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Eine Weile saß er noch neben ihr auf der Bettkante und betrachtete sie. Ihre Augenlider zitterten. Der Mund war plötzlich trotzig zusammengezogen, ihr Gesicht hatte etwas Strenges und in der jetzigen Herbheit Berückendes an sich.

Drei Tage und Nächte durch die Berge ... eine große, eine überwältigende Leistung für eine so zarte und verwöhnte Frau wie Elena. Ein Martyrium, freiwillig erlitten, um zu ihm zu kommen. Eine Odyssee aus Liebe.

Er beugte sich über ihr schmales, bleiches Gesicht und küßte sie auf den zusammengepreßten Mund. Ihre Lippen waren kalt und rauh, aber sie zitterten, als er sie berührte.

Während Elena schlief, rief Meerholdt in Foca Stanis Osik an.

Osik war der Verzweiflung nahe und soff ein Glas Slibowitz nach dem anderen. Er hatte sich eingeschlossen und brüllte jeden durch die Tür an, der ihn störte. So verkehrte man nur noch telephonisch mit ihm, denn das Telephon war das einzige Wesen, auf dessen Stimme er sofort reagierte. Aber alles, was nicht aus Zabari kam, wurde von ihm niedergeschrien und abgehängt.

Mit glasigen Augen starrte Osik auf die Tischplatte. Ich saufe mich zu Tode, grübelte er. Alkohol ist Gift für mein Herz. Ich habe die Angina pectoris . ich weiß es. Aber ich pfeife darauf!Ich pfeife! Wenn Elena umgekommen ist, ist das Leben nichts mehr wert! Wofür arbeite ich denn? Wofür habe ich den Reichtum gescheffelt, die Leute betrogen, die Arbeiter ausgebeutet, Material verschoben und falsche Rechnungen buchen lassen? Für wen denn? Für mich? Für den dicken, alten Stanis Osik, dessen Herz in der Brust klappert wie ein ungeschmierter, ausgeleierter Motor? Für den? Er schüttelte den Kopf und goß sich noch ein Glas ein. Mit geschlossenen Augen, als tränke er Gift, stürzte er es ganz hinunter. Ich saufe mich zu Tode, Heilige Mutter von Sarajewo . gib mir Elena wieder.

Er schlief, als das Telephon neben seinem Ohr klingelte. Schlaftrunken fuhr er auf, wischte sich über das schweißige Gesicht und nahm den Hörer ab.

Zabari. Osik fuhr empor. Er schwankte trunken, aber er verstand alles, was Meerholdt sagte. Und dann weinte Stanis Osik - es war möglich, daß aus seiner harten Seele noch ein Gefühl entsprang, das ihm die Tränen in die Augen trieb.

»Sie ist da«, stammelte er. »Sie ist bei Ihnen . gesund, ganz gesund, nur müde . und sie schläft . mein Täubchen, meine Elen-aska. Meerholdt.« Er schluckte. »Ralf. pflege sie gut, hörst du . pflege sie wie eine Mutter. Ich komme sofort nach Zabari.«

Er legte den Hörer auf und schwankte. Sich an der Wand forttastend, torkelte er zu dem Sofa am Fenster und warf sich in die Kissen. Kaum, daß er lag, schlief er schon wieder, und er lächelte im Schlaf wie ein glückliches, beschertes Kind.

Bevor am nächsten Morgen Stanis Osik nach Zabari kam, standen sich in Ralfs Zimmer Rosa und Elena gegenüber.

Nicht feindlich. Rosa putzte den Boden, und Elena nahm keine Notiz von ihr und trank an einem kleinen Tisch mit Ralf Kaffee. Die durchschlafene Nacht in dem warmen Bett Meerholdts, das Bad am Morgen hatten sie wieder in die gepflegte Dame aus Zagreb verwandelt. Wer sie so sitzen sah in ihrem Pariser Frühjahrskleid, mit den hochhackigen Schuhen und den dünnen, nahtlosen Nylonstrümpfen, hielt es für undenkbar, daß diese gleiche Frau vor wenigen Stunden noch den Felsriegel der schwarzen Berge durchbrochen hatte, eine Tat, deren jeder Mann sich stolz rühmen würde.

Während sie Kaffee tranken, sprachen sie kein Wort miteinander. Nur ab und zu legte Elena ihre Hand auf die Ralfs und streichelte sie leicht. Rosa sah es . sie schielte während des Putzens zu dem Tisch hinüber und biß die Zähne aufeinander. Zwischen ihren schwarzen Augen stand eine tiefe Falte. Meerholdt gab sich jegliche Mühe, vor Rosa einen gewissen Abstand gegenüber Elena zu bewahren, aber die stille Zärtlichkeit, die von ihr ausstrahlte, das Glück, bei ihm zu sein, die Freude, Stanis Osik besiegt zu haben, waren so stark, daß Rosa fast körperlich die Gefahr spürte, die von dieser Frau ausging.

Sie beobachtete Elena, wie sie die Tasse hielt, wie sie das Brötchen brach, wie sie das Messer handhabte, als sie Butter und Honig auflegte . sie machte sich in der Nähe des Tisches zu schaffen und betrachtete die schmalen, vorne spitz zulaufenden Schuhe, die dünnen Strümpfe und den seidigen Stoff des Kleides. Meerholdt legte das Messer weg ... ihm schmeckte der Kaffee bitter, als sei er mit Galle aufgeschüttet, jeder Bissen blieb ihm im Halse stecken, als habe er Widerhaken, die sich in seiner Speiseröhre festkrallten. Verstohlen sah er auf die Uhr. Kam Osik noch nicht? Er hatte ihn schon in der Nacht erwartet.

»Sascha«, unterbrach Elena seine Gedanken. »Es ist so schön, wieder bei dir zu sein.«

Rosa verließ das Zimmer. Draußen, im Flur, lehnte sie sich an die Wand und schloß die Augen. Sascha nennt sie ihn. Sascha! Sie war seine Geliebte . jetzt wußte sie es. Niemand hatte sonst ein Recht, einen Menschen Sascha zu nennen. Ich werde sie fragen, dachte sie. Ich werde sie einfach fragen, ob sie ihn wirklich liebt, so liebt wie ich! Und wenn der Abend kommt, werden wir beide an Ralfs Tür stehen, und die stärkere wird siegen! Ich habe das gleiche Recht wie sie!

Sie öffnete die Augen. Es war, als erwache sie aus einem Traum. Sie blickte an sich herunter . das alte, geflickte Kleid, die derben, holzsohlenbeschuhten Galoschen, die handgestrickten, dicken Schafwollstrümpfe. Alles war elend, plump und häßlich gegenüber Elena . nur ihr Haar, das lange, schwarze, seidenglänzende Haar, das bis zur Hüfte hinabfiel und wie ein Schleier um ihre Gestalt wehte, wenn der Bergwind sie ergriff, dieses Haar war Elena überlegen. Das erfüllte sie mit Stolz und Hoffnung.

Bonelli fiel ihr ein. Er hatte für Katja Kleider aus Sarajewo kommen lassen; schöne, moderne Kleider, wie man sie in Zabari noch nicht gesehen hatte. Aber als die Pakete von Sarajewo in Zabari ankamen, war Katja in Sarajewo, und Bonelli fluchte und spielte mit den Paketen vor Wut Fußball. Seitdem lagen sie bei Bonelli in der Ecke des Zimmers, unausgepackt und unbeachtet, denn Bonelli wollte der Dummheit nicht die Krone aufsetzen und sie nach Sarajewo zurückschicken.

»Schicke ich sie weg und sie kommen in Sarajewo an, ist Katja dann gerade in Zabari! Ich bin doch kein Idiot!« schimpfte Bonelli. Und so warteten die Kleider auf die Wiederkehr Katja Dobors.

Rosa stellte den Eimer und den Schrubber in die Ecke des Ganges und rannte über den Platz zu der Kantine. Sie kam gerade herein, als Bonelli mit verträumtem Gesicht vor einem Blatt Papier saß. Ein Fahrer hatte es ihm mitgebracht aus Sarajewo. Schreiben konnte Katja nicht, aber malen. Und so hatte sie Pietro auf das Blatt Papier zwei Lippen gemalt, die sich küßten. Weiter nichts . zwei Lippen. Aber Bonellis Herz zuckte, und er war in Versuchung, wieder ein rauschendes Spaghettiessen zu geben mit viel Chianti und Musik.

»Sie liebt mich, Rosa«, sagte er versonnen, als sie zu ihm trat. »Meine Madonetta liebt mich.« Er zeigte ihr das Papier mit den Lippen und drückte es ans Herz. »Es ist das erste Mal, daß sie es selbst sagt. O Rosa - ich könnte etwas ganz Dummes machen vor Freude!« Bonellis Augen flimmerten.

Er griff nach hinten und holte eine Flasche guten Wein aus dem Regal. Pfeifend goß er Rosa und sich ein Glas ein und hob es gegen die Sonnenstrahlen, die durch die Fenster in den Raum fielen. Der Wein funkelte golden.

»Auf mein Glück«, rief er laut.

Sie tranken das Glas. Rosa atmete schwer, es war das erste Glas Wein, das sie trank. Bonelli sah Rosa von der Seite an, als er das Glas absetzte.

»Kummer?« fragte er.

Sie nickte. »Ja.«

»Mit dem Padrone und der Tochter des Direktors?«

»Ja.«

»Und du liebst ihn?« »Ja - wie dich deine Katja.«

Bonelli biß sich auf die Lippen. Das durfte nicht kommen, das sprach sein weiches Herz an, das ließ ihn mitleiden. Er bunkerte mit den Augen und goß sich noch ein Glas Wein ein.

»Und ich soll dir helfen?«

»Ja.«

Bonelli hob beide Hände und schlug sie gegeneinander. »Womit, Rosa?«