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Am vierten Tag nach der Entführung begann die große Suchaktion. Hundert Soldaten unter Leitung von Hauptmann Vrana, zweihundert Arbeiter unter Leitung der Spezialbeamten aus Belgrad durchkämmten systematisch die schwarzen Berge. Um alle Schluchten und Pässe, Täler und Winkel zu erfassen, hatte man aus Titograd einen Hubschrauber der Luftwaffe kommen lassen, der das Gebiet nach Planquadraten abflog und fotografierte. Nach diesen Fotos wurden die Suchkolonnen eingesetzt.

Das Wichtigste aber war, daß alle Bewohner von Zabari mithalfen. Sie kannten die Berge, sie kannten fast jeden Winkel der unerforschten Gegend. Vor allem aber sicherten sich die Spezialbeamten aus Belgrad eines Führers, der die ganze Suchaktion bestimmte und als der beste Kenner der Berge galt.

Es war der Schäfer Jossip Petaki.

Mit unendlichem Fleiß durchstöberte er die Schluchten, die bisher noch kein Fremder betreten hatte . er führte die Kolonnen in Gegenden, die einem Mondgebirge glichen, und in Täler, deren unberührte Schönheit selbst die alten Montenegriner staunen ließ. Immer aber führte er sie um ein kleines verstecktes und auf keiner Flugfotografie erkennbares Plateau herum, wo, an einen Felsen geklebt, seine Hütte stand, geschützt durch einen Felsenring, der diesen kleinen Flecken ebener Erde wie einen Wall umgab.

Hauptmann Vrana und Osik saßen vor den großen Karten, die nach den Fotos gezeichnet worden waren, und bestimmten die neuen Gebiete für den kommenden Tag. Ralf Meerholdt rauchte nervös eine Zigarette, während die Beamten aus Belgrad das saure Bier Bonellis tranken. Der Offizier der Geheimen Polizei war noch unterwegs . er ging einem unbestimmten Gefühl nach und überprüfte das Leben jedes Bauern und Hirten aus Zabari.

Jossip stand am Fenster und rauchte eine dicke, selbstgeschnitzte Pfeife. Wortkarg wie immer beobachtete er, wie Hauptmann Vra-na die neuen Gebiete mit bunten Fähnchen absteckte. Sie lagen weitab seines Versteckes.

Jossip lächelte still.

»Wie weit kann man in einer Nacht kommen, Jossip?« fragte Vrana und sah den Schäfer kurz an. Jossip wiegte den Kopf.

»Wenn er gut läuft, ein schönes Stück. Man muß allerdings die Berge kennen. Ein Fremder verirrt sich leicht und kommt nicht weit. Felsspalten sperren ihm den Weg, Bergwände oder steil abfallende Hänge.« Er stieß den Rauch aus seiner Pfeife in dicken Wolken aus. »Man muß die Berge kennen.«

Stanis Osik hüstelte. »Ein Kraut raucht der Kerl! Ob er Gras schneidet und es trocknet? Es ist nicht zum Aushalten!«

Hauptmann Vrana kratzte sich den Kopf. »Am Tage kann er nicht flüchten?« fragte er. Jossip hob die Schultern.

»Wenn er in der Nacht weit genug gekommen ist, hindert ihn niemand daran. In den Bergen begegnet ihm keiner.«

»Wir haben am Morgen nach der Entdeckung des Überfalls sofort den ganzen Umkreis abgesucht. Der Täter hatte einen Vorsprung von etwa acht Stunden!«

»Das ist viel«, sagte Jossip.

Vrana schüttelte den Kopf. »Mir will es nicht einleuchten, daß er das Mädchen tagelang durch die rauhen Felsen schleppt! Wozu? Wo will er hin? Alle Orte, alle Dörfer der Umgebung sind alarmiert. Es gibt keinen Bergbauern mehr, der nicht wachsam ist. Herr Osik hat die Belohnung auf 100.000 Dinare hinaufgesetzt... dafür verrät man unter Umständen seinen eigenen Bruder!«

»Bei uns nicht«, sagte Jossip gleichgültig. »Vielleicht sollten wir gar nicht mehr suchen . nach den Lebenden! Vielleicht sollte man nach einer Toten suchen?!«

Stanis Osik wurde bleich und setzte sich schwer. »Der Kerl raucht nicht nur Gift, er hat auch Gift im Gehirn«, stöhnte er. »Warum soll meine Tochter tot sein?« schrie er Jossip an.

Jossip hob die breiten Schultern. »Weiß ich, warum sie geraubt wurde.?«

Osik stützte den schweren Kopf in die Hände. »Dieser Kerl bringt mich um den Verstand«, stöhnte er. »Ich werfe ihn gleich hinaus.«

Hauptmann Vrana hob begütigend seine Hände. »Wir brauchen ihn. Ohne seine Hilfe und Führung kommen wir trotz der Flugaufnahmen nie in die unwegsamen Schluchten. Wenn einer ihre Tochter finden kann, so ist es Jossip Petaki.«

Stanis Osik nickte und seufzte. Mit starrem Gesicht, wie mit einer Maske bekleidet, stand Jossip am Fenster und rauchte. Er hat recht, dachte er triumphierend. Aber keiner wird sie finden, keiner.

Am fünften Tage wurde die Suche eingestellt. Stanis Osik brach zusammen und wurde mit einem Krankenwagen von Zabari weg nach Sarajewo gebracht. Dort legte er Trauerkleider an und floh weiter nach Zagreb. In seiner weißen Villa vergrub er sich, empfing niemanden, stellte das Telefon ab und saß stundenlang vor einem Bild Elenas, das sie in einem engen Reitdreß zeigte, lachend, gesund und hübsch. Dann weinte der dicke Mann und büßte für die Sünden, die er in seinem Leben angesammelt hatte.

Ralf Meerholdt schenkte Jossip für seine Hilfe bei der Suche einen guten Gummimantel, feste, derbe Gebirgsschuhe und 1.000 Dinare. »Kauf dir davon, was du willst«, sagte er stockend. »Ich weiß, daß dir 100.000 lieber gewesen wären.«

Jossip dankte mit einem Brummen und verließ die Baracke. Auf der Lagergasse steckte er die 1.000 Dinare ein und ging weiter. Vor Bonellis Kantine zögerte er, dann betrat er sie und ging an die Theke. Bonelli stand selbst dahinter und nickte Jossip zu.

»Suche aufgegeben?« fragte er. »Ein Jammer um das Mädchen! Wenn man jemals den Kerl bekommt, der das getan hat - ich hänge ihn eigenhändig auf!«

Jossips Augen wurden starr. »Halt das Maul.« Er warf die 1.000 Dinare auf den Tisch und wies auf die Regale. »Pack mir ein: Mehl, Zucker, Tee, Wurst, Salz, ein paar Büchsen mit Gemüse, eine Flasche Slibowitz.«

Bonelli blickte auf die 1.000 Dinare und pfiff durch die Zähne. »Dein Führergeld?« Er schob es weg. »Spare es dir und verfriß es nicht sinnlos.«

Jossip beugte sich vor. »Pack ein, Idiot!« schrie er.

Bonelli flog an das Regal und holte die Waren herab. Er packte sie in einen großen Sack, in dem er die Kartoffeln erhielt, und wuchtete ihn Jossip vor die Nase. »Da, du Rindvieh! Friß dich tot dran und krepier im Wald! Eher legt eine Kuh Eier, anstatt daß ihr Verstand bekommt!«

Jossip nahm den schweren Sack und warf ihn über die Schulter. Wortlos verließ er die Kantine und schritt dem Hang zu. Bonelli sah ihm aus dem Fenster nach, wie er die Rodung hinauftappte und dann im Wald verschwand.

»Ein komischer Kauz«, sagte er laut. »Dem fehlen auch ein paar Drähte im Gehirn.«

Als Jossip die Tür seiner Hütte aufschloß und sie aufstieß, kam ihm zunächst ein dickes Holzscheit entgegengeflogen, dem ein Schemel folgte. Jossip lächelte und benutzte die Tür als Deckung, indem er sie vor sich herschob und um die Ecke blickte.

Elena saß am Feuer, einen Stapel Holz neben sich und wartete darauf, daß Jossip im Türrahmen erschien. Ihre Haare hingen ihr ungepflegt um den Kopf, das Gesicht war bleich und von Wut verzerrt.

»Komm 'rein, du Satan!« schrie sie. »Ich bringe dich um.«

Mit einem Sprung war Jossip in der Hütte und hatte ihr das wurfbereite Holzscheit aus der Hand geschlagen. Sie wollte aufspringen, aber er schleuderte sie auf das Strohlager zurück und nahm von der Wand eine lange, aus Schafshaar geflochtene Peitsche.

»Du bleibst liegen!« sagte er scharf. »Oder ich peitsche dich aus!«

Elena duckte sich und schwieg. Sie beobachtete, wie Jossip den Sack hereinholte und auf den roh gezimmerten Tisch legte. »Für dich!« sagte er dabei. »Das beste Essen, das es unten im Lager gibt. Für 1.000 Dinare.«

»Du lügst! Woher willst du 1.000 Dinare haben!«

»Ich habe sie verdient. Ich habe die Kolonnen geführt, die dich suchen sollten.«

»Du bist der ekelhafteste Schuft, den ich kennengelernt habe!« Sie richtete sich auf und kam näher, Jossip hob die Peitsche, aber er schlug nicht zu. »Warum hältst du mich hier fest?«

»Das hast du schon hundertmal gefragt! Du hast Rosa geschlagen! Du hast sie beleidigt ... ich werde dich dafür bestrafen!«