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Bonelli ließ das Drahtseil fahren und begann zu zittern. Der An-blick des um ihn herum entfesselten Infernos ließ ihn vor Angst schlottern. »Laßt mich weg!« schrie er grell. »Ich muß zu meiner Kantine! Ich bin Bonelli, der Kantinenwirt!« Er wollte den Hang hinablaufen, aber einige Fäuste hielten ihn fest, er fühlte wieder einen Tritt und stolperte vorwärts. »Anfassen!« brüllte ihm einer ins Ohr. »Und wenn du der Kaiser von Siam bist - anfassen, du Rindvieh!«

Er zog wimmernd vor Angst die Baumstämme durch den Sturm, ein losgerissener Ast schlug gegen seinen Kopf und gegen das rechte Auge.

»Mein Auge!« wimmerte Bonelli. »Oh, mein Auge!« Er drückte beide Hände gegen den Kopf und schwankte. Die Härte des Schicksals übermannte ihn. Nachdem er seine Augen vor der Faust Josefs gerettet hatte, war es ein Ast, der ihm das rechte blau schlug. Das erschütterte ihn maßlos ... er setzte sich mitten im Sturm auf die Erde und schrie eine Tirade bester und edelster neapolitanischer Flüche in die Nacht.

Ralf Meerholdt stand oben am Rand des Talkessels und leitete die Arbeiten. Die Flutlichtscheinwerfer schwankten im Sturm und beleuchteten grell das Gewimmel der Menschenleiber zwischen den Gerüsten, Maschinen und Kränen. Das Heulen des Sturmes wurde in dem engen Tal noch verstärkt. Es wirkte wie ein großer Trichter, der den Schall zu einem einzigen Aufschrei konzentrierte. Ein Aufschrei der Natur, die ihre Kräfte mit den Menschen maß.

Gegen Morgen warf der Wind eine Steinlawine auf das Dorf... sie donnerte am Ausgang des Zabaritales herunter und versperrte die Straße nach Foca. Dann war es plötzlich still, ganz still . so unheimlich lautlos, daß die tausend Menschen stehenblieben, wo sie standen und verblüfft in den Himmel starrten. Jetzt kommt das Ende, empfanden sie. Jetzt folgt der Untergang der Welt in einem einzigen, gewaltigen Aufschrei der Natur.

Und die Welt ging unter . sie starb in herrlicher Schönheit.

Wie eine Schleuse bricht und Wassermassen das Land ertränken, so öffnete sich der Himmel, und lautlos, fast feierlich, fiel der Schnee

auf das Tal.

Es schneite den ganzen Morgen hindurch ... den ganzen Tag, die Nacht ... und wieder den Tag. Es schneite eine Woche lang, still, lautlos, mit dicken, flaumigen Flocken. Die Wälder wurden ein weißes Gebirge, aus dem die schwarzen Felsen hervorstachen wie tote Stämme eines abgebrannten Waldes, wie Grabplatten über einer gestorbenen Landschaft. Die Hütten der Bauern versanken im Schnee ... wie in Rußland verklebten sie die Fenster mit Papierstreifen und schliefen auf und um den gemauerten Ofen. Das Vieh in den Ställen kroch zusammen und wärmte sich. In den Nächten heulten die Hunde ... die ersten Wölfe umstrichen das Dorf, hungrig, noch scheu vor den Menschen . aber am Morgen sah man ihre Spuren in der Nähe des Lagers und am Hang zum Wald hinauf.

Der Winter war nach Zabari gekommen.

Pietro Bonelli hatte sich ein Gewehr besorgt. Die Wolfsfährten in der Nähe seiner Kantine waren ihm unheimlich. »Wenn die Wölfe kommen - ich bin wieder der erste, den sie angreifen!« erzählte er tagelang seinen Zuhörern. »Die Biester kommen dahin, wo es was zu fressen gibt! Und das ist die Kantine!«

Bonelli nahm sich das sehr zu Herzen. Er schlief mit dem Gewehr im Bett, und wenn draußen die Hunde heulten, fuhr er empor, legte das Gewehr an die Backe und zielte auf das Fenster, als könne ein Wolf in sein Zimmer springen.

Katja Dobor war zum größten Schmerz Bonellis nicht mehr in Zabari. Seit drei Monaten lebte sie in dem Außenlager Foca und packte mit drei anderen Mädchen die Lebensmittel für die Kantine ein, ehe sie auf Lastwagen nach Zabari geschafft wurden. Meerholdt hatte Katja für diesen Posten bestimmt, weil er einsah, daß Bonelli trotz seines Sieges über Josef Lukacz so lange nicht außer Gefahr war, wie Katja im Dorf oder sogar in der Kantine arbeitete. Die ersten Wochen hatte Bonelli gestreikt . er kochte nur Eintopf, er versalzte das Essen, aber nachdem man ihm einen ganzen Kessel Suppe in sein Zimmer geschüttet hatte, ergab er sich in sein Schicksal und verzehrte sich des Nachts vor Eifersucht und bei dem

Gedanken, welchen Gefahren gerade ein so hübsches Mädchen wie Katja in einer Stadt ausgesetzt war.

Rosa hatte Jossip nach jener Nacht nicht wieder gesehen. Eine Art Gewohnheit war zwischen sie und Ralf eingetreten. Sie sahen sich jeden Tag, jede Stunde . in den Nächten verkrochen sie sich jeder in sein Haus, als hätten sie Angst vor ihrer eigenen Liebe. Nur manchmal ging das Licht in der Nacht bei Meerholdt nicht aus . dann saß sie auf dem Sofa, das Ralf aus Foca mitgebracht hatte, und sah ihm zu, wie er an den Zeichenbrettern stand oder vor den Bauplänen hockte und rechnete, umzeichnete und verbesserte.

Sie hätte so Nacht um Nacht sitzen können, nichts anderes tuend, als ihn nur anzusehen. Sie war zufrieden, wenn er um sie war. Die Küsse und Zärtlichkeiten, die sie in ausbrechendem Taumel verschwendeten, waren nur Unterbrechung der stillen Stunden, in denen sie spürte, wie nahe ihre Seele der seinen war und wie tief sein Wesen schon in sie gedrungen war. Ihre Gedanken waren seine Gedanken - sie bemerkte es mit seligem Erschrecken, wenn sie beide während einer Unterhaltung nach dem gleichen Gegenstand griffen oder nach einem längeren Schweigen mit dem gleichen Thema begannen.

»Wir könnten nie mehr auseinander gehen«, sagte sie einmal und strich mit den Fingerspitzen über sein Gesicht. Er küßte ihre Hand und war glücklich.

Elena war in Wien. Ihr Brief hatte ihn erreicht - aber es waren Worte, die er las, nichts mehr als Worte. Ihren Aufschrei und ihre Sehnsucht nach Liebe empfand er fade, übertrieben und theatralisch. Er hatte ihr auf die Briefe - schon aus Zagreb - geantwortet; daß sie nie ankamen, erfüllte ihn mit der Befriedigung, die man empfindet, wenn man einer unangenehmen Sache reibungslos aus dem Weg gehen kann. Er war Stanis Osik dankbar, daß er seine Tochter von ihm fernhielt, auch wenn es ihn kränkte, denn die Haltung Osiks bewies, daß er in Ralf Meerholdt nicht einen Mann sah, der es wert war, seine Elena zu heiraten.

Schon damals, vor zwei Jahren, als er in dieses Land kam, wußte er, daß er immer ein Fremder bleiben würde. »Sie werden alle Freiheiten haben«, hatte man ihm versichert. »Wir freuen uns, einen Mann wie Sie für unsere Pläne gewonnen zu haben!« Aber dann begann schon von der Treppe des Ministeriums ab, die er hinunterging, das Mißtrauen, das einem Fremden nach fliegt, wohin er auch kommt. Die Schwierigkeiten häuften sich ... die Bauhandwerkergewerkschaft weigerte sich, ihre Mitglieder unter einem Deutschen arbeiten zu lassen! Die Lieferfirmen verhandelten über seinen Kopf hinweg mit Beamten in Belgrad. Zeichnungen, von denen keiner wußte, woher sie kamen und wer sie entworfen hatte, flatterten auf seinen Tisch mit dem Befehclass="underline" So und so soll gebaut werden! Er weigerte sich, er fuhr nach Belgrad, er kündigte seine Stellung, bis Sta-nis Osik kam, der dicke, fischgesichtige Direktor der staatlichen Bauten. Er lud Meerholdt in seine Villa nach Zagreb ein, er trank mit ihm eine ganze Nacht Krimsekt und öligen, rosa schimmernden Tokajer. »Sie bleiben, Meerholdt!« hatte Osik in seiner bestimmten Art gesagt. »Und wenn das ganze Ministerium fliegt - Sie bleiben und bauen nach deutschem Muster unsere Stauanlagen! Ich habe die Möh-nesperre gesehen, die Urftalsperre, die Edersperre, ich war in Ka-prun und habe Augen und Ohren aufgerissen! Was wissen die Idioten, wie es außerhalb Belgrads aussieht? Und außerdem habe ich den Marschall hinter mir ... das genügt.«

Nach diesem Abend blieb Meerholdt weiter in Jugoslawien und baute bei Banja Luka einen Damm. Und er lernte Elena kennen. Elena, die ihn bei der ersten Begrüßung arrogant betrachtete, ihm die Fingerspitzen zum Gruße reichte und ihn stehen ließ, als andere Gäste ins Haus kamen.