Rosa stand schon zwischen den Blumenbeeten und wartete. Stumm umfing sie Ralf und drückte sich an ihn. So standen sie eine lange Zeit, jeder nur den Körper und die Wärme des anderen fühlend, den Herzschlag und den Atem, der schneller die Brust hob und senkte. Dann küßten sie sich, innig, mit der Hingabe völliger Versunkenheit.
Rosa hatte wieder ihr leinenes Kleid an, aus dessen weitem Ausschnitt die Schultern und der Hals weiß emporwuchsen, umrahmt von den langen, schwarzen Haaren. Aber dieses Haar und die Haut des Gesichtes, des Halses und der Schultern dufteten süß nach Rosen. Ralf legte den Kopf an ihre Brust, und ein Schauer durchfuhr ihn. Sie hat den ganzen Körper mit Rosenöl eingerieben, stellte er schweratmend fest. Den ganzen Körper, wie es die Braut tut, wenn sie das Hochzeitsbett gerichtet hat und den Bräutigam erwartet. Der süße Hauch nahm ihm die Sinne, er vergrub das Gesicht in ihren Haaren und küßte die Beugung ihres Halses und die Schulter, die unter seiner Berührung erschauderte.
»Wir sind wahnsinnig, Rosa«, stieß er hervor. Wieder sprach er in seiner Erregung deutsch, und sie verstand ihn nicht und lächelte selig. »Wir verbrennen uns, und die Asche wird der Wind in die Berge wehen. Wir müssen vernünftig sein, wir dürfen es nicht, Rosa ... und wenn es noch so schwer für uns ist.« Er schloß die Augen und atmete den süßen Hauch ihrer Haut ein.
Er wußte, wie sie das Öl hergestellt hatte. Frische Rosenblätter wer-den zerrieben und einige Tage in einem geschlossenen Behälter, mit Wasser und Wein vermengt, aufbewahrt. Dann filtert man die Flüssigkeit und läßt das meiste Wasser in der Sonne verdunsten, bis nur ein wenig Öl übrigbleibt - das wundervoll duftende, starke Rosenöl, das Brautöl der schwarzen Berge.
Er nahm ihre Arme von seinem Hals und führte sie aus dem Garten fort den Hang hinauf in den Wald. Umschlungen gingen sie durch die helle Mondnacht, schweigsam, denn was soll ein Mund sagen, der sich nach Küssen sehnt.
Sie sahen nicht den Schatten, der vor ihnen den Berg hinaufglitt. Jossip schlich zurück in die dunklen Tannen. Seine Hände bluteten . er hatte die Nägel seiner Finger in die Innenflächen gegraben, zitternd, sich beherrschend, aufgelöst in einen Vulkan aus Rache und Eifersucht. Er rannte geduckt von Stamm zu Stamm, bis er in den Tannen stand, nahe dem Felsen, der Zabari schützte. Dort bückte er sich und ergriff einen großen Stein. Er wog ihn in der Hand. Das Blut seiner aufgerissenen Handflächen färbte ihn rot.
Ralf und Rosa hatten sich gesetzt. Die Köpfe aneinandergelehnt, sahen sie hinab ins Tal, über das dunkle, lichtlose Dorf, die erleuchteten Baracken und die Baustelle unter dem Flutlicht der Scheinwerfer.
»Wie lange wirst du bei uns bleiben?« fragte Rosa und streichelte seine Hände, die auf ihren Knien lagen.
»Vielleicht zwei Jahre.«
»Zwei Jahre?« Sie hielt den Atem an. »Zwei ganze Jahre?«
»Ja.«
Auch ihm kam die Zeit unendlich vor . zwei Jahre, welch eine Fülle von Schicksal umschloß dieser Begriff. Welche Seligkeit von Liebe und Hingabe, welche Gefahren und welches Meer von Tränen, die geweint werden würden. Elena kam ihm in den Sinn - wirklich, er konnte an Elena denken, während er neben Rosa saß und ihre Schultern liebkoste. Das machte ihn verwirrt. Elena ... sie hatte vor zwei Stunden wieder angerufen. »Ich bin krank«, hatte sie gesagt. »Ich bin krank vor Sehnsucht, Sascha. Ich sitze am Fenster und starre auf das schmutzige Wasser der Drina. Eine Brücke geht über sie, eine alte, gebogene Steinbrücke, und die Steine bröckeln ab und fallen ins Wasser. Eines Tages wird sie einstürzen, Sascha. So wie diese Brücke bin ich . jeder Tag ohne dich bricht ein Stück aus mir heraus. Ich schlafe nicht mehr - ich weine, ich esse nicht mehr -ich sitze am Fenster und träume von dir. Sascha, wann kommst du. Wann darf ich zu dir ... mein lieber, lieber Sascha.«
Rosa rührte sich an seiner Seite. Wie ein Reh lauschte sie in die Nacht. Sie hatte ein Geräusch gehört, ein Scharren, das Hinabrollen von losgelösten Steinen. Sie wollte aufspringen, aber der Anblick, den sie beim Herumdrehen hatte, lähmte sie. Eine dunkle Gestalt hob sich gegen den Nachthimmel ab. Sie hob einen Arm, der Arm schnellte vor - mit einem grellen Schrei warf sich Rosa über Meer-holdt und riß ihn mit sich zu Boden. Klatschend fiel der schwere Stein neben ihnen auf den Waldboden und rollte dann den Hang hinab.
Meerholdt schleuderte Rosa zur Seite und sprang auf. Er sah eine Gestalt, die den Hang hinauflief. Keuchend lief er hinterher, stolpernd übersprang er die gefällten Baumstämme und hetzte dem Walde zu. Die Gestalt blieb einen Augenblick stehen und blickte zurück. Dann rannte sie weiter und tauchte im Walde unter.
Als Meerholdt den Waldrand erreichte, ausgepumpt und mit Schweiß bedeckt, umgab ihn die Stille der Einsamkeit. Er lehnte sich an einen Baum und atmete schwer.
»Komm hervor, wenn du kein Feigling bist!« rief er laut. »Komm - wir sind allein! Wer seinen Gegner von hinten anfällt, ist ein erbärmlicher Schuft!«
Er lauschte. Nichts rührte sich zwischen den dunklen Stämmen. Zehn Schritte vor ihm, hinter einem Busch, kniete Jossip und hielt den Atem an. Seine Hände bluteten und schmerzten. Hätte ich ein Messer, dachte er. Mein Schurmesser, mein schönes, langes Schurmesser. Aber er war wehrlos, und mit seinen blutenden Händen wagte er nicht, dem Feind gegenüberzutreten. So kauerte er hinter einem Busch und sah zu, wie Meerholdt sich abwandte und hinab-stieg zu Rosa.
Er traf sie im Garten hinter der Hütte Fedors wieder. Sie saß auf einer Bank und weinte. »Er wollte dich töten«, sagte sie leise. »Er hat den Stein nach dir geworfen.«
Ralf nickte. »Wenn ich nur wüßte, wer es war! Ich habe keine Feinde im Ort.«
Von der Seite her blickte Rosa auf sein Gesicht. Es war bleich im Mondlicht, kantig und ernst. Die blonden Haare lagen um seinen Kopf, klebrig von Schweiß. Er weiß nichts von Jossip - woher sollte er es auch wissen? Niemand hatte ihm gesagt, daß sie Jossip seinetwegen abwies und ihn schlug, als er den fremden Herrn beleidigte. Sie schämte sich, es ihm zu sagen, und Fedor und Marina schwiegen aus Angst vor der Rache Jossips. Noch lagen die Felle hinter dem Haus. Niemand rührte sie an. Und immer, wenn Fedor an der Stelle vorbeikam, an der er die abgestochenen Lämmer Jos-sips in der Nacht vergraben hatte, durchschauderte ihn Angst, daß dieses Blut einmal über sein Haus käme wie ein Fluch, der sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt.
»Du hast keine Feinde«, sagte sie langsam.
Meerholdt setzte sich zu Rosa und nahm ihre Hände.
»Du mußt von Zabari fort. Ich werde dich nach Plewlja bringen. Dort kannst du ruhig wohnen und niemand verfolgt uns.«
»Und du? Du kommst mit.«
»Ich muß hier bei meiner Arbeit bleiben«, wich er aus.
»Ich soll allein in die fremde Stadt gehen?«
»Ja.«
Ihre Augen waren traurig, sie schüttelte den Kopf. In diesem Schütteln lag eine Festigkeit, die keine Widerrede duldete. »Ich gehe nicht ohne dich.«
»Ich komme dich jede Woche besuchen, Rosa. Ich muß oft nach Plewlja und neue Hölzer kaufen.«
»Ich gehe nicht ohne dich«, sagte sie starrköpfig. »Wer soll dich schützen, wenn er dich wieder angreift.«
»Er wird es nicht wieder wagen.« Er sah hinauf zu dem Wald, der dunkel im Schatten der Felsen lag, feindlich und fremd. »Hast du erkennen können, wer es war?«
Sie schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie mühsam. »Nein ... es war zu dunkel.« Dann weinte sie und barg den Kopf an seiner Brust. »Ich lasse dich nicht allein«, flüsterte sie. »Ich lasse dich nie mehr allein. Wer dich tötet, tötet auch mich! Es gibt kein Leben mehr ohne dich.«
Sie weinte und verbarg den Kopf aus Scham. Sie hatte gelogen, sie hatte den Unbekannten gesehen, sie wußte, daß es Jossip war. Und sie log, weil sie Angst hatte. Angst vor Jossip und Angst um das Leben Ralfs.