Stanis Osik trug die Pläne wie kostbare Diamanten mit sich herum und schlief mit ihnen unter dem Kopfkissen. »Sie sind Millionen wert!« sagte er zu Elena, die aus Budapest gekommen war und wieder in Zagreb lebte. »Dein süßer Ralf ist ein Genie!«
»Aber nicht wert, dein Schwiegersohn zu sein!« antwortete Elena kampfeslustig.
»Genie und Schwiegersohn sind zwei verschiedene menschliche Begriffe, mein Täubchen! Ein Genie als Schwiegersohn ist das schrecklichste, was einem Vater passieren kann. Es vernichtet ihn mehr als zehn Heuschreckenplagen! Was ich brauche, ist für mein Püppchen ein Mann, der gut aussieht, ein Diplomat ist, eine hohe gesellschaftliche Stellung bekleidet, einen großen Einfluß hat, keinerlei Ambitionen, wenig Geist, möglichst viel Geld und ein gutes Gemüt besitzt und der im übrigen so still ist, daß ich ihn nicht bemerke, es sei denn, er führt mir eure sieben Söhne vor.«
»Ist das alles?« Elena biß die Lippen aufeinander. »Vielleicht schielt er auch noch, hat eine Geliebte, die ihm den Eingang in die Ministerien öffnet -«
»Nicht schlecht«, nickte Osik.
».ist ein Luder, das mich täglich schlägt und sich als Mohammedaner mit der Zeit vier andere Frauen anschafft und als Pascha auf den Kissen sitzt und sich kniend den Kaffee servieren läßt.«
Stanis Osik lächelte breit. »Ein wenig viel, Püppchen. Nicht ganz so schlimm soll man das Leben sehen.«
»Ich werde solch einen Idioten nie und nimmer heiraten!« schrie Elena außer sich.
»Aber ein Genie! Ein wirkliches Genie mit Millionen im Kopf und zehn Dinaren in der Tasche! Einen Fremden! Und auch noch einen Deutschen! Meine Tochter mit einem Deutschen . die Tochter Stanis Osiks, der als Partisan gegen die Deutschen kämpfte, den Tito mit dem höchsten Orden auszeichnete, der bei Zagreb verwundet wurde von einer deutschen Kugel und der in Sarajewo sieben Wochen lang in einem stinkenden Loch von Gefängnis lag, zusammengeschlagen von der SS und zum Tode verurteilt als Partisan . dessen Elena soll einen Deutschen heiraten? Ich machte mich unmöglich!«
»Aber ihr macht euch nicht unmöglich, einen Deutschen, einen solchen schrecklichen Deutschen, als Leiter eurer Bauten einzusetzen, nach seinen Plänen zu bauen, von seinem Geist zu profitieren, mit seinem Wissen euer Land aufzubauen.«
»Es ist eine geistige Wiedergutmachung, wenn du es so willst. Sie haben uns ausgelaugt, die Deutschen, sie haben uns geknechtet, vergewaltigt ... nun kommen sie und bauen wieder auf. für einige tausend Dinare im Monat Lohn, damit die Welt sieht, wie nobel wir sind, wie vergessend, wie großzügig und edel. Wir pumpen ihren Geist für uns aus, wir saugen ihr Genie weg wie ein Vampir das Blut aus dem Körper, wir finden mit ihnen den Anschluß an die Welt wieder, den wir durch sie verloren ... sie werden unser Land groß und unabhängig machen - vom Westen und vom Osten!«
Elena sah ihren Vater mit einer Mißachtung an, die Osik in diesem Augenblick zum erstenmal fast körperlich fühlte.
»Wenn du die Deutschen so haßt, wenn du ihr Genie mißbrauchst, so wäre es das einfachste, Meerholdt mit mir zu verheiraten, um ihn für immer an dein Land zu binden.«
»Es ist auch dein Land, Elena.«
»Gut - dann an unser Land! Als mein Mann wird er für immer hier bleiben und euch seine Pläne geben.«
Stanis Osik hob die Hand. »Was liegt uns daran, Püppchen? Er baut den Damm von Zabari, er wird vielleicht noch drei oder vier andere Stauwerke bauen. Er wird Wasserleitungen entwerfen, Felderbewässerungen . er trägt sich sogar mit dem Gedanken, den Tabak zu veredeln durch große Klimastrahler auf den Tabakfeldern. Eines Tages werden wir ihn ausgenommen haben, wird sein Geist erschlaffen, wird er ein Routinemensch werden, wenn wir alle seine Pläne ausgeführt haben und es nichts mehr gibt, was er verbessern kann. Dann wird er seinen Lohn bekommen: Eine Abfindung von 100.000 Dinaren und einen Tritt in den ausgemergelten Hintern!«
»Du bist ein Schwein!« sagte Elena verächtlich.
»Die Politik ist immer eine Schweinerei!« Osik rauchte eine Zigarre an und betrachtete die kleine, weiße Spitze. Er drehte die Zigarre ein wenig, damit sie gleichmäßig abbrannte. »Aber da die ganze Welt nur eine Suhle ist, dürfen die Schweine ja nicht fehlen.« Er sah Ele-na an, die sprachlos am Fenster stand. »Verstehst du jetzt, warum du Ralf Meerholdt nie heiraten wirst? Sein Kopf ist ein Ei, ein rohes Ei, das ich so lange austrinke, wie etwas aus ihm herauskommt . die Schale werfe ich weg. Willst du eine Schale heiraten?«
»Einen Menschen, einen wirklichen Menschen, den ich liebe!«
»Liebe!« Osik drehte die Zigarre, sie brannte schräg ab, eine Rippe zog sich unter dem Deckblatt hin. »Liebe ist ein dummer Ausdruck für das sexuelle Zueinanderstreben niedriger Kreise! Das gemeine Volk überdeckt damit den Trieb und will ihn in die höhere Sphäre seelischer, vielleicht auch noch göttlicher Gewalt heben. In unseren Kreisen, Püppchen, von einer bestimmten Höhe der gesellschaftlichen Stellung aus, heiratet man mit Vernunft, mit Überlegung, mit Berechnung, mit einer Differenzierung aller Begriffe, die mit Ehe und Moral zusammenhängen. Hier geht es um Posten und Einflüsse, die Ehe wird ein Sprungbrett nach oben, sie soll tragen, nicht hinabziehen . sie soll den Glanz vermehren durch neue Diademe, nicht, indem man die alten mit Putzmitteln blank reibt. Das, was man Liebe nennt, das ergibt sich fast automatisch durch die anatomische Verschiedenheit der Partner.«
Elena legte die Hände gegen die Ohren und wandte sich ab. »Bitte, hör auf!« sagte sie leise. »Ich kann das nicht mehr ertragen!« Sie legte die Stirn gegen die kühle Scheibe des Fensters und schloß die Augen. »Ich habe nie geglaubt, meinen Vater einmal hassen zu können!«
»Weil du jung bist, eine kleine, dumme Gans, deren Gefühle sich regen und die keine Kontrolle über sich selbst gewonnen hat. Im Alter wirst du mir recht geben!«
»Was geht mich das Alter an?« Sie drehte sich herum und schrie: »Ich will eine Jugend haben! Ich will Liebe! Du willst mich um alles betrügen, was andere Mädchen glücklich werden läßt! Du willst mich in ein Glashaus setzen und herumzeigen wie eine Mumie. Seht, das ist meine Nofretete! Seht, nach ihr würde sich Amenophis die Hände geleckt haben! Aber sie ist unverkäuflich, unantastbar . es sei denn, es käme einer, der mich Minister werden ließe und mei-ne Tochter eine Gräfin! Gräfin Elena . dafür öffne ich den Glaskasten, und die Meute kann herein! Wer ist ein Graf, wer kann mich zum Minister machen . wer will . wer will.« Sie trommelte mit den Fäusten gegen ihre Brust. »Aber ich will nicht . ich will nicht! Ich will Liebe . Liebe.«
Stanis Osik nahm die Zigarre aus dem Mund und warf sie fort. »Geile Katze«, sagte er und verließ den Raum.
Am nächsten Morgen war Elena aus dem Haus verschwunden.
Osik brüllte durch die Räume und den weiten Garten, er jagte die Hausmädchen herum, den Chauffeur, den Gärtner ... niemand hatte Elena gesehen. Sie mußte in der Nacht, unbemerkt von allen, das Haus und Zagreb verlassen haben.
Die Polizei, die Osik alarmierte, war ratlos. Ein junger Leutnant schüttelte den Kopf. »Mit drei Koffern ist sie weg?« sagte er gedehnt. »Das sieht wie eine Flucht aus. Hatten Sie Streit miteinander?«
Stanis Osik warf die Polizisten aus dem Haus und telefonierte mit Foca.
»Wenn meine Tochter kommt, sofort festhalten, bis ich nachkomme!« schrie er den Leiter des Nachschublagers von Foca an. Dann überwand er sich und rief Zabari an. Er verlangte Ralf Meerholdt und wartete, bis man ihn von der Baustelle holte.
»Hier Osik«, sagte er, sich mühsam beherrschend. »Wie geht's in Zabari?«
»Alles in Ordnung.« Ralf Meerholdt wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er war gerannt und noch etwas außer Atem. »Was machen meine neuen Pläne?«
»Sie werden geprüft . sie sind ganz gut! Vielleicht kommen wir auf sie zurück.« Osik schluckte. »Ist Elena bei Ihnen?« fragte er dann.