matratze. Morgen wird Katja hierbleiben, schwor er sich. Die ganze Nacht! Und wenn dieser Josef den Mond anheult wie ein Schakal ... sie bleibt! Verdammt, ich liebe sie! Ich werde sie sogar heiraten! Pietro Bonelli ist ein anständiger Mann! Katja Bonelli - das war ein schöner Name ... und dann die Reihe der Bambinos . jedes Jahr ein Bambino . Carissima - was sind dagegen drei blaue Augen und eine schiefe Nase.

An diesem Abend war nicht nur Josef Lukacz unterwegs, sondern auch Jossip strich durch den Bergwald wie ein hungriger Wolf.

Er hatte gesehen, daß Ralf Meerholdt von den Baustellen empor zu den gefällten Stämmen stieg. Daß er allein ging, mußte seinen Grund haben. Mit dem sicheren Instinkt des Naturmenschen dachte Jossip an Rosa. Sein Herz krampfte sich zusammen, und er schlich durch den Wald, lautlos, mit den Schatten des Mondes wandernd, bis er zwanzig Meter oberhalb des Stammes auf dem Boden lag, an den sich Ralf lehnte und auf Rosa wartete.

Vom Tal herauf zog der Widerschein der Flutlichtscheinwerfer an der Staumauer. Über diesem Teil der schwarzen Berge war der Himmel fahl wie über einer Großstadt, die sich mit ihrer nächtlichen

Lichtglocke schon weit dem Ankommenden ankündigt. Das Hämmern und Stampfen der Betonmaschinen, das Motorengeräusch der Lastwagen und das Kreischen der Raupenschlepper tönte dünn durch die Stille.

Meerholdt sah empor. Der Mond war weiter gewandert, jetzt stand er am Ausgang der Felsen und würde bald die Spitzen des Waldes berühren. Er erhob sich und ging den Hang hinab, der Hütte Fedors zu. Im Garten hinter dem Haus wollte Rosa warten. Jossip glitt ihm nach, von Stamm zu Stamm, mit tierhafter Geschmeidigkeit und der Lautlosigkeit einer Katze.