Rosa schüttelte ruhig den Kopf. »Ich werde es lernen«, sagte sie still. »Ich werde alles lernen. Ich glaube nicht, daß die Liebe abhängt von Hummeressen und Foxtrottanzen.«
»Liebe! Glaubst du wirklich, daß Ralf dich liebt?«
Rosa nickte. »Ja, das glaube ich.«
Elena Osik verkrampfte die Hände ineinander. Sie gesteht es. Sie sagt mir ins Gesicht, daß sie mit Ralf geschlafen hat. Mit meinem Sascha! Mit meiner großen Sehnsucht ... dieses Bauernmädchen.
»Mistvieh!« sagte sie verächtlich. »Er hat dich genommen, weil du dich ihm dargeboten hast. Und er bezahlt dich dafür wie eine Hure. Mehr bist du nicht für ihn . eine schöne Bauernhure, die er wegwirft, wenn er Zabari einmal verläßt.«
»Er liebt mich«, sagte Rosa leise.
»Gestern, heute und morgen, und weil ich nicht hier war, darum liebte er dich. Aber das ist jetzt anders! Ich werde ihn heiraten, und du läßt ihn in Ruhe, verstehst du?! Du gehst aus Zabari weg.«
»Aus dem Dorf? Nie!«
»Du gehst in die Stadt und suchst dir eine Stelle! Ich gebe dir ein Schreiben mit - man wird dich sofort anstellen.« Elena nestelte in den Taschen ihres Kleides und schob dann Rosa ihre Hand hin. Zwischen den Fingern quollen Banknoten hervor, Hundert- und Tau-send-Dinar-Scheine. »Hier hast du 5.000 Dinare. Damit kommst du die ersten Monate weiter. Wenn du noch mehr Geld brauchst, gebe ich es dir. Du kannst 50.000 Dinare haben, wenn du Zabari und Ralf verläßt.«
Rosa drückte die Flasche Wein und die Wurst an sich. In ihren Augen glomm ein heller Funken empor. »Ich verkaufe meine Liebe nicht«, sagte sie laut. »Aber du willst sie von mir kaufen ... bist du nicht auch eine Hure?!«
Einen Augenblick hielt Elena den Atem an. Vor ihren Augen flimmerte es grell . es war, als gehe ein Gewitter nieder und die Blitze umzuckten sie und blendeten ihre Augen. Dann schlug sie zu, blindlings, in die Richtung, wo sie Rosa vermutete. Sie spürte Widerstand und schlug weiter, immer wieder ausholend und zuschlagend. Der Triumph, sie zu treffen, dieses schöne Gesicht mit den langen, wallenden Haaren zu zerstören, erfüllte sie ganz und ließ sie taumeln. »Du! Du!« schrie sie bei jedem Schlag. »Du Aas! Du Dirne! Du geile Katze! Du Mißgeburt! Du läufige Hündin!«
Als sie von Rosa abließ und sich zum Gehen wandte, sah sie, wie das Mädchen an der Wand stand, die Haare zerzaust und das Kleid zerrissen. Der Wein war zu Boden gefallen und die Flasche zerschellt. Die kostbare Flüssigkeit versickerte im Sand. Schwankend ging Elena ins Haus zurück und fühlte einen faden Geschmack im Mund. Sie hat sich nicht gewehrt, dachte sie. Sie hat die Schläge erduldet. Sie ist stärker als ich, stolzer, besser.
Sie warf sich auf das Bett, mit dem Gesicht in die Kissen, und weinte laut.
In einem Versteck hatte sich Jossip die Lippen blutig gebissen. Er sah jeden Schlag, den Rosa bekam, und er zählte sie.
Für jeden Schlag würde Elena einmal vor Grauen schreien, schwor er sich. Für jedes Wort sollte sie um Gnade flehen. Er klammerte sich an den Holzstößen fest und zwang sich, nicht vorzustürzen und sie zu erwürgen. Einfach ihren Hals zu nehmen, den weißen, zarten Hals, aus dem so viel Gemeinheit und Haß sprudelten, und ihn zuzudrücken mit seinen großen, braunen Händen, so lange zu drücken, bis sie schlaff zusammenfiel und im Staub neben der zerbrochenen Flasche Wein lag.
Als Ralf Meerholdt in der Nacht zurückkam, schlief Elena und wälzte sich im Traum stöhnend von einer Seite zur anderen. Rosa hatte den Tisch gedeckt . ihr Gesicht war noch gerötet, doch Ralf sah es nicht. Er war müde, ausgemergelt und sehnte sich nach seinem Bett. Er aß schnell, trank eine Tasse Tee und küßte Rosa auf die Stirn.
»Gute Nacht, Liebes.« An der Tür drehte er sich noch einmal herum. »Was macht Fräulein Osik?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube aber, sie schläft.«
»Du hast sie heute nicht wieder gesprochen?«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie den ganzen Tag nicht gesehen.«
Beruhigt ging Meerholdt schlafen.
Auch am nächsten Tag sprach keiner von dem Vorfall. Elena ging Rosa aus dem Weg.
In der kommenden Nacht verschwand Elena Osik aus dem Lager. Als man am Morgen ihre Tür aufbrach, war das Zimmer durchwühlt, Kleider und Wäsche lagen verstreut auf dem Boden. Nahe dem Fenster war ein kleiner Flecken Blut an der Wand.
Grell zerrissen die Alarmsirenen die morgendliche Stille. Hauptmann Vrana von der Gebirgsjäger-Kompanie rannte zum Hause Meer-holdts. In Zagreb fiel Stanis Osik in eine tiefe Ohnmacht, als man ihm telefonisch die Entführung mitteilte. Dann schrie er und war
nicht zu beruhigen, bis ihm der Arzt eine Spritze gab. Suchkolonnen brachen in die Felsen auf, mit Spürhunden und Bergführern. Elena Osik fand man nicht.
Kapitel 4
Stanis Osik war in Zabari eingetroffen. Er war in diesen drei Taigen gealtert. Die dicken Augensäcke hingen wie Trauben auf seine Wangen herab. In seinen Augen stand eine Traurigkeit, deren Ausweglosigkeit erschütterte.
Mit Osik war ein Spezialkommando der Belgrader Geheimen Polizei mitgekommen, vier große, ernste Männer und ein Offizier, der zunächst nichts anderes tat, als über das Lager, die Bauplätze und die gesamte Umgebung eine strenge Quarantäne und ein Ausgehverbot zu verhängen. Ab 10 Uhr abends mußten alle arbeitsfreien Kolonnen im Lager sein. Die ausrückenden Gruppen wurden von Militärposten begleitet; es herrschte eine Art Standrecht über Zabari. Auf jeden, der sich ab 10 Uhr abends außerhalb des Lagers befand, in den Bergen, im Wald oder sogar auf der Dorfstraße, durfte ohne Anruf geschossen werden.
Das Zimmer Elenas war an dem Morgen noch, an dem der Überfall entdeckt worden war, versiegelt worden. Nun öffnete Hauptmann Vrana die Tür. Die Spezielbeamten aus Belgrad untersuchten jeden Zentimeter des Zimmers, Osik saß in Meerholdts Wohnung und jammerte. Das Ergebnis war mager . es hatte ein Kampf stattgefunden zwischen Elena und dem Entführer, bei dem einer verletzt worden war. Das Blut an der Fensterwand bewies es. Dann war der Entführer mit dem anscheinend ohnmächtig gewordenen Mädchen aus dem Fenster gestiegen und in der Dunkelheit verschwunden. Von da ab verloren sich alle Spuren . die Spürhunde hatten den Weg verfolgt... bis zum Wald zogen sie an den langen Suchleinen, dann ging der Boden in Felsgeröll über und verwischte die Witterung der Hunde. In den Felsen versagte die beste Spürnase, und die Felsen reichten bis nach Zabari!
Auch die Verhöre ergaben nichts. Keiner hatte den Überfall gesehen, niemand hatte zwei Gestalten bemerkt, die in der Nacht zum Wald hinaufstiegen. Pietro Bonelli vielleicht war der einzige, der etwas aussagen konnte: Er hatte in der Nacht einen Schrei gehört. Aber in Erinnerung an seine blauen Augen hatte er sich vorgenommen, sich niemals mehr in fremde Angelegenheiten zu mischen, und hatte sich auf die Seite gewälzt, um weiterzuschlafen. Daß er damit die Entführung möglich machte und sie nicht verhinderte, machte ihn verwirrt und innerlich zwiespältig. Er philosophierte über das Land und dessen Dummheit - einmal wird man bestraft, weil man sich einmischte, einmal ist man schuldig, weil man sich nicht einmischte! Was soll man tun? Wie ist es richtig? Bonelli fand darauf keine Antwort und entdeckte, wie schwer die Philosophie ist.