»Sie wollen sie also nicht heiraten?«
»Nein.«
»Eine klare Antwort, Herr Meerholdt.« Osik war sehr zufrieden. »Aber Elena meint, Sie seien der einzige Mann, der in ihr Leben paßt. Sie will Sie heiraten!«
»Ich weiß es, Herr Direktor. Darum war ich Ihnen dankbar, daß Sie sofort nach Zabari kamen, um Elena abzuholen. Daß sie mit solch massiven Drohungen wie vorhin auffahren würde, habe ich nie und nimmer erwartet. Es wird schwer sein, sie zu überzeugen, daß meine Zuneigung eben nur ein Tribut an ihre Schönheit ist -aber nicht ausreicht, um daraus eine Ehe zu gestalten.« Meerholdt sah aus dem Fenster über das Lager. »Ich glaube jetzt fast, daß es wirklich die beste Lösung ist, Elena hier zu lassen. Sie wird hier eher als aus einiger Entfernung begreifen und vor allem sehen lernen, daß unsere Welten verschieden sind.«
»Das habe ich ihr auch schon gesagt.« Osik faßte es anders auf als Meerholdt und war verwundert über das >Fingerspitzengefühl<, wie er es nannte, das Meerholdt entwickelte. »Ich finde es sehr anerkennend von Ihnen, daß Sie es von selbst einsehen.« Osik griff wieder nach einer seiner dicken Zigarren. »Wenn Sie Elena von dem Gedanken der Heirat abbringen, Meerholdt, will ich in Belgrad für Sie sprechen. Die Entwicklungspläne unserer Regierung sind
groß. Sie könnten eine goldene Zukunft haben.«
Meerholdt stutzte. Er sah Osik von der Seite an und erfaßte plötzlich den Sinn der Betriebsamkeit des Direktors. Er lächelte über die Sorgen, die man in Zagreb seinetwegen hatte, und dachte an Rosa, die er den ganzen Tag über noch nicht gesehen hatte. »Ich hoffe, daß man in Belgrad meine geleistete Arbeit bewertet - wenn sie gut ist - und nicht irgendwelche Konzessionen persönlicher Art«, sagte er bestimmt. »Im übrigen glaube ich, daß die Zuneigung Elenas zu mir mehr eine Laune ist, eine sehr rasch verflammende Leidenschaft, über die Sie sich keinerlei Sorgen zu machen brauchen. Ich werde sowieso eines Tages wieder nach Deutschland zurückkehren . was sollte Elena dann in einem Land, das sie nicht versteht und in dem sie immer eine Fremde bleiben wird?«
Während er es sagte, durchfuhr ihn der heiße Schrecken, daß die gleichen Worte auch Rosa gesagt werden mußten. Mehr noch als Elena würde sie unter der Fremdartigkeit der Menschen und des Landes leiden. Es war, als würde man eine seltene Pflanze in ein anderes Klima umpflanzen, in eine fremde Erde, ohne ein wenig Mutterboden mitzunehmen. Sie würde eingehen, trotz aller Pflege, trotz aller äußeren Umstände, die denen der Heimat glichen. Gleichen! Das war es . etwas Gleiches ist nicht das Naturgetreue, aus dem es gekommen ist. Der innere Kraftstrom der Seele fehlt, jenes Geheimnis Heimat, das geistig nicht zu erfassen ist, sondern das man fühlt, wenn man einsam in der Fremde ist und sich sehnt nach einem Baum, einem Strauch, einem Haus, einer Straße oder auch nur nach einer einzigen Blume, die man einmal zu Hause in der Hand hielt. Das ist die Heimat, die Wiege der Seele. Konnte Liebe sie ersetzen.?
Stanis Osik war mit solchen Gedanken nicht belastet. Er drückte seine Zigarre aus und erhob sich schwer und massig.
»Belgrad weiß, was Sie leisten, Herr Meerholdt. Und wenn Sie von einer Rückkehr nach Deutschland sprechen, so hat dies so lange Zeit, bis alle Bauten, die wir gemeinsam planten, von Ihnen realisiert worden sind. Wir haben große Pläne . und Sie haben eine große Zukunft!« Er reichte Meerholdt die schwammige Hand und drückte sie. »Schicken Sie mir Elena sofort zurück, wenn Sie merken, daß Ihre >Umwelts-Therapie< von Erfolg ist. Lassen Sie nicht zu, daß neue Kleider, Schmucksachen, Schuhe und Strümpfe nach Zabari kommen. Lassen Sie Elena in den Bauernschuhen und Wollstrümpfen herumlaufen . sie wird vor Freude weinen, wenn sie wieder in einem weichen Bett schlafen kann und zehn Paar neue Nylonstrümpfe auf ihrem Nachttisch liegen. Frauen hängen an solchen Kleinigkeiten des Lebens - sie sind ihnen der Inbegriff des Daseins überhaupt! Nimmt man ihnen den Rahmen des Lebens, dann ist ihnen das ganze Leben nichts mehr wert. Elena kennt das noch nicht.« Osik lachte breit. »Sie werden es ihr beibringen, Meerholdt.«
Nachdenklich sah ihm Rolf nach, als Osik in seinem breiten, chromblitzenden Auto wieder durch die Berge zurück nach Foca fuhr. Osik winkte noch einmal zurück, als er in die Kurve bog und hinter den Felsen verschwand ... vom Fenster aus sah es Elena und warf die Lippen etwas vor, trotzig, wie ein beleidigtes Kind. Hinter der Küchenbaracke stand Rosa und blickte dem Wagen nach. Er fuhr ohne die fremde Frau - das beunruhigte sie. Elena Osik würde also in Zabari bleiben, bei Ralf, immer in seiner Nähe, ihn morgens beim Kaffee streichelnd, ihn nie aus den Augen lassend. Sie biß die Lippen aufeinander und lehnte sich gegen die Holzwand der Baracke. Heute abend würde sie Elena fragen, nahm sie sich vor. Heute abend ... und sie würde die Kleider anziehen, die Pietro Bonelli für Katja Dobor gekauft hatte, die schönen, lustigen Kleider aus Sarajewo, in denen sie mit ihren langen Haaren aussah wie eine orientalische Prinzessin.
Ralf Meerholdt ging in sein Zimmer zurück. Irgendwie hinkte die Theorie Osiks im Falle Elena gewaltig, empfand er. Elena hing nicht so sehr an den äußeren Dingen des Glanzes, wie es ihr Vater annahm . sie war drei Tage und drei Nächte lang durch die unwegsamsten Berge geirrt, die es in Europa gibt, völlig allein, über schwindelnde Felspfade fahrend, durch finstere Schluchten und flache Bergbäche, nur der Sonne nach, ohne Karte, ohne zu wissen, wo Za-bari lag ... sie hatte in den eisigen Nächten nur mit drei dünnen Dek-ken geschlafen und hatte sich jede Stunde um den Wagen herum warmgelaufen - drei Nächte lang, bis sie schmutzig, zerrissen, einem Vagabunden gleich, in Zabari ankam. Die elegante Elena, der niemand eine solche Tat zugetraut hätte.
Ob Zabari wirklich abschreckend wirkte? Ob die Einsamkeit und die Rauheit der Umgebung sie wirklich zurücktrieb in die Eleganz Zagrebs und die weiße Villa Osiks am Ufer der Sava? Meerholdt wagte es in diesem Augenblick zu bezweifeln. Er beschloß, alles dem Zufall zu überlassen, der Zeit, die mit ihm war, und den Umständen, die das Schicksal vielleicht zusammenkettete oder entflocht.
Hinter ihm klappte die Tür. Er drehte sich nicht um, er wußte, wer ins Zimmer gekommen war.
»Er ist weg«, sagte Elena leise. »Wir sind endlich allein.« Da er keine Antwort gab, kam sie näher und legte den Arm um seinen Hals. Sie drückte ihren Kopf an seine Wange und sah neben ihm aus dem Fenster. So bemerkte sie Rosa von der Ecke der Küchenbaracke aus und ballte die Hände zur Faust. »Freust du dich gar nicht, Sascha.?«
»Doch, sehr.« Er lächelte sie an, und in ihrem Glück sah sie nicht seine Lüge und hörte sie nicht den dumpfen Klang seiner Stimme.
»Hast du mit Vater gesprochen?« fragte sie.
»Ja.«
»Über uns, Sascha.«
»Auch. Aber meistens über technische Probleme.«
»Und was sagte er über uns?«
»Er will es der Zeit überlassen«, wich er aus. »Er will sehen, wie sich alles entwickelt. Erst der Bau - dann das Privatleben, hat er gesagt, und ich habe ihm diese Abstufung unseres Lebens in die Hand versprechen müssen«, log er geschickt.
Elena nickte. Dabei rieb ihre Wange an der seinen . es war eine Liebkosung, die ihn wie ein Peitschenschlag durchzuckte. Er beugte sich zurück und trat vom Fenster weg. Unruhig ging er im Zimmer hin und her.
»Ich werde wenig Zeit für dich haben«, sagte er dabei und vermied es, sie anzusehen. »Bis zum Einbruch des neuen Winters wollen wir die Staumauer soweit fertig haben, daß wir die Schmelzwasser der kommenden Schneeschmelze bereits auffangen können und so das Becken schnell gefüllt bekommen. Das bedeutet Tag und Nacht Arbeit! Keine Ruhe, keine Ablenkung! Die Brücken über das Tal müssen gelegt werden, die Straße nach Foca muß ausgebaut werden, der Erdwall am anderen Talausgang muß erhöht und mit einem Betonkern ausgegossen werden, die Turbinenhäuser warten auf die Montage - wir bekommen sie in Bauelementen halbfertig von Belgrad! Es wird eine schwere Zeit für dich sein, Elena.«