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Und jede Träne, die er vergoß, war ein Tropfen Haß gegen das Fremde.

Am frühen Nachmittag kreisten Flugzeuge über dem Tal von Zabari. Die Bauern standen vor den Hütten und auf den Weiden und starrten empor in den blauen Himmel, an dem die Riesenvögel entlangzogen. Sie hatten die Münder aufgerissen und verstanden nicht, was sie sahen.

Über den notdürftig ausgebauten Weg von Foca her rückten auf Lastwagen die Soldaten heran. Eine Kompanie Gebirgsjäger mit Maschinengewehren, Granatwerfern und 7,5 cm Gebirgsgeschützen auf Spreizlafetten.

Josef Lukacz wurde blaß, als er die Soldaten ins Dorf fahren sah. Er dachte, sie seien seinetwegen gekommen und wollten ihn erschießen. Er rannte in seine Hütte, packte ein Bündel Sachen zusammen und wollte in die Berge fliehen, als er hinter dem Haus Pietro Bonelli stehen sah. Er wurde weiß, ließ sein Bündel fallen und hob die Arme empor. Vielleicht sind sie gnädig, wenn ich mich ergebe, durchfuhr es ihn. Vielleicht komme ich nur in die Stadt in ein Gefängnis und sie lassen mir das Leben.

Bonelli grinste, als er den großen, starken Lukacz mit in den Himmel gestreckten Armen hinter dem Haus stehen sah. Die Anwesenheit der Soldaten hatte sein Herz ungemein gestärkt. Sie hatte bewirkt, daß er dem Rate Meerholdts folgte und sich bereit fand, mit Josef zu sprechen. Die Wirkung seines Besuches verblüffte ihn zunächst selbst, er sah sich um, ob jemand hinter ihm stand.

»Josef!« sagte er laut. »Geh ins Haus! Ich habe mit dir zu reden.«

»Sofort, Herr!«

Josef drehte sich um und ging mit erhobenen Händen ins Haus zurück. Bonelli folgte ihm, ganz Sieger und bereit, gutmütig zu sein. Wenn es auch in seinen Händen zuckte und er daran dachte, die Schläge in einem Arbeitsgang zurückzugeben, beherrschte er sich und schloß hinter sich die Tür. Sie befanden sich in einem Vorraum des Stalles, in dem das Heu gestapelt war und eine Kiste mit Schweinefutter stand. Bonelli setzte sich auf den Deckel der Kiste und betrachtete Lukacz eingehend, der immer noch mit erhobenen Händen vor ihm stand.

»Du hast mich also dreimal überfallen!« stellte Bonelli fest. Er sah die Angst in den Augen Lukacz' und beschloß, sie auszunutzen. Für Katja ist mir alles recht, rechtfertigte er sich innerlich. Auch ein wenig Betrug und Brutalität.

Lukacz nickte schwer. »Ja. Dreimal.«

»Mal das linke Auge, dann das rechte, jetzt wieder das linke mit der Nase zusammen! Ein bißchen viel, findest du nicht auch?«

Lukacz nickte schwer und seufzte.

»Was soll ich nun mit dir tun?« fragte Bonelli leise und schüttelte den Kopf. »Die Soldaten sind da.«

»Ich habe sie gesehen«, stöhnte Lukacz. Ein Zittern lief durch seinen Körper. Also doch erschießen, kein Gefängnis. »Du hast mir

Katja weggenommen, Herr.«

»Katja? Bist du mit ihr verheiratet?«

»Nein.«

»Verlobt?«

»Nein.«

»Hat sie dir gesagt, daß sie dich mag?«

»Nein. Aber ich liebe sie.«

»Idiot!« Bonelli schüttelte den Kopf. »Ich liebe sie auch! Ich will sie sogar heiraten!«

»Und Katja will es auch?«

Bonelli wich der Frage aus. Er hatte darüber noch kein Wort bei Katja verloren. Der Gedanke, sie zu heiraten, war ihm erst nach dem zweiten linken blauen Auge und der geschwollenen Nase gekommen, beim Anblick seines deformierten Gesichtes im Spiegel und der Ahnung, daß diese Leiden erst aufhörten, wenn seine Absichten reell wurden.

»Ich hätte genau das gleiche Recht, dich zu schlagen«, meinte er deshalb. In den Augen Lukacz' glomm ein Funken Hoffnung auf.

»Tue es, Herr. Dann sind wir quitt.«

»Und der ganze Tanz beginnt von neuem?! Nein!« Bonelli schlug sich auf die prallen Schenkel. »Es wird jetzt hier, an dieser Stelle, festgelegt, zu wem Katja gehört, verstanden? Und nimm die dämlichen Arme endlich runter«, sagte er irritiert. »Ich bin doch kein Henker.«

Josef Lukacz ließ die Arme sinken und lehnte sich gegen einen Stützbalken des Daches. Schweiß stand ihm auf der Stirn, er hatte das Gefühl, nahe an seinem Tod vorbeigegangen zu sein. Pietro Bonelli war ihm unheimlich. Ein Mann, für den hundert Soldaten über die Berge kommen, nur, weil er ein paarmal geschlagen wurde, mußte mächtig sein. Der Mächtige aber, das war ein altes Gesetz Montenegros, hatte das Recht auf seiner Seite. Wer wollte einen Mächtigen schon stürzen.?

»Ich habe Katja vor dir gekannt«, versuchte er einen leisen Vorstoß des Widerspruchs. Aber eine Handbewegung Bonellis ließ ihn

sofort verstummen.

»Natürlich! Ihr seid aus dem gleichen Dorf, ihr habt als Kinder zusammen gespielt, ihr habt die Kühe und Schafe gehütet, mein Gott - davon kann man doch nicht das Recht ableiten, einen Menschen zu besitzen! Wenn ich alle Mädchen heiraten wollte, mit denen ich als Kind gespielt habe.«

Bonelli hielt den Atem an und schüttelte den Kopf. Madre mia . die Gasse in Neapel, in der er aufwuchs. Wäsche von Wand zu Wand über die Straße gespannt, darunter ein Heer schmutziger Kinder, die im Unrat spielten und aus den fauligen Abfällen der Häuser Torten backten wie andere Kinder aus nassem Sand. Lucia Sergalla sah dann aus dem Fenster und schrie ihrem dreckigen Bambino zu:

»Mach dir nicht in die Hosen, Giulio! Wir haben bis August keine Seife mehr!«

Und es war erst Juni. Und dann die kleine Theresa, der Dreckspatz der Via Solfino. Fünf Jahre war sie damals alt, und wenn sie ein Bedürfnis plagte, setzte sie sich an den Rand der Via Solfino, hob die Röcke hoch und verrichtete ihr Geschäft. Alle standen um sie herum und sahen ihr zu . es war fast wie eine Vorstellung der herumziehenden Bärendompteure oder der Leierkastenmänner mit dem geldsammelnden Äffchen. Und dann Enrico, der Sohn eines Matrosen, dem dauernd die Nase lief und der behauptete, es schmek-ke wie türkischer Honig. Und Marita, das freche Balg, das mit vierzehn ins Krankenhaus ging und einen achtpfündigen Jungen gebar . o Madonna - wenn man das alles hätte heiraten wollen oder müssen.

Josef Lukacz deutete das Schweigen Bonellis falsch. Er hob die Arme über den Kopf. In seine Augen trat wieder der ängstliche, gehetzte Zug.

»Wenn du Katja heiraten willst, Herr, so will ich still sein«, sagte er leise. Man hörte, wie schwer ihm die Worte wurden. Bonelli nickte erfreut.

»Genau das wollte ich hören, mein Freund.« Er sprang von der Schweinefutterkiste und trat vor Lukacz hin. »Hast du schon eine

Arbeit bei uns?«

»Nein.«

»Möchtest du gerne viel Geld verdienen?«

»Schon.« Josef Lukacz lächelte. »Wir sind arme Bauern und haben nichts als unser Leben.«

»Das ist ein winziges Kapital, mein Freund. Das ist fast gar nichts. Darauf bekommst du nirgendwo Kredit. Das Leben - das ist eine Wertsache, die nur von Sekunde zu Sekunde gilt. Ich will dir helfen«, meinte er gönnerhaft. »Ich habe einen Freund, der einen Wagen fährt. Von Zabari nach Niksic und zurück ... jeden zweiten Tag Material und Verpflegung holen. Er braucht einen Beifahrer - ich werde mit ihm sprechen.« Und mit einem Augenzwinkern fügte er hinzu: »In Niksic gibt es eine Menge hübscher Mädchen. Du wirst staunen, wie anders sie aussehen als eure Mädchen hier! Nach einer Woche denkst du nicht mehr an Katja Dobor.«

Josef Lukacz war angesichts der Soldaten bereit, daran zu glauben und nickte.

»Na also«, meinte Bonelli zufrieden.

Als Sieger verließ er stolz das Haus.

Die Nachricht von dem Attentat auf Ralf Meerholdt war auch nach Foca gekommen. Elena hatte einen Schwächeanfall erlitten und war dann mit dem nächsten Wagen nach Zagreb gefahren.

Stanis Osik ahnte nichts Gutes, als er seine Tochter aus dem Auto springen und durch den Garten rennend auf sich zukommen sah. Er seufzte schwer und legte die Zeitung zur Seite. In den nächsten Stunden würde er nicht mehr dazu kommen, sie zu lesen.