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Es war die erste Lüge in ihrem Leben, und sie empfand sie wie eine ungeheure Sünde.

Bevor Ralf Meerholdt die Tür seiner Konstruktionsbaracke aufschloß, ging er noch einmal hinüber zur Kantine und klopfte an die Tür Pietro Bonellis.

Zunächst geschah nichts. Bonelli saß hellwach im Bett und tastete leise nach seinem Knüppel, der neben ihm auf der Erde lag. Auch als es ein zweites Mal klopfte, öffnete Bonelli nicht, sondern schlich aus seinem Bett zur Tür, sah kurz auf die Uhr und kämpfte mit seiner Feigheit, entweder nicht zu öffnen oder aus dem Fenster um Hilfe zu rufen. Wer sollte nachts um 1 Uhr an die Tür hämmern, wenn nicht der Beschützer Katjas?! Das linke, blaue Auge stach und klopfte, die Nase war geschwollen und juckte. Das genügte vollauf, ihn vorsichtig zu machen.

Es klopfte wieder. Bonelli seufzte auf. Die Liebe ist ein hartes Ding, stellte er fest und nickte weise zu diesem Gedanken.

»Wer da?« stotterte er und hob den Knüppel, als könne der Unbekannte durch die Türfüllung kommen.

»Meerholdt«, sagte Ralf laut.

»Der Ingenieur?« Bonelli lachte leise. »Das ist ein dummer Witz, Freundchen. Der Herr Ingenieur liegt längst im Bett. Mach, daß du fortkommst, sonst schlage ich dir den Schädel ein!«

Es hebt das Selbstbewußtsein, solche Worte hinter einer sicheren und fest verschlossenen Tür zu sprechen. Auch Bonelli fand, daß er heldenhaft gesprochen hatte und ließ den Knüppel in seiner Hand wippen.

Ralf schüttelte den Kopf und klopfte noch einmal an der Tür. »Bonelli«, sagte er laut. »Machen Sie auf und geben Sie mir eine Flasche Kognak. Ich weiß, Sie haben einen Napoleon in Ihrer Geheimkiste.«

Bonelli riß die Augen auf, so gut er das noch vermochte, und ließ den Knüppel fallen. Napoleon, durchfuhr es ihn. Das kennt nur einer - der Ingenieur. Die anderen können das nicht einmal aussprechen. Aber der Ingenieur, ja, das ist ein gebildeter Mann. Er schloß die Tür auf und knipste das Licht an. Verblüfft betrachtete ihn Meerholdt und trat ins Zimmer.

»Wieder das linke, Pietro?« sagte er. Was er früher als eine scherzhafte Abwechslung des täglichen Rhythmus betrachtet hatte, gewann jetzt, nach dem eigenen Erlebnis, eine andere Perspektive. Er zog Bonelli, der leicht widerstrebte, unter die grelle Lampe und betrachtete sein Gesicht. »Die Nase auch?«

»Er hat eine verdammt große Faust, Padrone«, jammerte Pietro.

»Und du weißt, wer es ist?«

»Ich ahne es.«

»Es geht also um ein Mädchen, Bonelli?«

»Ja.« Er stockte und sah Meerholdt treuherzig an. »Sie haben mir selbst erlaubt, Katja in die Küche zu nehmen.«

»In die Küche, ja!« schrie Ralf. »Aber nicht ins Bett!«

»Es steht so nahe bei der Küche«, verteidigte sich Bonelli. »Sie hat ein solches Bett noch nicht gesehen.«

»Mein Gott, was seid ihr alles für Kerle?!« Meerholdt setzte sich auf einen Stuhl und schüttelte den Kopf. »Bonelli wechselt die Augenfarbe wie ein Chamäleon, der Fahrer vom Ersatzlager läßt sich eine Beule schlagen, auf andere wird mit Steinen geworfen . alles wegen der Weiber!«

Bonelli seufzte. »Es ist eine rauhe Gegend, Padrone. Aber man gewöhnt sich an sie.«

»Wer hat dich geschlagen?!« fuhr Meerholdt den Italiener an.

»Der Freund von Katja Dobor. Josef heißt er. Josef Lukacz.«

»Und warum zeigst du ihn nicht an? Warum bist du nicht längst zu mir gekommen? Sprich mit ihm am Tag, dann wird er dich in der Nacht in Ruhe lassen!«

»Mit ihm sprechen?« Bonelli schnaufte und betastete seine geschwollene Nase. »Bei dieser Faust sprechen.?«

Es war ein Argument, das Meerholdt überzeugte. Er ließ sich die Flasche Kognak geben und ging zurück in seine Baracke.

Das Erlebnis des Überfalls auf ihn beschäftigte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Er hatte keine Feinde in Zabari, das wußte er. Fedor und Marina hatten ihm immer wieder bestätigt, daß der Bau der Talsperre das Dorf zwar aus seiner Einsamkeit gerissen hatte, in der es seit Hunderten von Jahren verborgen war, aber es war Reichtum in die Hütten gekommen oder das, was die Bauern als Reichtum betrachteten. In Bonellis Kantine und Magazin gab es alles zu kaufen, was die Herzen der Zabariner höher schlagen ließ. Stoffe, bunt bedruckt mit wundervollen Mustern, Seidenschals, merkwürdige leichte und feste Schuhe, Anzüge, wie sie die Männer noch nie gesehen hatten, Hüte aus Filz und Stroh, Hemden aus weißem, leichtem Stoff und Seide, und Slibowitz, herrlichen Slibowitz, der in der Kehle brannte wie hundert Lagerfeuer und nach vier Glas Gesang in die Kehlen der rauhen Bauern zauberte. In vielen Hütten gab es jetzt anstatt der Graslager schon Feldbetten, teuer gekauft mit einigen Hammeln und einem Schwein, das Bonelli dringend brauchte, weil er Katja ein Eisbein mit Sauerkraut vorsetzen wollte, ein Gericht, das niemand in ganz Jugoslawien kannte und das Bonelli auf einer Baustelle in Deutschland kennengelernt hatte.

Es lag also Freude über Zabari. Nur die italienischen Arbeiter waren nicht nach dem Geschmack der Bauern. Sie waren zu feurig und rannten jedem Weiberrock nach, der sich in der Nähe ihrer Baracken zeigte. Nicht Bonelli allein litt das Los verfolgter Kavaliere, auch einige Arbeiter schlugen sich nach der Arbeit mit den jungen Burschen von Zabari herum, wenn der Wein die Gemüter erhitzte und die Beine der Mädchen um die Lagerfeuer wirbelten, die von den Italienern außerhalb des Lagers angezündet wurden. Dort saßen sie dann in der Nacht mit ihren Gitarren und Mandolinen und sangen die melodischen Lieder ihrer Heimat, umstanden von den Bauern und angehimmelt von den Mädchen.

Aber diese kleinen Streitereien verdunkelten nicht die Freude an der Arbeit. Auch die Beule des Fahrers und das wechselnde Auge Bonellis waren kein Alarmsignal einer beginnenden Front der Bauern gegen die Sperrbauten. Man sah in Bonelli so etwas wie den zirkushaften Mittelpunkt des Lagers, sein Auge und neuerlich seine Nase wurden berühmt und waren bald bekannt in Foca und Nik-sic. Die Fahrer trugen seinen Liebesruhm von Ort zu Ort.

Gefährlich allein war der nächtliche Angriff auf Meerholdt, der schwere Steinwurf, der ihn töten sollte. Dieser Stein konnte eine Lawine auslösen, die das ganze Projekt unter sich begrub. Er konnte das Werk vernichten, noch ehe es zu leben begonnen hatte. Dieser Stein war ein Wurf des Hasses, des unbedingten Vernichtungswillens aus dem Dunkeln heraus. Das war es, was Meerholdt quälte. Wer konnte ein Interesse daran haben, ihn zu vernichten? Wer war der unbekannte Feind? Warum aber war er ein Feind?

Es gab Fanatiker, gerade in diesen Bergen, die jeden Fortschritt haßten. Stolze Bergbauern, die lieber ein Leben der schrecklichsten Not erdulden, als die Neuzeit in ihre Hütten kommen zu lassen.

Einmal - es war vor vier Jahren - zog ein kleiner Trupp in die Berge von Sjenica. Landmesser, Geologen, Meteorologen. Sie sollten das Gebiet erforschen und eine Straße von Sjenica nach Budimlje am Lim planen. Ihre letzte Nachricht kam aus Stavaij, einem Dorf am Dugapaß. Von diesem Tage an blieb der Trupp verschollen. Hubschrauber suchten das Gebiet ab, Militär und Polizei kämmten die Dörfer durch, die in der Einsamkeit vegetierten! Nichts! Es blieb ein Geheimnis der schwarzen Berge und der finsteren Bauern, die sich zurückzogen in die Höhlen, wenn das Militär kam.

Lebte in Zabari auch ein Fanatiker, der mit Meerholdt den Bau der Sperre vernichten wollte? Sollte der Stein nur eine Warnung sein vor einem Ereignis, das kommen würde?

Ralf saß am Tisch vor seinen Zeichnungen und grübelte.

Rosa kannte den Täter nicht. Das erschwerte eine Lösung der Probleme. Wenn es ein Bauer des Dorfes gewesen war, hätte ihn Rosa erkennen müssen. Er kam also von außerhalb Zabaris. Ein Sabotageakt? Eine fremde Macht, die kein Interesse daran hatte, daß in Jugoslawien große Elektrizitätswerke entstanden und das Wirtschaftspotential hoben? Ein politisches Attentat?