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Als der Schnee lag und der Frost die Bäume des Waldes spaltete, begann Jossips geheimnisvolle Suche. Er hatte beim Wasserholen eine Höhle bemerkt, aus deren unterem, zerklüftetem Gestein ein dünnes Wasserrinnsal lief. Es versiegte und vereiste auch nicht, als der Frost fast alle Quellen zufror und das Wasser nur mit Kraft nach außen dringen konnte. Gleichmäßig, dünn, aber stetig lief das klare Wasser aus der Felsspalte und versickerte nicht weit davon in dem zerrissenen Boden.

Jossip kannte seine Berge. Es gab keine Schlucht, die er nicht durchzogen hatte, kein Tal, in dem er nicht schon rastete, keinen Felsen, auf dessen Spitze er noch nicht gestanden hatte. Auch die Quellen kannte er, die Bergbäche und reißenden Stürze, die bei der Schneeschmelze alles mit sich rissen und hinunter in die Schluchten spülten. Dies kleine Rinnsal sah er zum erstenmal. Er hatte die Spalte etwas erweitert und die Hand hineingesteckt . das Wasser lief einen kleinen Gang herab, der sich nach oben fortsetzte.

Nach oben?! Jossip sah den großen Felsen hinauf, den Felsen, der wie eine breite, ausgestreckte Hand das Dorf Zabari schützte. Das Wasser kam von oben?

Jossip kletterte zu dem Eingang der Höhle empor und kroch auf dem Bauch in den engen Eingang hinein. Finsternis umgab ihn . ein mooriger Geruch stieg aus der Tiefe empor, Kälte überrieselte ihn ... größere Kälte, als sie draußen der Frost über das Land schickte. Er tastete mit den Händen vorwärts . ein schmaler Gang, zerklüftet und feucht, führte ins Unbekannte. Jossip hielt den Atem an ... dann schrie er laut und lauschte. Sein Schrei flog weiter ... er pflanzte sich fort . fern, ganz fern war es, als breche er gegen eine Wand, würde zurückgeworfen und verteile sich in einem riesigen, unterirdischen Gewölbe.

Jossip hielt den Atem an und kroch zurück in den Schnee. Dort saß er auf einem Stein, trotz der Kälte vor Erregung schwitzend, und wischte sich über die Augen.

Eine Riesenhöhle. Sollte der ganze Berg hohl sein?! Hohl wie ein alter Baum, morsch und brüchig, von innen zerfressen? Er sah an dem mächtigen Felsen empor und blickte hinunter auf Zabari, das sich in seinem Schutz duckte. In dem Schutz eines hohlen Felsens, der jeden Augenblick zusammenbrechen und ins Tal brechen konnte, das Dorf, die Menschen, die Tiere zermalmend.

Jossip rannte zu seiner Hütte, riß ein paar Späne vom Ofen und hetzte zur Höhle zurück. Er zögerte, noch einmal in den Eingang zu kriechen . er hatte Angst vor der Wahrheit, die er im Schein der Fackeln sehen würde, Angst vor dem Tode, der über Zabari stand, groß, schwarz, in wundervoller Schönheit, von außen wie die Ewigkeit der göttlichen Gesetze aussehend. Er blickte noch einmal auf das Rinnsal, das unterhalb der Höhle aus dem Felsen trat. Da bezwang er seine Scheu und kroch wieder auf dem Bauch in die Höhle, die Fackeln vor sich herschiebend.

Der Gang war eng und niedrig. Der zuckende Feuerschein leuchtete nicht weit... aber so weit er ging, war der Gang leicht nach oben hinansteigend. Keuchend kroch Jossip weiter, die Kälte, die durch die Höhle wehte, ergriff ihn und schüttelte seinen Körper trotz der Wattejacke und Wattehose, die er angezogen hatte.

Nach vielen Metern wurde der Gang höher. Jossip konnte stehen und tastete sich an den feuchten Wänden entlang nach oben. Er kam in eine größere Ausbuchtung, von der aus der Gang, breit jetzt und hoch, wieder nach unten führte. Das Licht der Fackel flak-kerte, als träfe es ein Windzug, hier, unter der Erde! Jossip blieb stehen und lauschte. Er hörte ein Plätschern, ein leises Rauschen, ein Raunen, das durch den ganzen Berg ging.

Jossip wurde blaß und lehnte sich gegen die kalte, feuchte Wand. Er wagte nicht, den Gang hinunter weiterzugehen - er ließ die eine Fackel ausbrennen und stand dann in der Dunkelheit und zitterte vor Kälte und Angst. Durch die völlige Finsternis hörte er es jetzt nahe und klar . ein Plätschern, ein Rauschen . und er roch es, wie ein Tier witterte er es ... Wasser ... viel Wasser ... eine Welt voll Wasser.

Er überwand noch einmal seine Scheu und ging weiter. Die zweite Fackel loderte ihm voran . an ihr entzündete er eine dritte - in jeder Hand einen feurigen Stab, ging er Schritt für Schritt seiner schrecklichen Ahnung entgegen.

Der Gang wurde feuchter ... breiter ... einmal glitt er aus und fiel gegen die Wand. Dann öffnete sich vor ihm eine Halle, ein Riesenraum ohne Ende. Die Fackeln loderten . sie rissen nicht die Decke der Halle aus der Finsternis, sie reichten nicht hinüber bis zur anderen, in tiefer Schwärze liegenden Wand . so ungeheuer, so weit, so hoch war die Höhle. Aber es gab keinen Boden in diesem hohlen Felsen ... dort, wo sonst das Gestein zerklüftet eine Sohle bildete, war Wasser. Ein gewaltiger See füllte die Halle aus . in dem spiegelklaren Wasser zuckten die Flammen der Fackeln und warfen das Bild des bleichen und zitternden Jossip zurück.

Ein See, ein hohler Felsen mit einem See . ein See, getrennt durch eine Steinwand von Zabari, das unter ihm lag ... ein versunkenes Dorf schon ... ein Atlantis der Berge.

Jossip hielt die Fackeln hoch . er schwenkte sie . ihr Schein erreichte nicht die gegenüberliegende Wand. Von ferne hörte er wieder das Rauschen und Plätschern . die Bäche und unterirdischen Flüsse, die den See speisten, die durch den Felsen rannen und ihn aushöhlten, zermürbten, zerfraßen.

Er bückte sich, ergriff einen Stein und warf ihn vor sich in das stille Wasser. Er beugte den Kopf vor und vernahm nicht den Aufschlag auf den Grund des Sees. Erschüttert setzte sich Jossip auf den nassen Boden und starrte über den schweigsamen, unterirdischen Saal.

Eine Wassersäule von über 100 Metern, umklammert von einem Felsen, stand über Zabari. Es bedurfte nur eines Loches in der Felswand, nur einer Sprengung, und der riesige See würde über das Tal stürzen . alles Leben vernichtend, die Natur umgestaltend . ein jüngstes Gericht.

Entsetzt saß Jossip vor dem See und starrte auf das verzerrte Bild seines Gesichtes, das die Oberfläche des Wassers unter dem zuckenden Fackelschein zu ihm zurückwarf.

Mit dem Beginn des Frühjahrs und dem Abklingen der Schneeschmelze begannen wieder die Arbeiten am Damm. Was die Wassermassen weggerissen hatten, war nur gering im Vergleich zu dem, was halbfertig dem Ansturm standgehalten hatte. Neue Verschalungen wuchsen an den Talwänden empor, der Erdwall wurde verbreitert, der Betonkern verstärkt. Unmittelbar unter der emporwachsenden Sperrmauer wurde der Boden gesprengt, planiert und glattgewalzt . breite Betonplatten mit Eisengeflecht wurden gegossen und in den Boden eingelassen . die Fundamente und Träger der Turbinen, die später in den Hallen des Kraftwerkes eingebaut werden sollten.

Neue Pläne waren in den stillen Monaten entstanden, Verbesserungen, die in Belgrad und Zagreb zur Genehmigung vorlagen. Außer der Ausnutzung des Wasserdruckes für den Antrieb der Turbinen zur Elektrizitätserzeugung hatte Ralf Meerholdt vorgeschlagen, die dicken Wasserstrahlen des abfließenden Wassers nicht einfach als einen kleinen Fluß in irgendeine Schlucht zu leiten und dort weiterzuführen bis zum Tara, sondern mit einem Rohrdrucksystem in jene Gebiete zu drücken, die heute noch unter der Wasserarmut brachlagen, versteppten oder sogar unbewohnt waren. So konnte der Staudamm von Zabari doppelt nützen und restlos ausgewertet werden.