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»Wagen kaputt!« sagte er und zeigte auf die zerbrochene Hinterachse. »Führe mich ins nächste Dorf, Kamerad.«

»Ich bin Jossip, der Schäfer.« Der Mann hob die Hand, sie war gegerbt von Wind und Sonne. »Jossip hat kein Dorf. Er zieht mit seiner Herde.«

»Ist denn ein Dorf in der Nähe?«

»Das DorfZabari, Herr.«

»Wie weit?«

Jossip hob die Schultern. »Sehr weit. Man geht bis zum Abend.«

»Auch das noch!« Ralf Meerholdt setzte sich auf den vorderen Kotflügel des Wagens und hielt dem Schäfer Jossip seine Schachtel Zigaretten hin. Jossip trat näher, er betrachtete die Schachtel und schüttelte den Kopf.

»Was willst du hier?« fragte er unvermittelt.

»Wenn ich das selbst wüßte, guter Jossip.« Ralf sah sich um. »Ich suche Wasser.«

»Wasser?«

»Ja.« Er machte eine weite Handbewegung. »Viel Wasser, Jossip. Ganz viel Wasser. Wenn man Wasser hat und ein wenig Boden, Mutterboden, dann kommt Leben in eure Einsamkeit. Dann habt ihr elektrisches Licht, könnt euch einen Eisschrank kaufen, ein Radio, aus dem ihr die neuesten Meldungen hört, einen Fernsehapparat, ein Bügeleisen, einen Rasierapparat.« Er lachte und schüttelte den Kopf. »Mit anderen Worten: Es kommt die Zivilisation zu euch. Ob das immer gut ist, davon wollen wir nicht sprechen, euer sorgenloses Leben hört dann auf - aber notwendig ist es, so sagt man in Belgrad!«

Jossip nickte, sein Gesicht war ernst und verschlossen. »Ich verstehe nichts, Herr. Aber es gibt hier Wasser.«

»Wirklich?« Ralf Meerholdt sah interessiert auf. Er nahm wieder die Karte vom Autositz und fuhr mit dem Finger über die weiße Gegend. »Hier ist der Durmitor und dort der Ljubicna. Wir müssen genau zwischen diesen Bergen stecken, zwischen den Flüssen Piva und Tara.« Er sah auf und begegnete dem Blick Jossips, der ihn dunkel und abweisend musterte. »Eigentlich hast du recht, Jos-sip. Wo zwei große Flüsse aus dem Gebirge treten, muß von den Felsen Wasser kommen, um sie zu speisen. Die Quellflüsse allein schaffen es nicht.« Er klappte die Karte zu und steckte sie in die Seitentasche des Anzuges. »Wo liegt dieses Dorf - wie heißt es doch?«

»Zabari, Herr.«

»Zabari! Ein Name wie aus einem Märchenbuch! Kannst du mich hinführen, Jossip?«

»Nein.« Jossip schüttelte den Kopf. »Ich muß bei meiner Herde bleiben. Jossip verläßt nie seine Herde! Aber ich werde Tanja schicken mit einem Zettel.«

»Wer ist Tanja?«

»Der Hund, Herr. Er findet den Weg allein nach Zabari.«

Ralf griff in die Tasche und reichte Jossip 100 Dinare hin. Jossip hob abwehrend die Hand.

»Ich will kein Geld«, sagte er langsam. »Ich werde Tanja ins Dorf schicken, und man wird dich holen. Und wenn der Wagen wieder fahren kann, wirst du schnell das Land verlassen - dafür nehme ich kein Geld.«

Er wandte sich ab und ging den Pfad zurück, den er gekommen war. Verblüfft sah ihm Ralf nach. Er steckte den 100-Dinare-Schein wieder ein und setzte sich zurück auf den Kotflügel. »Nicht gerade höflich, der gute Jossip«, meinte er leise und beobachtete, wie wenig später mit lautem Gebell ein großer Hund durch die Felsen rannte und in einer Schlucht verschwand. Von Jossip hörte und sah er nichts mehr - auch von seiner Herde vernahm er nichts. Es war, als gehe alles Leben in dieser grandiosen Stille und einmaligen Größe der Felsen zugrunde, als verschlucke die Landschaft alle Regungen und ließ alles um sich herum erstarren wie Lava, die träge den Berg hinabfließt und als neue, tötende Kruste die Erde umschließt.

Es wurde Abend, und die Schatten hatten den Pfad erreicht und in Nacht gehüllt, während der Himmel noch im Abendrot brannte, ehe Ralf aus seiner Einsamkeit erlöst wurde.

Erst war es Tanja, der um die Biegung des Pfades kam, mißtrauisch, schnüffelnd, mit hochgestellten Rückenhaaren. Er schlich an den Wagen und Ralf heran, beäugte beide und wurde erst zutraulicher, als Ralf leise »Tanja« rief. Da trat er näher, wedelte leicht mit dem buschigen Schweif, aber er blieb außer Reichweite und wich zurück, als Ralf auf ihn zuging.

Wenig später hörte er Stimmen, und drei Bauern kamen den Pfad herab, bekleidet mit Lammfellmänteln und langen, weißen wollenen Hosen, um die sie Seile bis zu den Knien gewickelt hatten. Die Füße staken in geflochtenen Schuhen, die außerdem mit Lappen umgeben waren. Sie blieben wie Tanja einige Schritte vor dem Wagen stehen und betrachteten Ralf eine Weile stumm und eingehend. Dann trat einer der Bauern hervor, ein alter, mit einem weißen, buschigen Bart bewehrter Mann, und nickte.

»Jossip schickte Nachricht«, sagte er langsam. Seine Stimme war dunkel wie die Berge, in denen er aufwuchs. »Du hast dich verirrt, Herr?«

»Nein - mein Wagen hat die Hinterachse gebrochen.«

Er trat langsam auf die Männer zu, so wie man sich einem fremden, wilden Tier nähert, von dem man nicht weiß, wie es auf eine menschliche Bewegung reagiert. Verirrt, hat Jossip gesagt, durchfuhr es Ralf dabei. Verirrt - das heißt, daß ich hier nichts zu suchen habe. Sie alle sind feindlich gegen mich, sie sind mißtrauisch gegen alles, was von draußen in ihre schwarzen Berge kommt.

»Wollt ihr mir helfen?« fragte er langsam, als er vor den stummen Bauern stand. »Der Wagen muß in euer Dorf gezogen werden, dann müssen wir versuchen, einen Boten nach Foca zu schicken, damit er eine neue Achse mitbringt. Sonst kann ich nicht weiter.«

Die Bauern sahen sich an. Sie sprachen nicht, aber sie wußten, was sie dachten. Der Alte nickte.

»Du kannst bei mir wohnen, Herr, bis der Bote zurückkommt.

Ich bin Fedor Suhaja.«

»Ich danke dir, Fedor.« Ralf reichte ihm die Hand hin. Zögernd nahm sie Fedor und drückte sie schnell, ehe er sie wieder losließ.

»Deinen Wagen werden wir morgen früh mit zwei Ochsen holen«, sagte er. »Du kannst ihn stehen lassen. Hier stiehlt ihn keiner.« Er trat zurück und ließ zwischen sich und den beiden anderen Bauern eine Lücke. »Und nun komm mit, Herr.«

Ralf Meerholdt nahm aus dem Wagen seinen Mantel, die Karte, eine große Tasche mit Meßgeräten und trat an Fedor heran. Stumm gingen sie den dunklen Pfad entlang ... Fedor voraus, ein Bauer neben ihm, ein Bauer hinter ihm. Wie ein Gefangener, durchfuhr es Ralf, als er sich einmal umblickte und den finsteren Blick des hinter ihm gehenden Bauern sah.

Die Sonne war versunken. Die Nacht stand über dem Gebirge, die Schritte wurden tastend, vorsichtig. Einmal blieb Fedor stehen und wartete auf Ralf, der seine schwere Tasche schleppte und langsamer ging als die berggewohnten Bauern.

»Habt ihr keine Lampe?« fragte er und lehnte sich keuchend an die Felswand.

»Öl ist teuer, Herr. Nur an einem Fest können wir Öl brennen! Euer Kommen ist kein Fest.«

Sie gingen langsamer, vorsichtiger. Ein lauter Flügelschlag über ihnen ließ Ralf aufblicken ... ein großer, dunkler Schatten huschte über sie hinweg. Gespenstisch, schnell.

Fedor Suhaja nickte. »Adler«, sagte er leise. »Wir haben hier noch Adler, Herr.«

Spät in der Nacht kamen sie ins Dorf.

In einer Schlucht mit Ölbäumen und uralten Eichen, umgeben von einem über verschiedene Plateaus hinweg die Berge ansteigenden Wald und vor einer großen, fast senkrechten Felswand, die wie eine hochgestreckte Hand das Dorf zu schützen schien, lagen die aus Bruchsteinen, Stämmen und Flechtwerk erbauten Häuser von Zabari. Ein Weg führte durch das Tal, und an diesem Weg standen die Hütten, unregelmäßig, willkürlich hingesetzt, jedes Haus umgeben mit einem dicken Zaun, der wie eine Art Palisade aussah. In großen, offenen Ställen standen die Schafherden, während die Schweine und Kühe in festen Gebäuden untergebracht waren.

Ralf Meerholdt hatte keine Augen für dieses Dorf. müde, kaum noch fähig weiterzugehen, schleppte er sich bis zum Hause Fedors und stolperte durch die Tür, die Fedor offenhielt, in den großen Raum. Er warf seine schwere Tasche in eine Ecke, ließ den Mantel auf eine Bank gleiten und setzte sich an das offene Feuer, das auf einer gemauerten Feuerstelle flackerte.