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»Wenn sie nicht zu schwer für dich ist, werde ich sie auch ertragen können!« Sie ergriff eine Schachtel mit Zigaretten, die auf dem Tisch lag, und steckte sich eine an. Ihre Fingernägel waren wieder manikürt und leicht rot getönt, mit dem Perlmutterlack, den sie so liebte und der ihre Nägel schillern ließ, wenn die Sonne darauf fiel. Welcher Gegensatz zu Rosa! Welche Entfernung ihrer Welten ... es war, als läge das All mit sämtlichen Sternen zwischen ihnen, als seien sie Sterne, deren Licht sich im weiten Raum nie treffen konnten und würden.

Ralf Meerholdt nahm einen Mantel vom Haken und warf ihn über die Schulter. Nachdem der Morgen sonnig begonnen hatte, stieg jetzt aus den Tälern Nebel die Felsen empor . die nasse Erde dampfte unter den plötzlichen warmen Strahlen, der Bergwald wurde umgaukelt von weißen Wolken, die sich in der Sonne auflösten zu einem Flimmern, das im Blau des Himmels verschwand.

»Du willst zu den Baustellen?« fragte sie. Sie drückte die eben angerauchte Zigarette aus.

»Ja. Meine Leute warten auf die neuen Detailpläne.«

»Ich gehe mit.«

»Das geht nicht!« Er nahm einen Stapel Papier und große zusammengerollte Lichtpausen vom Tisch und klemmte sie unter den Arm. »Ich muß zu den schmutzigsten Stellen - und außerdem ist es zu gefährlich für dich. Vor allem aber will ich nicht, daß die Arbeiter dich sehen ... sie leben seit fast einem Jahr allein und ohne Frauen in dieser Wildnis. Es wäre unfair ihnen gegenüber, auf die ich genauso angewiesen bin wie sie auf mich, wenn ich jetzt mit einer Frau erschiene und zeigte: Seht, mir geht es besser als euch! Ich habe ein Mädchen bei mir! Wir sind hier alle Kameraden, Elena, wirkliche Kameraden. Der eine geht für den anderen durchs Feuer! Keiner verrät den anderen! Soll ich der erste sein, der diese Gemeinschaft stört? Ich, der sie leiten soll? Du mußt das einsehen ... warte hier, bis ich wiederkomme!«

Elena senkte den Kopf. »Und was soll ich in der ganzen Zeit tun?« maulte sie. »Gib mir etwas Arbeit, Ralf.«

»Die Arbeit hier machen zwei Techniker.« Meerholdt hatte die Tür geöffnet und drehte sich noch einmal um. »Suche dir ein schönes Buch aus und lies etwas«, sagte er. »In meinem Zimmer steht eine kleine Bibliothek.«

Er sah nicht mehr, daß Elena enttäuscht die Nase kraus zog, als er die Tür schloß. Zufrieden mit dem Beginn seiner Therapie eilte er über den großen Barackenplatz zu den Baustellen. Langeweile wird sie töten, dachte er. Sie wird vor Langeweile unlustig werden und von selbst Zabari verlassen. Nichts ist schlimmer, als herumzusitzen ohne Aufgabe, ohne Arbeit, ohne Ablenkung . ein Anhängsel des Lebens, ein Appendix der Umwelt. Zuviel Ruhe tötet die Nerven. Elena würde es keine Woche ertragen können.

Ralf Meerholdt hatte bei diesen Überlegungen, die ihn geradezu beschwingten, nicht mit dem Wesen Elenas gerechnet. Sie war in Zabari geblieben, nicht allein, weil sie Ralf liebte, sondern weil sie Stanis Osik beweisen wollte, daß sie das Leben Meerholdts teilen konnte. Dieser Beweis war eine viel stärkere Kraft als die Liebe . hier regierte nicht die empfindsame Seele, sondern der reale Geist, die Nüchternheit eines Charakters.

Was Meerholdt nie vermutet hatte, trat ein, als er noch keine halbe Stunde auf den Baustellen war - Elena begann, die Baracke Ralfs umzugestalten! Sie machte es gründlich . sie verschwendete Phantasie und Energie dabei, sie entwickelte architektonische Fähigkei-

ten - sie verbiß sich in die Idee, Meerholdts Baracke zu einem Schmuckstück zu machen.

Dazu holte sie die Hilfe von vier Mädchen, die ihr Bonelli grinsend und mit zusammengekniffenen Augen herüberschickte.

Eines dieser Mädchen war Rosa Suhaja.

Das Mittagessen nahm Meerholdt auf der Baustelle ein. Große Küchenwagen mit Thermoskesseln fuhren zu den einzelnen Kolonnen und ließen eine dumpfe Sirene über das Tal heulen. Dann warfen die Arbeiter die Spaten, Hacken und Hämmer fort und trotteten über die Knüppeldämme zu den Sammelplätzen. In langer Schlange stellten sie sich an und hoben ihre Blechschüsseln den Austeilern an den Kesseln entgegen. Auch Meerholdt stand in dieser Schlange, ein Arbeiter unter Arbeitern. Das einzige, was ihn von den anderen unterschied, war, daß er keinen Blechteller dem Austeiler hinhielt, sondern ein altes, deutsches Militärkochgeschirr. Es war verbeult, die Farbe war an vielen Stellen abgestoßen. Der Austeiler stutzte, als er das Kochgeschirr sah, und goß es dann mit zwei Kellen voll. Er war ein Italiener und grinste beim Zurückgeben.

»Deutsches Militär. Ich hatte auch eins . drüben, bei Tobruk und in der Cyrenaika. Gutes Geschirr, Herr Ingenieur.«

Meerholdt nickte und ging ein wenig abseits. Er setzte sich auf einen unbehauenen Kunststein und löffelte die Suppe aus dem Kochgeschirr. Es war in Frankreich dabei . in Rußland . vor Berlin -im Ruhrkessel... überall, wo Ralf Meerholdt am Straßenrand stand oder saß, in einem Bunker, in einem Graben, in einem Busch oder einem Wald, in einer Ruine, einem Keller, überall, wo der Oberleutnant Meerholdt rastete und aß, war es dabei, verbeult, mit abgestoßener Farbe. Auch jetzt in Zabari, in den schwarzen Bergen Montenegros. Die halbe Welt kannte es, das Kochgeschirr ... ein Querschläger hatte es an der linken Seite fast zerrissen . bei Troisdorf hatte er es verloren und suchte es sechs Stunden lang im Beschuß amerikanischer Panzer und Jagdbomber. Er fand es im Straßengraben,

und es war merkwürdig - als er es wieder in den Händen hielt, hatte er keine Sorgen mehr, den Krieg nicht überleben zu können. Es wurde eine Art Talisman, dessen Verlust ihn kopflos gemacht hätte.

Während er aß, gesellte sich der Vorarbeiter Drago Sopje zu ihm. Drago hatte die Kolonnen der Waldarbeiter unter sich, die das Holz für die Verschalungen schlugen und vor allem die Brücken über die Seitentäler legten.

»Meine Leute sind unruhig«, sagte er und kaute an einem Stück Wurst, das er in der Suppe fand. »Oberhalb der Schneisen sei es nicht ganz geheuer, sagten sie.«

»Dummheit!« Ralf sah auf. »Eine neue Form von Koller?«

»Nein! Sie wollen Fackeln gesehen haben!«

»Fackeln?« Meerholdt schüttelte erstaunt den Kopf. »Wie sollen Fackeln in die Berge kommen? Hat eine andere Kolonne in der Nacht vielleicht etwas gesucht?«

»Eben nicht! Darum sagen sie, es sei unheimlich.«

»Haben die Bauern etwas gesucht? Ein entlaufenes Schaf oder eine Kuh?«

»Ich habe den Ältesten schon gefragt. Er sagt nein! Ich wollte es Ihnen erst nicht sagen, Herr Ingenieur, weil es mir selbst zu dumm ist ... aber gestern war wieder Fackelschein in den Felsen ... zum viertenmal schon!« Drago schluckte. »Ich habe es selbst gesehen ... und ich habe keinen Koller!«

Meerholdt stellte das Kochgeschirr vor sich in den Schmutz und blickte hinüber zu dem ansteigenden Wald und dem senkrechten Felsen. >Der Steinwurf<, durchfuhr es ihn. Am Rande dieses Waldes wollte mich ein Unbekannter töten. Er kam aus den Felsen heraus und flüchtete in ihre Unwegsamkeit zurück. Hundert Soldaten haben die ganze Umgebung von Zabari abgesucht... sie haben nichts gefunden als einsame, karge Schafwiesen und einige Schäfer mit den Herden.

»Dort oben habt ihr die Fackeln gesehen?« Er zeigte zu dem Wald hinauf. Drago nickte eifrig.

»Ja. Gleich neben dem Felsen. Sie bewegten sich am Waldrand entlang und verschwanden dann in dem Geröll.«

»Und wieviel waren es?«

»Immer verschieden. Gestern nacht waren es drei Fackeln. Ich habe es deutlich erkennen können. Sie waren nahe beieinander, so, als gingen die Träger eng zusammen - oder ein einzelner Mann trage die drei Fackeln auf einmal.«

Meerholdt schwieg. Ein einzelner Mann! Der Unbekannte mit dem Stein. Warum geisterte er mit Fackeln des Nachts durch die Felsen? Wollte er die Arbeiter erschrecken? Sollten sie durch einen Schrecken davongejagt werden? Gerade unter den serbischen Arbeitern gab es viele Abergläubische, die noch an die Wirksamkeit von Geistern glaubten und in ihren Dörfern Strohpuppen in den Ecken stehen hatten zur Austreibung böser Hausdämonen.