»Mit Wasser und Brot?«
»Mit dem Tod.«
Jossip sagte es völlig ungerührt, aber Elena spürte, daß es Ernst war. Merkwürdigerweise empfand sie keine Angst, sondern eine Art Neugier, wie er es wohl anstellen wollte, sie zu töten. Zudem verstand sie nicht, warum er sie überhaupt mit in seine versteckte Hütte genommen hatte, anstatt sie in ihrem Zimmer einfach umzubringen.
»Zieh dich um!« sagte Jossip plötzlich.
»Warum?«
»Zieh dich um!« Er hob die Peitsche und ließ sie leicht auf Elenas Schultern fallen. Es war nur ein streichelnder Schlag, aber sie wußte, daß der zweite fester sein würde, und der dritte Striemen durch
ihr Fleisch zog. Sie knöpfte ihr Kleid auf und sah Jossip dann an. Ihre Augen flatterten.
»Dreh dich 'rum, du Hund!« zischte sie.
»Warum? Ich will den Körper sehen, ehe er verfault.«
»Scheusal!« Sie zog das Kleid über den Kopf und stand in der dünnen Unterwäsche vor Jossip. Er nahm das Kleid und nickte. »Das andere auch!«
»Was?« fragte sie entsetzt. Plötzlich begann sie zu zittern.
»Das Seidenzeug!«
»Nein!«
Jossip hob wieder die Peitsche, aber Elena schüttelte wild den Kopf. »Und wenn du mich totschlägst . ich ziehe es nicht aus! Hol es dir doch!« Sie sprang zum Herd und riß einen langen Holzkloben aus dem Stoß. Jossip lachte, seine Zähne leuchteten zwischen den schmalen Lippen.
»Ich fasse dich nicht an«, sagte er. »So schön du auch bist, ich nehme dich nicht!«
Er tappte zu einer Wand, schob einen Balken zur Seite und entnahm aus der Höhlung, die entstand, ein langes Messer und ein altes, langläufiges Gewehr. Damit kam er zu Elena zurück und legte beides auf den Tisch.
»Ich würde mich schämen, dich zu lieben«, sagte er dumpf. »Ich würde Rosa verraten und könnte sie nie wieder ansehen. Dein Körper ist für die feinen Herren in den Städten . ich will ihn nicht.«
»Wie gnädig.« Elena starrte auf das lange Messer. »Du willst mich töten?«
»Noch nicht, mein Schwan, noch nicht!« Er hob die Hand. »Zieh das Seidenzeug aus.«
Zögernd löste sie die Träger . mit geschlossenen Augen zog sie sich aus und stand dann nackt vor dem grinsenden Jossip. Er nahm die dünne Wäsche, befühlte sie, dann ging er zu einem Nagel, an dem ein dicker Lammfellmantel hing, nahm den Mantel und warf ihn Elena zu.
»Zieh ihn an. Ich bringe dir morgen neue Kleider. Diese hier brau-che ich.«
Während Elena in den dicken, weiten Mantel schlüpfte und sich an den Herd drückte, begann Jossip, das Kleid und die Seidenwäsche zu zerreißen. Er tat es mit genauem Nachdenken. Das Kleid riß er am Hals und am Rücken auf und zerfetzte den Rock ... die Unterwäsche zerriß er so, als habe man sie Elena gewaltsam vom Leibe gezerrt. Dann nahm er das Messer und trat zu Elena an den Herd.
»Gib mir deinen Arm«, sagte er.
Sie starrte ihn an . das Grauen stand in ihrem Blick. Ihr Mund verzerrte sich in Todesangst, die in diesem Augenblick ihre gespielte Sicherheit zerriß. Jossip wartete nicht ab, bis sie den Arm gab ... er riß ihn zu sich heran und stampfte mit dem Fuße auf, als sie aufschrie und ihn zurückreißen wollte.
»Halt den Mund!« knurrte er. »Ich tue dir nichts. Ich brauche nur etwas Blut von dir.«
Ehe sie antworten konnte, hatte er mit dem Messer die Haut ihres Unterarmes aufgeschlitzt und preßte die Unterwäsche und das Kleid auf das hervorsickernde Blut. Sie spürte keinen Schmerz, aber das Gespenstische der Handlung nahm ihr fast die Besinnung.
Jossip hielt die Wäsche hoch . große Blutflecken hatten die Seide durchtränkt, das Kleid war übersät mit Blutspritzern. Es sah aus, als habe man die Trägerin dieser Kleidung bestialisch ermordet.
Zufrieden schob Jossip die Wäsche zur Seite und begann, den Sack mit den Lebensmitteln auszupacken.
»Mit diesen Kleidern werde ich sie alle vertreiben«, sagte er dabei. »Es wird keine Talsperre mehr geben ... wie Gehetzte werden sie alle aus den Bergen rennen. Dann ist das Tal wieder unser, dann ist wieder Ruhe in Zabari ... und ich werde Rosa in meine Hütte führen.«
»Und ich?« fragte Elena.
»Dich werde ich vorher töten«, sagte er ungerührt.
Er packte die Lebensmittel Bonellis auf den Tisch ... die Dosen mit Fleisch und Gemüse, die Würste, das Brot, das Mehl, den Zucker, das Salz, den Tee.
»Frierst du?« fragte er.
»Warm ist es hier nicht.«
»Dann trink!« Er warf ihr die Flasche Slibowitz ins Stroh und packte weiter aus.
»Wie soll ich sie aufbekommen ohne Korkenzieher?« fragte Elena.
»Schlag den Hals an der Herdkante ab.«
Sie tat es, setzte vorsichtig die Flasche an den Mund und trank einen kleinen Schluck. Wie Feuer rann der scharfe Schnaps durch ihre Kehle in den Körper. Aber er belebte, er gab Kraft, er machte mutig. Sie trank noch einmal und ein drittesmal. Dann suchte sie den abgeschlagenen Flaschenhals und verbarg ihn im Stroh. Ehe er mich tötet, dachte sie, schneide ich mir mit dem Glas die Pulsadern durch. Aber vorher betrinke ich mich . es stirbt sich leichter im Wahn.
Jossip warf den Sack in eine Ecke. »Kannst du kochen?«
»Glaubst du, ich wäre nur zum Schminken auf der Welt?«
»Hier ist Essen genug für dich! Für eine Woche und länger. Ich bringe dir morgen neue Kleider und lasse dich allein! Verhungern wirst du nicht!«
»Aber verdursten.«
»Ich hole dir zwei Eimer Wasser.«
»Wie einer Kuh.«
»Mehr bist du auch nicht!« Er erhob sich vom Tisch. »Eine Kuh ist mehr wert. Sie gibt Milch ... sie ernährt uns. Du bist zu nichts auf der Welt . selbst Mist ist wertvoller, denn er düngt den Boden, der uns Frucht gibt. Du bist eine taube Nuß, die man wegwirft.«
Elena antwortete nicht darauf. Sie hatte einen Lappen um den Schnitt des Armes gewickelt und löste ihn jetzt. Er blutete noch immer. Jossip blickte herüber und ging zum Herd. Von einem Balken über dem Feuer nahm er ein paar große Blätter, tauchte sie in Wasser und begann, sie mit dem Messer zu zerhacken. Dann mengte er mit den Händen einen Brei daraus und schmierte ihn Elena auf die blutende Wunde.
»Laß es trocknen und drei Tage drauf!« Er richtete sich hoch und schüttelte den Kopf. »Eigentlich sollte man dich verbluten lassen.«
»Und warum tust du es nicht?«
»Ich habe noch vieles mit dir vor«, sagte er geheimnisvoll.
Als er die beiden Eimer Wasser geholt hatte, schloß er die Tür wieder ab. Dann stellte er sie an den Herd und nahm die blutige Kleidung an sich.
»Versuche nicht zu flüchten«, sagte er, ehe er die Hütte verließ. »Es führt nur ein Weg über die Felsspalten ins Tal . und den findest du nicht!« Er stockte und meinte dann: »Vielleicht bleibst du leben, wenn die Fremden vernünftig sind. Vielleicht . das Tier ist oft vernünftiger als der Mensch.«
Er schloß die Tür ab und wälzte einen großen Stein davor. Aufatmend stand er dann auf seinem Plateau und dehnte die Brust in der warmen Frühlingssonne. Von Foca her zogen Wolken über die Berge ... über Zabari kreisten drei Adler, still, in weiten Kreisen, majestätisch mit ihren angespannten Flügeln und den eingezogenen Fängen. Aus der Ferne tönte Donner ... dort wurden Felsen gesprengt und Straßen angelegt. Der Vormarsch der Unruhe, der Tod der herrlichen Einsamkeit kam näher.
Jossip drückte die blutige Wäsche an sich und stieg den verborgenen Pfad hinab ins Dorf. Ehe er aus den Felsen trat, verbarg er die Kleidung unter seinem weiten Umhang auf der Brust und grüßte wenig später freundlich die Arbeiter, die am Waldhang die gefällten Stämme an die Ketten banden, mit denen die Raupenschlepper sie ins Tal zogen.
Am Nachmittag des folgenden Tages wurde das erste Stück von Elenas Kleidung gefunden. Es war das seidene Unterkleid, blutig, zerrissen und verschmutzt. Es lag jenseits der Schlucht neben einem Baum . in einer völlig anderen Richtung, als man den Täter vermutet hatte.